30. Juli 2019h
Skatepark Oberer Letten – Zürich
Band: White Fang
Zürichs oberer Letten ist ein irritierender Ort. Schauderhaft perfekte Waschbrettbäuche beweisen auf Sand, dass die daran angewachsenen Terminator-Arme mit Volleybällen umgehen können, wunderschöne Frauenkörper glänzen nicht minder gekonnt auf den abgesteckten Spielfeldern. Daneben gönnen sich bereits gestählte, von jeglicher Körperbehaarung befreite Wunderbodies eine kurze Pause, räkeln sich schmuck auf Designer-Badetüchern. Bei diesem Anblick quälen den Normalsterblichen innert Kürze grausige Mantras wie “ich-darf-nie-mehr-etwas-essen-nie-mehr-bier-nur-noch-sport-und-yoga-den-ganzen-tag-und-für-immer”. Glücklicherweise befindet sich wenige Meter flussabwärts der gemütliche Bahnwagen, in dem sich die traumatischen Gedankenwalzen mit Bier lindern lassen.
Exakt zwischen diesen beiden ungleichen Sphären soll er nun stattfinden: Der unbewilligte Openair-Gig der sympathischen Freaks von White Fang aus Los Angeles. Sie haben bereits zahlreiche Alben veröffentlicht und besitzen ein eigenes Label, “Gnar Tapes”. Der Stadtevent-Newsletter Ron Orp hatte das Konzert zwar angesagt, aber nicht am richtigen Ort. Von meiner geheimen Kontaktperson wusste ich den genauen Standort: der Skatepark unter der Kornhaus-Brücke. Zuerst müsse die Polizeipatrouille abgewartet werden, bevor das Equipment aufgestellt werden könne, hiess es. Alle sollen pünktlich um 20 Uhr erscheinen, die Show dauere höchstens eine Dreiviertelstunde. Whoop, whoop, wie aufregend! Um 20 Uhr stieg entsprechend die Spannung – und nichts regte sich. Ken und Barbie spielten weiter Ball, im Bahnwagen wurde Bier ausgeschenkt. Wer von den Anwesenden wohl zum künftigen Publikum gehört? Erst viel später fuhr ein Minivan schwungvoll vor, Schlagzeugbecken, Gitarren und Mikrofon wurden in der Half-Pipe aufgestellt.
Selten macht ein Konzert so viel Spass, bevor es überhaupt angefangen hat. Hat White Fang die Erwartungen zu sehr in Höhe getrieben? Nein. Die Band wurde ihrem spektakulären Anflug ins Herz von Zürichs Fitnesspräsentationszentrum absolut gerecht. Sie schleuderte astreinen Skater-Punk in die laue Sommerluft, trotz fehlendem Soundcheck in passabler Qualität. Die vier Herren lieferten Showeinlagen in der Half-Pipe und Sänger Rikky Gage zog schon nach wenigen Takten sein Shirt aus, um stolz seinen eindrücklichen Bauch zu präsentieren – mutmasslich durch kiffensbedingte Schlemmerein und konstanten Alkoholkonsum trainiert.
Das Publikum füllte im Nu den ganzen Platz aus – wo sich all diese normalen Wesen vorher versteckt hatten, bleibt ein Geheimnis. Die Crowd war erfreut, verdankte die Leistung der Musiker mit lautem Gebrüll und tanzte mit. Der eine oder andere verwunderte Passant blieb stehen und wiegte auch bald seine Sitzkissen. Sogar die Polizei war gnädig und kreuzte pünktlich erst nach dem letzten Song auf, um den Abbau der Gerätschaften zu beaufsichtigen. Es hat sich gelohnt, sich den Letten wieder einmal anzutun.
Text: Nicole Müller