Long Branch Records / VÖ: 21. August 2020 / Alternative Rock
kid-dad.com
Text: David Spring
Es ist dunkel. Der Raum ist eng, stickig und fühlt sich beengend, klein und klaustrophob an. Es dringt kaum Luft herein, das Tageslicht ist eine schon lange vergessene Fantasie. Der Atem ist flach und ruhig, doch das schleichende Gefühl von Unwohlsein sitzt stets im Nacken. Die Gedanken sind überraschend klar, die Situation zwar völlig fremd und befremdlich, aber gleichwohl auch bekömmlich und ja, keineswegs unangenehm. Das Wissen ob der eigenen Existenz rückt weiter und weiter in die Ferne und schwillt gleichwohl an und droht, alles zu verschlingen.
Es ist ein komisches Gefühl. Bin ich? War ich? Werde ich sein? Schwierige Fragen, die sich ein atemberaubendes Rennen durch das eigene Bewusstsein liefern. Haltbar ist nichts. Es ist dunkel, so dunkel. Wenn doch nur jemand den Lichtschalter umkippen könnte. Doch auf einmal die Angst, was das Licht denn mit sich bringen würde. Was ist überhaupt auf der anderen Seite der Wände – was, wenn da nur noch mehr Dunkelheit ist? Oder noch schlimmer, was, wenn da das Leben ist? In der Einsamkeit der Dunkelheit herrscht trotz aller Ungewissheit auch eine angenehme Sicherheit. In der Dunkelheit existiere ich, oder so glaube ich zumindest. Ich weiss es nicht. Könnte ich im Licht auch existieren? Will ich das wirklich herausfinden?
Das Dasein einer Katze ist manchmal nicht so einfach, wie man denkt. Erst recht aber nicht, wenn man sich die Existenz der Katze eines gewissen Erwin Schrödingers versucht auszumalen, seines Zeichens österreichischer Physikers, der die berühmte These stellte, dass seine Katze in einer Schachtel gleichzeitig lebt und schon tot ist, solange man nicht in die Box schaut. Auf ewig dazu verdammt, „In A Box“ zu existieren und gleichzeitig genau das nicht zu tun. Das geht ans Eingemachte. Dass man auf solche existenzphilosophischen Fragen auf die Schnelle keine Antwort finden kann, das erklärt wohl auch, wieso das Debütalbum von Kid Dad so lange auf sich warten liess. Denn es wurde an jedem Detail der zehn Songs (plus Intro) auf „In A Box“ so lange geschraubt, gedreht und herumexperimentiert, bis wirklich jede Note, jeder Beat, ja, jedes Geräusch und jede Pause genau da sassen, wo sie zu sitzen hatten. Darum ist etwas ganz Besonderes entstanden.
Vom mächtigen Opener „A Prison Unseen“, dessen Gitarrenmelodie mit absichtlich verstimmten Saiten entstand, über das staubtrockene „Happy“, welches gerne mal in Richtung Royal Blood hinüberschielt, bis hin zum verträumten „[I Wish I Was] On Fire“, dass sich schleichend in immer höhere Sphären transportiert und zu einem endlos traurigen Koloss wird, Kid Dad ziehen sämtliche Register. Mit dabei stets die schrödersche Ungewissheit, was als nächstes folgt. Die geneigte Hörerschaft wird immer wieder in dunkle Sicherheit geführt, nur um auf einmal von riesigen Soundwänden erdrückt zu werden. Die vier Musiker haben die Grenzen ihres eigenen Perfektionismus soweit es geht ausgelotst, ohne dabei je konstruiert oder unnatürlich zu wirken.
Die Katze ist aus dem Sack und sie ist lebendiger denn je. Schrödinger wäre entsetzt. Oder nicht. „In A Box“ ist ein meisterhaftes Debüt-Album geworden und überzeugt auf ganzer Linie. Kid Dad sind eine junge Band, die ihresgleichen sucht. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist es beruhigend zu wissen, dass auch aus der grössten Ungewissheit hervorragende Dinge entstehen können, wenn man gewillt ist, sich dafür genügend Zeit zu nehmen.