22. November 2019
Mascotte – Zürich
Bands: Temples / Dawns Mystery
Kaum hatte man sich durch den übelkeitserregenden Vorweihnachts-Kapitalismus-Dunst des Zürcher Secheläutenplatzes bis ins Mascotte gekämpft, machten die Zürcher Dawns Mystery klar, was wirklich glücklich macht: Durch kosmische Lichtkegel fliegende, zweistimmige Gitarrenriffs, sphärische Keyboardklänge und perfekt komponierte Songs. Das trotz früher Stunde zahlreich erschienene Publikum war erfreut, wenn auch noch ein kleines bisschen verschlafen. Einige Zuschauer waren allerdings hellwach, etwa der Mann mit blonder Topfdeckelfrisur, der die Band mit seiner synchron gespielten Luftgitarre in der vordersten Reihe unterstütze.
Den grossartigen Gesang von Flo und Ueli hörte man nicht immer gleich gut – als Vorband war nicht viel Zeit für Soundcheck. Aber das tat der Show keinen Abbruch. Dawns Mystery versprühten derart viel Begeisterung und Freude am live performen, dass selbst dem gestresstesten Bluthochdruckpatienten ein Hauch Sternenglitzer um die Nase zog. “Das Allerwichtigste ist, dass die Musik von hier kommt”, sagte Gitarrist Leo nach dem Konzert, und klopfte sich mit der Hand aufs Herz.
Kurz darauf beförderten die Temples den nun praktisch vollen Club in ein benachbartes Universum: Jenes des Psychedelic Rock in der Tradition der späten Beatles und der Byrds. Wer hat nicht einige der hervorragenden Hymnen bereits mit der Muttermilch aufgesogen? Besonders die letzten drei Beatles-Alben “Yellow Submarine”, “Abbey Road” und “Let It Be” haben es nicht nur meiner Mutter und damit auch mir angetan, sondern inspirierten auch die Temples. Das Resultat lässt wohlige Kindheitsgefühle aufkommen, ist aber auch etwas völlig Eigenes und überzeugt mit hoher musikalischer Qualität. So wurden die jungen Briten schon mit ihren ersten vier Songs vor sieben Jahren quasi über Nacht berühmt. Kürzlich haben sie ihr drittes Album veröffentlicht, “Hot Motion”.
Auch live liessen die Temples musikalisch nichts anbrennen. Genial, wie Schlagzeuger Rens Ottink langsame Beats in komplexe Gebilde verwandelte, ohne die Harmonie der Songs zu stören. Auffallend war auch die einzigartige Stimme von James Bagshaw. Doch obwohl alle klammen Glieder bestens aufgewärmt waren, sprang der Funke nicht ganz bis zu mir. Stand ich zu weit weg von der Bühne, oder ist die Band ob all des Erfolges und vielen Herumtourens schon ein bisschen erschöpft? Beim allerletzten Song, “Mesmerise” zeigte die Band schliesslich eine verspielte, ja, fast entfesselte Seite: Frontmann Bagshaw zog sein tolles Gitarrensolo genüsslich in die Länge, zwischendurch duelliert vom zweiten Gitarristen und Keyboarder Adam Smith. Diese Spielfreude hatte mir beim Rest der Darbietung etwas gefehlt. Doch nicht zuletzt weil mir Dawns Mystery schon eine Riesenladung davon geschenkt hatte, war ich zufrieden und der Abend gelungen.
Text: Nicole Müller