Band: Lagwagon
Album: Railer
Genre: Punk
Label: Fat Wreck Chords
VÖ: 4. Oktober 2019
Webseite: lagwagon.com
Lange ist es schon her seit dem letzten Album „Hang“ der Kalifornier Punk-Urgesteine von Lagwagon, welches vor bereits 2014 erschien. Doch das Warten hat nun ein Ende, denn am 5. Oktober erscheint mit „Railer“ endlich das langersehnte neue Werk der fünf Herren um Joey Cape. Zwölf Songs voller existenzieller Angst und kosmischer Entropie sowie einer gehörigen Portion Nostalgie und Punkrock.
Los geht es mit „Stealing Light“: ein kurzes Intro-Riff, ein grandioses durchgedrehtes Solo und dann die jetzt schon unsterbliche Zeile „What’s another word for f***?“ aus der Feder von Herrn Joey Cape! Das Lied macht sofort klar, wer und was Lagwagon sind: schneller und melodiöser Punk, Vollgas-Tempo und dazu ein kritischer und tiefer Text darüber, wie wir alle eine Art von auf uns gerichtetes Scheinwerferlicht ersuchen und dabei die Empathie für unsere Mitmenschen und Leidensgenossen verlieren. Ja, Lagwagon sind definitiv zurück und das mit einem Knall!
Das folgende „Surviving California“ ist musikalisch bereits einer meiner Höhepunkte des Albums. Das Lied ist ein absolutes Gitarren-Brett, vom 90s-Metal inspirierten Hauptriff über die vielschichtigen kleinen Licks und Parts im Refrain bis hin zum unfassbar geilen und ausgedehnten Gitarrensolo am Schluss, was für ein Hammer-Track. Dazu eine sehr wütende Abrechnung mit dem „Californian way of life“ und wie der einst so erstrebenswerte Golden State zu einem überfüllten, überteuerten und nicht mehr lebenswerten Fleck verkommen ist, in dem die Menschen in Zelt-Städten leben müssen und nur noch auf das nächste überfällige Erdbeben warten können. Ein grandioses Lied, 2019er-Lagwagon bieten hier echt alles, was sie haben.
Joey Cape erwähnt, dass das Songwriting für „Railer“ sehr stark vom bandeigenen Sound und Gefühl ihrer Anfangstage inspiriert sei. Dies merkt man auf den folgenden zwei Songs besonders gut, „Jini“, welches die kleinlichen finanziellen und existenziellen Sorgen, über die niemand sprechen will, aus der Sicht der Cape’schen Hauskatze Jini thematisiert, und „Parable“, welches mit einem Kinderchor beginnt und lamentiert, wie Indoktrination das Wunder, die Fantasie und die Individualität unserer Kinder von Generation zu Generation immer mehr zerstört, sind beides perfekte Lagwagon-Stücke, die sowohl an die alten Tage der Band erinnern, aber trotzdem modern und aktuell daher kommen. Die musikalischen Referenzen an Alben wie „Duh“ und „Trashed“ sind nicht zu überhören und Erinnerungen an die Tony Hawks ProSkater-Spiele von Anno dazumal kommen auf.
Ein weiteres Lied, welches heraussticht und den Bogen zwischen 90er-und 2019er Lagwagon perfekt spannt, ist „The Suffering“. Angefangen mit einer leicht dissonanten und beunruhigenden Gitarrenmelodie, gefolgt von einem gesprochenen Zitat des Philosophen Bertrand Russel welches schlussendlich in den wundervollen, schnellen und melodiösen Hauptteil übergeht, der so unverwechselbar nach Lagwagon tönt, dass es einfach eine Freude ist. Die Geschwindigkeit und Melodie sind genauso, wie man Lagwagon seit 30 Jahren kennt und liebt, der nachdenklich-stimmende Text aus Capes Feder sowie auch schon nur schon die 4 ½ Minuten Laufzeit des Tracks wiederum erinnern zum Beispiel viel mehr an aktuellere Songs wie „Obsolete Absolute“ vom Vorgängeralbum. Wirklich ganz grosses Kino.
Ein paar Worte sind auch über die wunderschönen, tiefgründigen und nicht immer leicht verständlichen Texte von Joey Cape zu sagen. Man merkt, dass der 52-Jährige sich viele Gedanken über die Welt, das Leben, seine Existenz und die Vergänglichkeit des Seins macht, er gilt nicht umsonst als einer der besten und angesehensten Liedermacher der modernen Punkszene. Sei es das Lamentieren des Verlustes an Faszination für wissenschaftliche Entdeckungen in „Dark Matter“, sei es ein Liebeslied an einen langjährigen Widersacher und Feind in „Auf Wiedersehen“, sei es über Lagwagon selbst in „Bubble“ oder sei es, wie in „Pray For Them“, eine wütende Abhandlung mit Leuten, die sich mittels „thoughts and prayer“ vor jeglicher richtigen Verantwortung und Mitgefühl drücken – Cape vermag es wie kein anderer, schwierige Themen in Worte zu fassen, ohne dabei mit erhobenem Zeigefinger daher zu kommen und trotz all dem Chaos und Verzweiflung nie ganz den Humor zu verlieren.
Genau darum endet das Album dann auch auf einem leichten und fröhlichen Ton in Form einer Coverversion von Journeys „Faithfully“. Am Schluss bleibt einem also nach all den Denkanstössen gleichwohl ein Lächeln im Gesicht stehen, und genau das ist es, was Lagwagon letztendlich einmal mehr erstreben: Spass haben und das Lachen nicht verlieren, auch wenn es noch so viele Dinge gibt, über die man klagen kann und soll. Man darf all die tiefen, philosophischen Ansätze in den Liedern auf „Railer“ suchen und vielleicht gewisse Ideen davon auf das eigene Leben anwenden, man muss es aber nicht. Am Ende des Tages haben wir hier einfach ein wirklich grandioses Punkrock-Album mit grossartigen Liedern, gespielt von einer Band, die seit drei Dekaden zu den wichtigsten und grössten des Genres gehört. Frisch, modern, tiefgründig, schnell, melodiös, wütend und nostalgisch: „Railer“ reiht sich nahtlos in die Lagwagon-Discographie ein und ist für mich jetzt schon eines der besten Alben von 2019.
Tracklist:
1. Stealing Light
2. Surviving California
3. Jini
4. Parable
5. Dangerous Animal
6. Bubble
7. The Suffering
8. Dark Matter
9. Fan Fiction
10. Pray For Them
11. Auf Wiedersehen
12. Faithfully
Bandmitglieder:
Joey Cape – Gesang
Chris Rest – Gitarre
Chris Flippin – Gitarre
Joe Raposo – Bass
Dave Raun – Schlagzeug
Gründung:
1990
Text: David Spring