18. August 2017
Steinberggasse – Winterthur
Bands: Feine Sahne Fischfilet / Broilers / Kraftklub
Webseite: musikfestwochen.ch
Feine Sahne Fischfilet betritt die Bühne und die Welt geht unter – in etwa so hat der erste Abend des kostenpflichtigen Programms der Winterthurer Musikfestwochen begonnen. Innert weniger Minuten ist jeder und jede durchnässt – ob man vor der Bühne steht oder sich noch in der Schlange vor dem Einlass befindet. Während man unterwegs noch umgeknickten Bäumen und herunterfallenden Ästen begegnet ist, muss man sich in der Steinberggasse, die auf beiden Seiten mit Wohnhäusern als Windschutz gesäumt ist, wenigstens nicht um die Sicherheit sorgen. Dafür aber um die Gesundheit – auch mit Regenschutz schafft man es kaum, trocken zu bleiben. Und der Abend hat ja erst angefangen. Nur gut, dass die Acts des Freitagabends dafür sorgen, dass man sich ordentlich bewegt – so friert man nicht ganz so schnell an den nassen Füssen.
Auch Feine Sahne Fischfilet besingen das kühle Nass – jedoch nicht in Form des Regens, sondern des Meers. Bei Songs wie „Warten Auf Das Meer“, „Mit Dir“ oder „Komplett Im Arsch“ singt das Winterthurer Publikum, das zusehends wächst, mit einem regenwasserverdünnten Bier in der Hand lautstark mit. Über die Köpfe hinweg dringen die Trompetenklänge, der Himmel leuchtet von Glitzerkonfetti – was für ein schöner Auftakt.
Als die Broilers ihr Set beginnen, ist es schon deutlich enger geworden um Publikum. Und auch wenn es schon mal nervig sein kann, wenn einem auf die Füsse getreten oder man angerempelt wird, so gehören diese Dinge doch dazu. Und ganz ehrlich, Leute, die sich ab sowas nerven, nerven erst recht.
Wenn man sich also davon nicht die Stimmung verderben lassen will und sich auf das Bühnenbild vor einem konzentriert, so geniesst man eine ausdauernde Show der fünf Düsseldorfer, die live noch Unterstützung von Musikern an Trompete, Posaune und Saxophon erhielten. Obwohl sie im Interview am Nachmittag noch das – verglichen mit ihrem letzten Festivalauftritt vor einer Woche gute – Wetter gerühmt haben, so spielen sie auch diesen Freitag wieder vor einem regennassen Publikum. Mit ihrer sympathischen Art wärmen sie einem jedoch so das Herz, dass man die Kälte fast schon wieder vergessen hat. Zudem haben sich an mehreren Stellen in der Steibi Moshpits gebildet, und durch hüpfen und schubsen wird einem ja dann auch wieder warm.
Für Biernachschub ist dank der guten Organisation der Winterthurer Musikfestwochen auch schnell gesorgt. Alle paar Meter ist eine Bar installiert, wenn auch einige ausschliesslich Bier ausschenken. Aber Deutschpunk regt ja auch nicht gerade dazu an, teures Geld für Cocktails auszugeben, also gar kein Problem. Und das heimische Chopfab lässt sich auch durchaus gut trinken.
Die Düsseldorfer von den Broilers scheinen sich in Winti wohl zu fühlen – nachmittags gab’s einen Stadtspaziergang, Fotos vor dem Erotikklub neben dem Backstagebereich, ein Interview auf der hübsch eingerichteten Dachterrasse der Schlemmerei – das diesjährige Baby der Musikfestwochen: eine überdachte Fressmeile mit kulinarischen Highlights wie Mezze, Tortillas, Vegetarischem vom Tibits, Momos und vielem mehr – und von der Bühne aus hat man einen gigantischen Ausblick auf das Meer der Tanzenden, die sich inzwischen bis ganz nach hinten in der Steibi aneinander drängen. Und die gute Laune steckt an und macht die Vorfreude auf den Headliner des Abends noch ein bisschen schöner.
Und als es soweit ist und Kraftklub mit „Hallo Nacht“ loslegt, kann niemand mehr an sich halten. „Die Nacht ist der schönste Tag“, ja, besonders wenn ihr dabei seid, liebe Kraftklubber. Das aktuelle Album „Keine Nacht Für Niemand“, angelehnt an „Keine Macht Für Niemand“ Ton Steine Scherben (was auch vor dem Konzertbeginn noch aus den Anlagen drang), scheint man im Publikum genauso gut zu kennen wie die Sachen der vorhergehenden Alben „Mit K“ und „In Schwarz“. Singend und tanzend feiert man im strömenden Regen, während Sänger Felix Brummer sich, im Tausch gegen ganz besonders hohe Leistungen der Stimmbänder der Konzertbesucher, langsam auszieht. Ganz jugendfrei – erst nur die Hosenträger und dann, irgendwann, dann doch mal noch das weisse T-Shirt.
Für „Blitzkrieg Bop“ der Ramones dürfen dann auch die Broilers und Feine Sahne Fischfilet noch einmal auf die Bühne. Die Einlage wirkt improvisiert und spontan, was den Bands des Abends noch ein paar Sympathiepunkte mehr einbringt. Den fünf Jungs aus Chemnitz ist die Freude anzusehen und Sänger Felix gesteht, das kleine, beschauliche Städtchen unterschätzt zu haben. Mit der Energie des Publikums und dem zahlreichen Erscheinen scheint er nicht gerechnet zu haben. „Ich weiss gar nicht, was ich sagen soll“, gibt er überwältigt zu. Noch am Nachmittag schlenderte er bei Sonnenschein durch die Gassen der Altstadt, während sein kleiner Bruder Till spontan eine Klettertour unternahm und wieder andere Bandmitglieder an der Töss, die dem seelosen Winterthur wenigstens eine kleine Bademöglichkeit bietet, entspannten.
Und jetzt, trotz Wetterumschwung, stehen sie auf der grossen Steibibühne und bringen die Fensterscheiben zum Wackeln. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Schweizer lauter sind als die Deutschen. Ob das daran liegt, dass die Gesetzlage hier anders ist und wir die Anlage nicht so laut aufdrehen dürfen, weiss ich nicht.“
Nach einigen Songs verlässt die Band die Bühne und nur die Gebrüder Brummer stehen im blauen Scheinwerferlicht. Nachdem Felix erklärte, dass meist nur Hip Hop-Acts vor ihnen spielten und dies ein grosser Abend für die Gitarrenmusik sei, fragte er: „Wer ist wegen Gitarrenmusik hier?“ Und, nach lautstarker Zustimmung der Audienz und mit einem schelmischen Grinsen, während die Anfangsklänge ihres Trap-Songs „500 K“ durch die Boxen dröhnen: „Da müsst ihr jetzt durch.“ Doch auch bei diesem „Rap in diesem komischen Flow“ geht das Publikum mit und kennt Strophe für Strophe.
Nach einer viel zu kurzen Show, einer Müllschlacht bei „Randale“ und nachdem sich Felix Brummer doch noch dazu hinreissen lassen hat, das T-Shirt auszuziehen, werden auch die Konzertbesucher aufgefordert, sich nackig zu machen. Trotz Regen folgen so manche seinen Anweisungen und während ein letztes Mal der Refrain zu „Songs für Liam“ durch die Gasse strömt, wirbeln T-Shirts durch die Luft und halbnackte Körper über den Asphalt.
Der Konzertabend in der Winterthurer Altstadt endet mit einer glücklichen Band, einem glücklichen Publikum und glücklichen Barbesitzern – das grausige Wetter macht wenig Lust, noch weiter draussen zu bleiben. Und für Afterpartys ist gesorgt. Und wer weiss, ob sich irgendwo sogar noch ein paar Düsseldorfer, Mecklenburger oder Chemnitzer herumgetrieben haben.
Text: Sarah Rutschmann