Date: 17. Februar 2009
Website: www.letzte-instanz.de
Written by: Cyril Schicker
Letzte Instanz im Gespräch
Es ist ein Roman von William Gaddis, ebenso eine Ebene in der Gerichtspraxis und zudem eine altberliner Gaststätte. Allesamt steht für Letzte Instanz. Letzte Instanz ist aber auch eine erfolgreiche Rockband, die auf ihrer Tournee ab März 2009 den neusten Silberling «Schuldig» vorstellt. Sänger Holly freut sich auf den Schweizer Auftritt im Zürcher Abart und lässt sich in sympathisch-entspannter Manier auf den Zahn fühlen.
Cyril: Letzte Instanz ist keine Einmann-Show, sondern gespickt mit unterschiedlichsten Bandmitgliedern. Wie viele Personen spielen zurzeit regelmäßig?
Holly: Letzte Instanz besteht seit 2005 aus sieben regulären Mitgliedern. Das sind im Einzelnen Holly d. (Rhythmusgitarre, Backgroundgesang), Michael Ende (Bass), Specki T.D. (Schlagzeug), Oli (Gitarre), Muttis Stolz (Violine), Benni Cellini (Cello) und ich als Sänger.
Seit 1997 gab es mehrere bedeutende und grosse Änderungen in der Besetzung der Band, wobei die letzte Umgestaltung 2003 beinahe ins Aus geführt hätte. Doch seit 2005 ist nun alles konstant.
Cyril: Was ist für Dich das Besondere an diesem Menschen-Kunterbunt?
Holly: Wir holen uns ab und an mal Kollegen aus anderen befreundeten Bands oder uns nahe stehende Solokünstler ins Boot, um die Gene frisch zu halten. Bei dieser Masse an Leuten wird jede Tour zu einem besonderen Erlebnis, denn nach vier Tagen gemeinsam im Tourbus, riecht selbiger schon wie das Alfred-Brehm-Haus (A.d.R.: Das ist das sogenannte Katzenhaus, wo sich jeweils verschiedenste Raubkatzen die Klinke in die Hand geben) in Berlin. Zudem sind wir dann einen halben Monat unterwegs in „der Schüssel“. Bei sieben bis teilweise zehn Künstlern zuzüglich vier bis acht Mann Crew, ist das Leben im Tourbus schon recht unterhaltsam, da kann man sich jeden Tag mit einem anderen abgeben.
Cyril: Ist das Vielerlei finanziell zuweilen eine Gefahr und auch sonst teilweise ein bisserl risikoreich, zumal jeder sein Standpunkt geltend machen möchte?
Holly: Finanziell birgt das keine Gefahr, denn die Gagen werden vorher abgemacht und abgerechnet wird, wie in jedem anderen Beruf auch, über Rechnung und Gagenzahlung nach Rechnungslegung. Natürlich muss man bei der Personenvielfalt anders kalkulieren als bei einem Soloprojekt, denn das Hauptgeld kommt natürlich über den Eintritt (Konzerten). Das wissen aber die Beteiligten und somit gibt es da auch keine Probleme.
Cyril: Bleiben wir mehr oder weniger beim monetären Aspekt – diesbezüglich brennt es doch vielen unter den Fingernägeln. Musik als Lebensunterhalt quasi. Seid ihr alle Vollblutmusiker (damit meine ich natürlich, ob ihr hauptberuflich mit den Instrumenten unterwegs seid)? Wenn nicht, wer von euch geht welchem Steckenpferd (Nebenprojekte o.ä.) oder Beruf nach?
Holly: Ja, wir machen das hauptberuflich. Allerdings, um neben den ganzen Rechnungen auch noch ein „All-Inclusive-Urlaub“ in Antarctica bezahlen zu können oder die tour- und albumfreie Zeit der Band auszunutzen, geht der eine oder andere dann trotzdem noch einem Nebenjob nach. Specki T.D. zum Beispiel spielt noch als Schlagzeuger bei Mia Aegerter und anderen Acts. Oli und Michael Ende geben Bass- oder Gitarrenunterricht in ihren Heimatstädten. Holly d. arbeitet als freischaffender Redakteur bei einem deutschen Fernsehsender, Muttis Stolz betreibt sein eigenes Tonstudio in Dresden, Benni ist Vater und ich schreibe Romane sowie Kurzgeschichten (A.d.R.: Verlag www.periplaneta.com ist für den Vertrieb zuständig).
Cyril: Romane und Kurzgeschichten also … In welche Richtung tendieren denn Deine Schreibergüsse?
Holly: Das ist ganz unterschiedlich, ein Kinderbuch habe ich beispielsweise bereits veröffentlicht. „Eiszeitreise“ habe ich dieses Werk getauft. Ebenfalls bereits käuflich ist „Weisse Geschichten“, ein Sammelsurium von Fan-Geschichten. Zurzeit bin ich dabei, einen Geschichtsroman zu Papier zu bringen, eine Story über zwei aufeinander prallende Religionen.
Cyril: Bist Du als „Wort-Virtuose“ denn auch für die Songtexte verantwortlich?
Holly: Ich möchte nicht sagen, dass nur ich derjenige bin, der sich darum kümmert. Doch seit ich in der Band bin, hat es sich so ergeben, dass ich zumindest für den grösseren Teil besorgt bin.
Cyril: Ich warte jetzt voller jugendlichem Übermut mit einer etwas obsoleter Frage auf, bin aber gespannt auf Deine Reaktion. Wenn ihr euer Musikstil beschreiben oder eure Musikstil-CD ins Kategorien-Regal einräumen müsstet, wo findet man Letzte Instanz? Und wer sind eure Vorbilder?
Holly: Wenn ich den Musikstil der Letzten Instanz beschreiben müsste, würde ich kurz und knapp sagen, er sei eine Mischung aus „Rammstein“ und „PUR“. Ich persönlich habe da keine direkten Vorbilder, aber ich denke unser Gitarrist Oli und Trommler Specki T.D. werden schon heimlich von dem einen oder anderen träumen.
Cyril: Holly, Du bist seit Februar 2005 bei der Band. Wie kam es dazu und was hast Du vorher gemacht?
Holly: Nach dem Ausstieg des alten Sängers herrschte – wie eingangs erwähnt – über knapp anderthalb Jahre Flaute bis Untergangsstimmung bei Letzte Instanz. Ende 2004 löste sich meine Berliner Band „the comuvnics“ auf und ich stand als Sänger nun ohne Band da. Ein befreundeter Produzent aus Berlin vermittelte dann nach Dresden und ich reiste in ihr Heimatort. Letzte Instanz hatte eine Art „DSDS“ (Dresden sucht den Singeheinz) ausgeschrieben und ich gewann dann eben diesen Topf.
Cyril: Du sprichst von der ehemaligen Berliner Band, darf ich davon ausgehen, dass Du denn auch dort aufgewachsen bist? Und was führte Dich nach Istanbul?
Holly: Ja, Du darfst davon ausgehen, gerne sogar. Berlin mag ich sehr und immer, wenn es die Zeit erlaubt, besuche ich meine Familie und Freunde. Jedes Mal bin ich sehr überrascht, wie sich die Stadt quasi über Nacht stark verändert. Und in die Türkei führte mich die Liebe. In Istanbul fühle ich mich noch immer ganz wohl. Seit drei Jahren bin ich übrigens verheiratet.
Cyril: Trotz der aufkommenden Romantik erlaube ich mir einen abrupten Themawechsel. Das Schlagwort ist jetzt „Schulterschluss“. Die sind in der Musikindustrie total en vogue. Ihr habt ebenso Gastsänger mitwirken lassen (e.g. Eric Fish (Subway to Sally), Sven Friedrich (u.a. Zeraphine), Marta Jandová (Die Happy) oder Thomas Lindner von Schandmaul). Wie kommen solch’ Kollaborationen zustande, was ist das Ziel und wen habt ihr sonst noch in eurer Wirkungsstätte „beherbergt“?
Holly: Meistens passiert so etwas spontan. Viele Kontakte ergeben sich auf Festivals, wenn an einem Abend sieben oder acht Bands spielen und alle im Prinzip den ganzen Tag hinter der Bühne abhängen. Da macht eine Band etwa ein Album und die Nächste mischt gerade wieder. Eine Andere hat soeben Tourstart und so weiter. Man kommt ins Erzählen und fängt an, Ideen zu spinnen. Das Schöne dabei ist, dass ein gewisser Teil der Ideen tatsächlich passieren. Es ist dagegen eher selten, dass mal auf dem Postweg ein anderer Künstler angefragt wird. Das Ziel dabei ist immerzu, ein wenig Abwechslung in das Album zu bringen. Einige Beispiele: Frau Schmitt von Subway to Sally spielt eine ganz andere Violine als Muttis Stolz. Das hört man. Oder Anna Katharina Kränzlein von Schandmaul macht eine ganz andere und bei weitem bessere Figur auf der Bühne, wenn sie ihre Bratsche schwingt. Bei Bedarf an Piano und dem dazugehörigen Spieler brauchen fragen wir gerne Leandra (A.d.R.: mehr zu Leandra findet ihr unter www.leandrasphere.de). Johanna Mittag und ihre Tochter Henriette haben uns ebenfalls schon ihr Können an Violine sowie Bratsche gegeben. Die Reihe setzt sich unendlich fort bis hin zu unserer neuesten Zusammenarbeit mit der herausragenden türkischen Künstlerin Aylin Aslim.
Cyril: Ihr habt einem neuen Silberling Leben, es ist das zehnte Album, eingehaucht und dieses Kind „Schuldig“ getauft. Bin ich damit gemeint respektive schuldig gesprochen, weil ich lapidare Fragen stelle, die ungefähr so trocken daher kommen wie zehn Meter staubiger Feldweg?
Holly: Ja also zehn Meter Feldweg … Das erinnert mich an den „Bussgang von Canossa“. So oder so, im Prinzip bist Du tatsächlich schuldig, denn durch Deine Arbeit erfährt die Welt überhaupt erstmal von unserem Schaffen. Doch auch wir sprechen uns eindeutig schuldig, denn wir penetrieren die Welt ja immer wieder Jahr aufs Jahr mit einem neuen Album und einer oder zwei dazugehörigen Touren. Dazu beschallen wir noch den ganzen Sommer. Zu guter Letzt sind auch unsere Fans schuldig, denn wenn sie nicht wären, bräuchten wir das alles nicht machen (oder dürften). Insofern ist wohl jeder ein kleines bisschen schuldig, dass es Letzte Instanz als Band überhaupt gibt. Das ist ein stetes Geben und Nehmen, welches von unserer Seite zugegebenermassen gern gepflegt wird.
Cyril: Die Pressestimmen sind fast durchs Band total löblich und wohlwollend. Viele reden dabei auch vom rockigsten Album. Ich habe bisher nicht viel hören können, doch für meinen Geschmack ist es relativ „poppig“ ausgefallen. Was meinst Du dazu?
Holly: Was die Stimmen aus der Presse anbelangt, halte ich mich immer ein wenig bedeckt, denn Geschmack ist doch sehr relativ und vor allem subjektiv. Auch hast Du mit Sicherheit eine (vielleicht sogar total) andere Definition von Rock als ich. Insofern ist diese Frage zu knifflig, um mehr als nur ansatzweise beantworten zu können.
Cyril: Gut gebrüllt Löwe! Apropos brüllen (wobei brüllen das falsche Worte ist), es ist neben Deiner Stimme auch eine weibliche Vocalistin zu hören. Wer ist das?
Holly: Die weibliche Stimme auf dem Album, explizit auf dem Stück „Der Garten“ gehört unserer Neuentdeckung des Jahres, nämlich Aylim Aslim. Wie kurz angetönt, sie ist eine türkische Künstlerin. Sie wohnt mit mir zusammen in Istanbul und hat auch schon gute Rock- oder Pop-Alben (Definitionsfrage) veröffentlicht. Sogar ein Lied zum Film „Gegen die Wand“ hat sie als Soundtrack abgeliefert. Leider aber kommt sie auf unserer Tour durch Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht mit.
Cyril: Zu guter Letzt drücke ich Dir mein absolutes Letzte-Instanz-Schmuckstück aufs Auge – „Das Spiel“ aus dem Jahre 1999. Du warst zu dem Zeitpunkt zwar noch nicht bei der Band. Trotzdem aber bin ich neugierig und möchte gerne wissen, ob ihr noch viele Tracks davon an Konzerten spielt, wie Du dazu stehst.
Holly: Im Grossen und Ganzen hat die Band mit der Epoche sowie dem dazu gehörenden Musikstil, dem sogenannten Mittelalterrock, abgeschworen. Trotzdem steht auch bei mir das Album im Schrank und hat einen besonderen Stellenwert.