Überyou + Annie Taylor + Ruined + Eaten By Snakes + Chartreux
Dynamo – Zürich
Freitag, 27. Januar 2023
Text + Bilder: Christian Wölbitsch
Überyou sind Vico, Ian, Marc, Kajo und Tom. Sie leben im Raum Zürich und feiern den Punkrock in jeder freien Minute. Bei meinen Recherchen stiess ich auf die vom Greenfield verfasste Biografie über die Band: „Von Zürich bis in die weite Welt – bei Überyou geht es um Freundschaft und die Liebe zur Musik. Überyou haben auf der ganzen Welt getourt […] und sie werden ihr 5. Studioalbum mit dem Titel „Silver Lining“ im Winter 22/23 veröffentlichen. Mit dem Geist der Gainesville Punkbands wie Hot Water Music und Against Me im Herzen und der Essenz der Schweizer Punkszene in den Adern, ist Überyou energiegeladen, DIY-comitted und hält die guten Zeiten seit 2008 hoch!“
Eine Punkrock-Plattentaufe feiert man mit Menschen, die zur Musikfamilie gehören. Das Dynamo präsentierte sich in zweierlei Hinsicht entsprechend familiär: viele Familienangehörige der Bandmitglieder waren anwesend, und ausserdem ist die Punkrock-Szene in der Schweiz ohnehin überschaubar klein. Was lag also näher, als diesen besonderen Moment mit anderen Bands zu feiern. Angereist aus Leipzig und Bielefeld waren Chartreux und Eaten By Snakes, aus dem Inland gab es Verstärkung durch Annie Taylor und Ruined. Gemäss Einladung sollte es darüberhinaus sogar (veganes) Raclette geben, was sich als gute Idee entpuppte, war doch anzunehmen, dass das eine oder andere kühle Bier in den Kehlen der Anwesenden verschwinden würde.
Die beiden Bands aus dem Nachbarland eröffneten den Abend. Chartreux – nach der Katzenrasse benannt – wurde kurz vor der Pandemie gegründet. Die Leipziger hatten einen weiten Weg und traten das erste Mal in der Schweiz auf. Kein Song war länger als zwei bis drei Minuten. Kurz, knackig, punkig und sympathisch war ihr Auftritt. Ihrem Credo „Hardcore wird immer noch P-U-N-K buchstabiert und Weltschmerz in zwei Minuten erklärt.“ wurden sie mehr als gerecht.
Daniel und David von Eaten By Snakes, ebenfalls im Punkrock zuhause, wurden glücklicherweise nicht von Schlangen gefressen. Statt dessen haben sie analoge Synthesizer für sich entdeckt, was ihrer Musik eine gehörige Portion Bombast verlieh und die Setlist herrlich druckvoll machte. Nach einem lauten Set und kurzem Umbau überliessen die Bielefelder die Bühne der Band Ruined.
Gian, Stefano, Michi und Loris kommen aus ganz verschiedenen Ecken der Schweiz. Sie beschreiben ihren Stil als Pop-Punk mit starken Emo- und Hardcore-Einflüssen. Als es kurz nach 20:00 Uhr los ging, präsentierte sich das Dynamo dank der zahlreicher werdenden Gäste, deutlich ausgelassener. Spätestens nach dem dritten Song „Worn Out“ wurde klar: dass ist eine Band mit Zukunft! Tolle Melodien und starke Vocals setzten den ersten Höhepunkt an diesem Abend. Viel zu bald stimmten Ruined zehn Songs später mit „Empty Promises“ zum Letzten an.
Danach war erstmal Zeit für etwas Verpflegung angesagt. Der Zeitplan wurde natürlich wie ein Schweizer Uhrwerk eingehalten und so hiess es bald schon Bühne frei für Annie Taylor. Falls es sich auch zwei Jahre nach dem starken Debüt „Sweet Mortality“ noch nicht herumgesprochen haben sollte: die Lead-Sängerin heisst nicht Annie, sondern Gini. Der Bandname stammt von Anna „Annie“ Edson Taylor aus New York, die sich mit 63 Jahren für Geld und Ruhm in einem Fass die Niagarafälle herunter stürzte. Gini vollführte auf der Bühne zwar keine derart waghalsigen Stunts, dafür gehörten am Boden wälzen, Grimassen schneiden oder gruseliges mit den Augen rollen zum Standard.
Das Publikum war schon nach wenigen Minuten aus dem Häuschen und Annie Taylor legten nach jedem Stück noch eins drauf. Dennoch war es kein Auftritt wie jeder andere, denn Jan Winkler, Schlagzeuger der ersten Stunde, hatte heute seinen letzten Gig mit Annie Taylor. Die Emotionen waren entsprechend hoch, dennoch wirkte die Band angenehm entspannt und witzig. „She Loves You No More“ setzte den Schlusspunkt, wobei mit diesem Titel sicherlich nicht Drummer Jan gemeint war.
Zum letzten Mal wurde umgebaut. Wie es sich für die gute, alte DIY-Szene gehört, legten die Jungs von Überyou trotz eigener fulminanter Plattentaufe ordentlich Hand an. Die Spannung im Dynamo stieg, aus den Boxen tönte es wie zu Babels Zeiten in fremden Zungen und es erklangen Gratulationen aus aller Herren Ländern, in welchen Überyou bereits aufgetreten waren. Kurz darauf schwebten Vico, Ian, Marc, Kajo und Tom zu ihren Instrumenten. Die fünf Freunde legten breit grinsend, im Freudentaumel und völlig von der Rolle los! Sie feierten den Moment, genossen das Bad in der Menge und Ian wiederholte Mantra-artig wie grossartig es sich anfühlt und wie aussergewöhnlich alles sei.
Leute aus dem Publikum wurden auf die Bühne geholt, Stagediving und Pogo-Pits überall, und der eine oder andere Bierschluck wurde aus den Bechern geschleudert. Überyou spielten Titel vom neuen Album und es wurde brav mitgesungen, auch wenn man viele Songs zum ersten Mal hörte. „Silver Lining“ heisst der Longplayer, der heute seine Geburt feiern durfte. Wir erfuhren weder von der Setlist, noch von der Story hinter den Texten viel, dafür waren die Jungs zu sehr in ihrem Element und das Publikum viel zu wild und durchgedreht. Egal, denn es war ein Überfest!