Band: Dream Theater
Album: The Astonishing
Genre: Progressive Metal
Label/Vertrieb: Roadrunner / Warner
Veröffentlichung: 29. Januar 2016
Webseite: dreamtheater.net
Es gibt so was wie eine Konstante im Prog-Metal-Universum. Dies betrifft die Qualität der US-amerikanischen Prog Metal Band Dream Theater, auf derer detaillierten Vorstellung sicherlich verzichtet werden kann. Mit wunderbarer Regelmässigkeit beliefern Dream Theater ihre Fans mit ausgefeilten und komplexen Alben und mittlerweile sind es schon 13. Seit dem letzten Release sind inzwischen gut zwei Jahre vergangen und im Veröffentlichungsrhythmus von Dream Theater heisst das, dass wohl ein neues Album folgen MUSS. Surprise, surprise – vor ein paar Monaten kündigte die Band auch tatsächlich ein neues Werk an.
Grund genug, um den Jungs mal auf den Zahn zu fühlen, worauf artnoir gleich mal ein Interview mit Tasten-Gott Jordan Rudess anfragte und auch prompt bekam. Schenkt man Mister Rudess’s Worte uneingeschränkt Glauben, so kommt etwas Grossartiges auf die Fans zu. Aber auch Herr Rudess weiss inzwischen wie man PR und Marketing macht und so sollte man solche Aussagen stets mit entsprechender Vorsicht bzw. Objektivität aufnehmen. Wohl kein Musiker sagt einem Journalisten: „Hey Mann, wie haben uns den Hintern abgearbeitet und dennoch nur Grütze produziert“.
Episch?
Jordan beschreibt den Entstehungs-Prozess des neuen Werks so: „Das ist nun wirklich das aufwendigste Projekt von Dream Theater, was wir je auf die Beine gestellt hatten. Auf „The Astonishing“ findet ihr 33 Tracks mit einer Gesamtspielzeit von über 2 Stunden. Das ist massiv! John Petrucci kam mit der Idee auf und schrieb eine Geschichte im Sinne von „The Wall“ oder „Jesus Christ Superstar“ und es war von Anfang an klar, es könnte alles daraus resultieren: ein Musical, ein Buch oder sogar ein Film. Nachdem die Geschichte finalisiert wurde, haben wir zwei uns zusammengetan und den Soundtrack dazu geschrieben. Das war für mich eine unglaublich spannende Erfahrung, an diesem Songwriting-Prozess mitwirken zu können.“
Nun, man ist es von den Herren gewohnt, dass Qualität und Virtuosität Programm ist. Programm hatten auch diesmal die Marketing-Verantwortlichen von Dream Theater bzw. von Roadrunner, denn man liess häppchenweise die Informationen über das neue Werk den Medien zukommen. Auch auf Dream Theaters Website präsentierte man in unregelmässigen Abständen die einzelnen Charaktere der Story des Konzeptalbums.
Uns war es vergönnt, anlässlich besagten Interviews mit Jordan Rudess, die ersten 8 Songs von insgesamt 33 anzuhören. Dies gab schon einmal einen Einblick auf das, was die Prog-Metal-Gemeinde schon lange neugierig erwartet. Was soll man sagen? Gewohnt professionell und mit unverkennbaren musikalischen Elementen kommen die Songs daher. Doch fehlte anfänglich irgendwie die Initialzündung oder nennen wir es Donnerschlag und der erwartete Kracher blieb aus. Doch wir erinnern uns an das Interview mit Tastenmann Rudess, der da bekanntlich sagte, es käme was… Egal. Schwamm drüber.
Die Geschichte dahinter
Wir wollten natürlich auch genauer wissen, um was es denn nun textlich konkret geht, denn irgendwie klingt alles noch sehr verzerrt. Jordan erzählte: „The Astonishing handelt von einem Ausblick in die Zukunft, 300 Jahre schaut man in die Zukunft unseres Planeten Erde. Die Technik hat die Macht übernommen, was sich unglaublich bedrückend auf Natur und Menschheit auswirkt. Auf der einen Seite herrscht ein tyrannisches Regime, welches die Kontrolle über alles und jeden versucht zu erlangen und auch Musik verbietet, auf der anderen Seite gibt es eine Art Bande welche sich auf die Spiritualität der Menschheit konzentriert.
Es wird versucht aus diesem Dilemma der zwei Fronten herauszufinden und plötzlich taucht die Figur des Gabriel auf. Er verkörpert die Schönheit der musikalischen Seele und besitzt so etwas wie magische Kräfte. Er wird quasi als Retter dargestellt und soll die Systeme zusammenbringen. Auch die NOMACS (Noise Machines) spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte. Die Tyrannen schicken diese Maschinen los welche dafür sorgen, dass die Bevölkerung taub und gefühllos wird.
Es gibt auch andere Aspekte in der Story, wie zum Beispiel eine Liebesgeschichte, ein bisschen Drama und auch Gewalt findet statt. Was wir jedoch möchten ist, dass sich die Leute selbst mit der Geschichte befassen und die Texte lesen. Sie sollen selbst herausfinden, was wir im Detail mit dem Konzept erzählen möchten. Ich würde sagen, dass der dritte Song auf dem Album „A Gift Of Music” inhaltlich die Thematik von „The Astonishing“ auf den Punkt bringt. Die Art und Weise wie John Petrucci den Songtext verfasst hat, und er hat alle Texte geschrieben, klärt exakt auf, um was es geht.
Lustig, dass die Promo fast zeitgleich mit dem Blockbuster Star Wars 7 rauskam, und eine gewisse Ähnlichkeit lässt sich irgendwie nicht von der Hand weisen. Aber wer weiss, vielleicht ist das ja alles Zufall. Drei Wochen später, werden dann auch die restlichen Häppchen verteilt und man hat eine ansehnliche Sammlung von 33 musikalischen Werken zusammen, die als Ganzes eine orchestralische Geschichte erzählen, die oftmals mit grossen Chören untermalt wird. Unterstützt wird hier durch die Prager Philharmoniker unter Leitung von David Campbell.
Vor allem John Petrucci zeigt eindrucksvoll, dass er zu Recht zu den Besten seiner Zunft zählt. Kernig virtuose Riffs, die seine Metal-Wurzeln unverblümt offenlegen, wechseln sich mit gewohnt akrobatischen Solis ab, die trotzdem keine Sekunde, die für den Maestro typischen Melodien und Harmonien vermissen lassen. Kompositorisch zeigte sich einmal mehr Petrucci verantwortlich. Dass er hierbei von Jordan Rudess unterstützt wurde, kann man auch gut heraushören. Die beiden Herren drücken dem Album ihren Stempel auf und auch Ahornblatt-Vocalist James LaBrie trällert mit seiner unverkennbaren Stimme seinen Beitrag zum Album. Myung und Mangini im Detail zu erwähnen macht keinen Sinn. Ihre Leistung ist eh tadellos und sie gehören einfach als feste Institution zu einer der besten Prog-Metal-Grössen unserer Zeit – nothing more to say!
„The Astonishing“ ist sicher kein Album, das man startet und alsbald in Ekstase schwelgt. Manchmal hat man das Gefühl einem nimmer enden wollendem Vorspiel beizuwohnen und man erwartet sehnsüchtig und heiss den Höhepunkt, der aber irgendwie auf sich warten lässt. Manchmal glaubt man einem Musical beizuwohnen, dann wieder eher einer Rock-Oper und die Protagonisten lassen auch Tango-, Dixie- und Swing-Elemente einfliessen. Nun, das ist alles nichts Neues bei den Dreamis und viele Elemente erinnern an vorangegangene Kompositionen. Ist das schlimm? Nein, definitiv nicht, denn es ist und bleibt nun mal Dream Theater und man sollte nicht bei jedem Album erwarten, dass sich die Band neu erfindet.
Ist die Show ein Must?
Wir werden allerdings den Verdacht nicht los, dass es elementar sein könnte, die kommende Show von Dream Theater ansehen zu müssen um einen engeren Bezug zum Album zu bekommen. So hört man oft eine Geräuschkulisse, die zwar zur Geschichte gehört, welche man aber irgendwie nicht wirklich zuordnen kann oder will. Schwer zu sagen, wie es sich im Konsens mit den Projektionen verhält, auf dem Album sind es halt Elemente, die den Hörer ein wenig alleine lassen, zumindest den, der sich nicht mit der Geschichte auseinandersetzen will, sondern einfach nur gute Musik hören will. Ähnlich verhielt es sich auch mit Devin Townsends „The Retinal Circus“. Wer am Gig in London dabei war, hatte diese unglaublichen Eindrücke und die bombastische Stimmung, die das Album einfach nicht zu transportieren vermochte. Womöglich ergeht es uns bei „The Astonishing“ genau so.
Jordan Rudess verspricht uns in jedem Fall, dass sie dieses Mal visuell einiges zu bieten haben. Auf die Frage, ob man nun mit galoppierenden Pferden und Schwertkämpfe zwischen den einzelnen Musikern rechnen darf, schmunzelt er nur und wiederholt: „Das wird ganz ganz gross werden. So etwas hat man von Dream Theater bis anhin noch nicht gesehen“ Nun, das wollen wir hoffen, denn sonst wären die Ticketpreise für das Konzert am 23. März 2016 im Kongresshaus Zürich ein wenig teuer.
Wir teilen Jordans Begeisterung noch nicht vollumfänglich, zumindest so lange nicht, bis wir die Show gesehen haben und so bleibt als Urteil ein gut bis sehr gut.
Das ist wirklich gut produzierte Musik, teilweise ein wenig zu sanft und zu theatralisches Storytelling und wenn es dann mal so richtig abgeht und die Metal-Seele brüllt: „Give me more!“ kommt dann schon wieder dieses Abflachen in seichte Gefilde, was ja nicht schlecht ist, aber wir sind halt nun mal keine Schwiegermutter-Rocker sondern Vollblut-Kracher mit flüssigem Metall in den Adern und dafür ist „The Astonishing“ einfach zu schwach auf der Brust. Kompositionell und konzeptionell hingegen ist das Album ein Leckerbissen.
So, und jetzt kommt’s knüppeldick.
Natürlich kann man „The Astonishing“ auch kaufen. Wem die normale Ausführung nicht reicht, hat verschiedene Möglichkeiten sich am neuen Werk von Dream Theater zu erfreuen. Vinyl Bundle, Special Editions und zu allerletzt das Super-Special-Extreme-Masturbations-Bundle für läppische, ja schon fast unglaubliche 255 Euronen! Ja, ihr habt richtig gelesen, zweihundertfünfundfünfzig Euros (nicht Slotis oder andere Schwachbrust-Währungen).
Klar, die stetig zurückgehenden Verkaufszahlen bei den Tonträgern schreien ja förmlich nach Ersatzprodukten und es ist ja auch gut so und absolut nachvollziehbar. Aber 255 Ocken sind viel Geld. Gut, wer das bezahlen will, soll es auch. Wir, als langjährige Fans und Sammler, klinken uns spätestens jetzt aus – zumindest aus dem Bestellprozedere.
Fazit: Ist es das neue Album überhaupt wert? Ober anders gefragt, wie viel ist es denn Wert? Das ist schwierig zu sagen und es ist sicher, dass Dream Theater viel Lob aber auch einiges an Kritik einstecken müssen. Die einen werden es als genial bezeichnen und ein paar wenige vielleicht als langweilig. Für uns ist „The Astonishing“ jetzt nicht das Meilenstein-Album, das es abzufeiern gibt. Vielleicht muss man es einfach mit der Live-Show sehen und da lässt es sich nicht ausschliessen, dass sich dann neue Perspektiven eröffnen.
Bandmitglieder:
James LaBrie – Vocals
John Petrucci – Gitarre
John Myung – Bass
Mike Mangini – Drums
Jordan Rudess – Keyboards
Gründung:
1985
Text: Daniel Baratte (Review) + Liane Paasila (Interview)