2. – 5.Juni 2017
Wave-Gotik-Treffen – Leipzig
Freitag
Schon am frühen Nachmittag war der Clara-Zetkin-Park sehr gut gefüllt. Am Eingang hinter den Springbrunnen und gegenüber des Pavillons waren die Wiesen gefüllt mit viktorianisch gekleideten Menschen. Dazwischen fanden sich aber auch fast genauso viele Menschen aus Leipzig und dem Umland, welche die Besucher fotografierten. Wenig überraschend hatte ich dort einige Freunde getroffen, die dafür sorgten, dass ich dort länger verweilte, als ursprünglich gedacht. Dies ging sicher auch anderen so. Hieran merkte man, dass das WGT doch hauptsächlich einen sozialen Charakter besitzt und das Wort „Treffen“ im „Wave Gotik Treffen“ seine absolute Berechtigung hat.
Das Konzert, zu dem ich eigentlich wollte, habe ich dadurch verpasst, was ich aber nicht als schlimm empfand. Anschliessend noch kurz in der halb-vollen Agra shoppen und wieder Leute treffen und sich gut unterhalten … Fast hätte ich so auch Umbra et Imago verpasst, die ich dann aber doch noch sehen konnte. Diese Band war für mich früher eine echte Bank im Gotik-Bereich gewesen, nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Live-Performances. Heute aber konnten sie mich nicht begeistern. Ich hatte das Gefühl, dass Mozart nur jeden zweiten Ton traf, und von der Bühnenshow, wie man sie aus alter Zeit kannte, war nichts mehr übrig geblieben. Darüber konnte auch ein agil auf der Bühne agierender Mozart nicht hinwegtäuschen.
Danach ging es etwas raus aus der Stadt und rein ins NonTox: Centhron anschauen – diesmal draussen und bei Tageslicht. Wie gewohnt lieferte die Band eine wirklich gute Show ab, die das Publikum komplett mitriss. In den ersten Reihen war Party und in den letzten Reihen tanzten die Cybergothics. Nach einer Bratwurst setzte ich mich erneut ins Auto, um zur Kuppelhalle zu fahren – zu meinem eigentlichen persönlichen Höhepunkt des heutigen Tages: Ordo Rosarius Equilibrio. Die Kuppelhalle mit ihrer kirchenähnlichen Akustik passte sehr gut zum Sound der schwedischen Band. Sie gaben einen guten Mix aus Klassikern und neuen Songs zum Besten. Zwischendurch verschlug es Tomas kurz die Stimme, so dass die letzte Minute des Songs spontan ausschließlich instrumental gespielt wurde. Das Publikum war sehr begeistert von der Darbietung der Schweden. Den Abend liess ich anschliessend, gemeinsam mit Freunden, in der Agra ausklingen. Gegen drei Uhr beschloss ich, mich Richtung Bett auf den Weg zu machen. Morgen wird wieder ein langer Tag …
Samstag
Am Freitag erfuhr ich von einer guten Freundin, dass heute Trobar de Morte, eine Mittelalter-Fantasie-Folkmusik-Gruppe aus Spanien, spielen würden – und zwar abseits des Wave-Gotik-Treffens. Das Konzert solle in der Kirchenruine Wachau, etwa fünf Kilometer südlich der Agra, stattfinden. Da mein persönliches Programm ein wenig später begann, nutzte ich die Zeit und fuhr zur Kirchenruine. Die Erfahrung aus den letzten Jahren hatte sowieso gezeigt, dass es zwar schön ist, sich einen Plan zu machen, aber man die besten Momente manchmal doch ganz woanders erlebt.
Bei strahlendem Sonnenschein bei der Kirche angekommen, sah ich rund um die Ruine herum Menschen, die sich unterhielten oder einfach nur der Musik lauschten, welche aus dem Innern nach aussen schallte. Am Kircheneingang gab es sogar eine Schlange von Leuten, die nicht reinkam, weil alles besetzt war. Die sechsköpfige Band spielte frohgemut auf und begeisterte nicht nur mich, sondern zog auch auch das Publikum in ihren Bann. Kurz vor Schluss – mit Blick in den sich langsam zuziehenden Himmel – fragte die Band, ob sie noch eine Zugabe geben sollten. Eine wahrlich rhetorische Frage. Die Antwort kam in Form begeisterten Beifalls. Das Timing hätte nicht perfekter sein können: Fünf Minuten nachdem der letzte Ton erklang, öffnete der Himmel seine Pforten und schickte schlagartig Wassermassen gen Erde.
Im strömenden Regen gings nun auf zum Kohlrabizirkus: Stahlmann stand auf dem Programm.
Stahlmann hatten die Hütte wirklich gut gefüllt. Mart verstand es von der ersten Note an, die Leute mit zunehmen. Neuigkeiten gab es auch: Das Lied „Engel“ widmete er dem neuen Nachwuchs von Max, der deshalb auch nicht auf den letzten beiden Videos dabei sein konnte.
Auf die harten Rhytmen der Göttinger folgte in der Moritzbastei erneutes Kontrastprogramm: Rroyce, eine Band aus dem Ruhrgebiet – bestehend aus drei sympathischen Protagonisten – luden zum Tanz. Nach dem Konzert war ich wie geflasht. Bitteschön, was war das denn? Vom ersten Augenblick an, nachdem Casi, der Sänger, auf die Bühne stürmte, ging die Party auch schon los. Einen technisch bedingten kurzen Aussetzer beim Keyboard hatte Casi, nur in Begleitung des Basses, acapella sehr gut überbrückt. Zu „Run, Run, Run“ begab er sich mitten ins Publikum und es war cool mitanzusehen, wie er die Menge im Griff hatte: Ging er vorwärts, bewegte sich die Menge im selben Takt zurück – ging er rückwärts, folgte sie ihm ebenfalls gut gelaunt. Auch die Interaktion der Musiker untereinander zeigte, mit welcher Begeisterung sie ihre Musik machen.War Trobar de Morte schon mein persönlicher Höhepunkt des Tages gewesen, bevor der Tag richtig angefangen hatte, musste ich nun sagen, war dieser Gig sicherlich der zweite.
Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen und ich machte mich auf den Weg zu Klangstabil in die Agra – wieder eine ganz andere Art von Musik. Boris May und Maurizio Blanco machen nun schon seit über 20 Jahren gemeinsam Musik und haben ein entsprechend eindrucksvolles Repertoire vorzuweisen. Zwischen den Songs gab es von Boris immer wieder kritische und polarisierende Zwischentöne – über die Szene, über Menschen und über Musik.
Den Konzerttag beendete ich mit VNV Nation. Ronan und Mark spulten in gewohnter Art ihr Programm ab, wie man es von jedem ihrer Konzerte her kennt. Dabei rissen sie die feiernden Zuschauer von der ersten Sekunde an mit. Ronan versicherte sich immer wieder der Stimmung mit einem „Ist das alles?“, was die Menge stets mit lautem Johlen immer quittierte. Eigentlich wär nun Heimfahren angesagt gewesen – aber wozu hat man Freunde, die meinten, dass man doch unbedingt noch in der Moritzbastei zu guter Musik tanzen gehen könne?
Sonntag
Nach nur fünf Stunden Schlaf begann der Tag früh mit einem stimmungsvollen „Wohnzimmerkonzert“ der Jungs von KimKoi – ein wirklich guter Einstand in den heutigen Tag. Gleich um die Ecke war die Weinverkostung, zu der Thomas Rainer und Oswald Henke luden. Dort habe ich in lockerer Atmosphäre „alte Freunde“ getroffen und neue und nette Leute kennengelernt. Nicht nur aus Österreich und dem Aargau waren Leute da – sogar jemand aus Australien war dabei. Hier hatte ich mich dann auch länger aufgehalten als ursprünglich gedacht. Für mich stand danach fest: Die Weinverkostung wird nächstes Jahr definitiv auf meiner To Do-Liste stehen.
Danach spielten Nachtblut im Felsenkeller/Naumanns. Ich hatte diese Band nur auf dem Schirm, weil dort Ablaz von Stahlmann mitspielt. Die Jungs hatten echt gut eine Stunde lang gerockt. Da der Tag doch sehr früh begann, suchte ich mir nun ein Lokal zum Frühstücken. Es war 18:15 Uhr und es schien die Sonne, als wäre gerade Mittag.
Den Tag beendete ich mit zwei Urgesteinen: The Mission mit vielen Klassikern und Skinny Puppy mit einer abgefahrenen Show bildeten den perfekten Abschluss des heutigen Tages.
Moment. Sagte ich „Abschluss“? Nach der Show ging es noch weiter zur Moritzbastei, um zu düsteren Klängen die Nacht zum Tag zu machen.
Montag
Nach einer durchtanzten Nacht startete der Tag am frühen Nachmittag mit Oswald Henke im Haus Leipzig. Das Haus war bis auf den letzten Stuhl besetzt. Aus der ausgeschriebenen musikalischen Lesung wurde am Pfingstmontag dann doch mehr ein „Klavier-und-Stimme-Konzert“. Pianist war Sebastian Böttcher. Oswald brachte in gewohnt eindrücklicher und emotionaler Manier Texte unter anderem zum aktuellen Tagesgeschehen und regte damit die Zuschauer zum Mitdenken an. Einige seiner Aussagen waren sicherlich unbequem, aber Oswald verstand es sehr gut, einem den Spiegel der Gesellschaft vorzuhalten. Zum Abschluss gab es berechtigterweise dann auch stehende Ovationen.
Entspannt konnte ich dann zum Täubchenthal fahren, wohin nun auch die neu eingerichtete Linie 32 fuhr – und auch nächstes Jahr wieder fahren soll. Dort gab es ein wenig Horror Punk: Johnny Deathshadow machten nicht nur optisch was her, sondern bewegten auch das Publikum mit ihrem harten Sound. Frontmann Jonathan Schneider bewies zwischen den einzelnen Songs eine Menge Humor, der auch gut vor der Bühne ankam. Ansonsten gab es während des Konzerts richtig auf die Zwölf. Kurz vor Schluss wurde ein Pogo-Circle gebildet, bei dem auch Bassist Sascha mit seinem Instrument mitmischte.
Zu Erdling im Kohlrabizirkus wurde es dann wieder richtig rockig. Es gab harte und mitreissende Rhythmen zum Mittanzen. Gut gelaunt fuhr ich weiter zur Agra: Funker Vogt in neuer Besetzung anschauen. Der neue Sänger ist seit einiger Zeit der von Agonoize und The Sexorzist her bekannte Chris L. Ich war sehr gespannt darauf, wie sich die Band in ihrer neuen Zusammensetzung live geben würde. Die Show begann jedenfalls recht eindrucksvoll – mit Chris L. mit Hannibal Lecter-Maske auf einem Holzthron sitzend. Ohne Frage, die Jungs gaben wirklich alles; aber was ich ein wenig vermisste, war die eher melodische Stimme des früheren Sängers Jens Kästel. Chris‘ Art zu singen war mehr ein Shout-Gesang – etwas, was man von Agonoize her kannte. Den meisten schien es aber gefallen zu haben. Ich konnte mich mit dieser Art von Gesang in Kombination mit der Band Funker Vogt leider nicht anfreunden.
Den Ausklang des diesjährigen Wave-Gotik-Treffens sollte im Kohlrabizirkus Dorsetshire & Gäste sein. Die Band wurde 1992 gegründet und löste sich 1998 schon wieder auf. Heute gab es eine Reunion. Die Band um Jürgen „Monaco“ Ellenrieder, mit der Unterstützung von Bruno Kramm, brachte ihre alten Hits im neuen Gewand auf die Bühne. Es gab auch „neuere“ Songs wie „Time Machine“ aus dem Jahr 2006 zu hören, den es bisher noch nicht auf einer CD gibt.
Gäste waren Thomas Lüdke (The Invincible Spirit) und Tim Vic (Nosferatu). Den Song „Straße der Verdammnis“ widmete Kramm mit den Worten „Ob er die Straße der Verdammnis geht?“ dem aktuellen Präsidenten der USA. Zum Abschluss gab es zusammen mit Tim Vic noch den Das Ich-Klassiker „Gottes Tod“, wobei es neben Monaco hauptsächlich Bruno war, der dieses Stück sang. Den Abschluss des Sets machte „Das Destillat“ – rockig, mit ordentlich Druck von den Drums. Punkt Mitternacht war dann mit der gemeinsamen Verabschiedung Schluss. Was ich schade fand, war, dass recht wenig Leute zu Dorsetshire kamen. Der Kohlrabizirkus war gerade einmal zu einem Drittel gefüllt. Kannten so wenig Leute diese Band, oder war es für viele schon zu spät, da sie sich bereits auf der Heimreise befanden? Ich fand, sie hatten den alten Sound aus den Neunzigern gut aufbereitet auf die Bühne gebracht, und bin sehr gespannt darauf, was man in Zukunft noch von ihnen hören wird.
Damit endete ein wirklich gelungenes Wave-Gotik-Treffen 2017 – ein Festival, wie es sein sollte: Ein Treffen, ein Aufeinander zukommen, ein Sich kennenlernen, ein Miteinander feiern und ein Miteinander Musik hören und erleben. Die vielen wunderbaren Locations, die in der gesamten Stadt Leipzig verstreut sind, wie auch das Rahmenprogramm tragen ihr Übriges dazu bei, dass dieses Festival so einzigartig auf der Welt ist. So verwundert es auch nicht, dass einzelne Besucher sogar aus dem fernen Japan oder aus Australien anreisen, um an diesem Flair teilzuhaben. Gut finde ich ausserdem, dass hier auch unbekannten Bands eine Plattform geboten wird und somit der „Nachwuchs“ gefördert wird. Bei vielen anderen Festivals, wo sich die immergleichen grossen Bands die Klinke in die Hand drücken, ist dies so nicht der Fall. Nach dem Wave-Gotik-Treffen ist vor dem Wave-Gotik-Treffen – ich freue mich schon aufs nächste Jahr.
Besucher:
Freitag:
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Sonntag:
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Text + Bilder: Dietmar Grabs