16. Dezember 2015
Theater Spirgarten – Zürich
Band: Tarja Turunen
Ei se kysz, joka antaa tahtoo. Wer geben will der fragt nicht, besagt eine finnische Redewendung. Tarja Turunen gab viel von sich, an diesem gewöhnlichen Mittwoch, in der stressigen Vorweihnachtszeit. Die ehemalige Frontsängerin der finnischen Band Nightwish ist aktuell unterwegs mit ihrer „Ave Maria Christmas Tour“ und so auch zu Besuch in der Schweiz.
Man sagt ihr ja viel nach, dieser wohl bekanntesten finnischen Künstlerin. Divenhaft sei sie, so prangerten sie einstmals ihre ehemaligen Bandkollegen von Nightwish an. Wer jedoch eine Stimme hat, die ganze Orchester zu übertönen vermag, auch wenn sie noch leise spricht, der darf eine Diva sein. Eine Diva darf engelsgleich eine Bühne betreten. Darf Demut spielen und vielleicht ja sogar ernst meinen. Darf ein ganzes Konzert füllen mit verschiedensten Variationen des „Ave Maria“, nur weil sie es gerne singt. Eine Diva fragt nicht, sie gibt und wir nehmen verzückt an und sind auch nach dem vierten und fünften „Ave Maria“ immer noch begeistert.
Operngleich startete das Konzert von Tarja Turunen im Theater Spirgarten in Zürich. Gleich zu Beginn schlägt die geballte Kraft Ihrer Drei-Oktaven-Stimme in die Gemüter des Publikums. Sie könnte ewig ihre Arien schwingen. Doch sie macht es besser. Sie bringt Abwechslung nach Zürich. Witzelt dazwischen mit dem Cellisten. Singt in Finnisch ein Weihnachtlied, das sich vor Schmerz ganz langsam verzieht und in der Begleitung von Klavier und Cello Trost findet. Dazwischen lässt Turunen den Fokus auch auf die nicht minder begabten Künstler an den Instrumenten richten.
Die Interpretation des Weihnachtsklassikers „The Little Drummer Boy“ ist ein Meisterwerk von Klavier, Violine und Cello. Und immer wieder erscheint sie, Tarja Turunen. In einem weissen Abendkleid betritt sie grazil die Bühne und macht voller Freude das, was sie am liebsten tut; singen in Perfektion. Ein Strahlen huscht über ihr Gesicht als sie ihre eigene Komposition eines „Ave Marias“ zum Besten gibt. Ein bisschen dunkel, verwoben die Klänge, ein schier endloser melodischer Aufbau und das Ganze wird plötzlich impulsiv und scheinbar unkontrollierbar. Das ist es! Und so strahle ich, weil es mich an die Tarja Turunen erinnert die ich eben kenne. Die Frau, die auf Festivalbühnen zwischen Feuersäulen und düsteren Gestalten feenhaft verloren steht und dennoch vermag das Zentrum des Universums auszustrahlen.
Ich beginne zu verstehen, warum sie ein Konzert mit lauter, immer gleichen Kirchenlieder darbietet. Ganz einfach weil sie es will und ihre Liebe zur Musik nicht hinterfragt. Schon damals in der Zeit von Nightwish vermochte sie eine ausgebildete klassische lyrische Sopranstimme mit Metalklängen einzigartig zu verbinden und liess schon fast eine neue Stilrichtung entstehen; den Opera Metal. Auch heute möchte sie uns einfach nur das geben, was sie mag. Eine friedvolle Einstimmung auf Weihnachten.
Der krönende Abschluss, die Performance von „Walking In The Air“, verdankt das Publikum schliesslich mit Standing Ovations.
Ob nun unbedingt das „Stille Nacht“ als Abschluss noch sein musste oder ob es das eine oder andere „Ave Maria“ nicht auch noch gebraucht hätte, darüber lässt sich streiten. Nicht aber über die Macht dieser Stimme in Kombination mit Klavier, Cello und Violine. So schafft es nur Tarja Turunen an diesem Abend alle gemeinsam zu versammeln. Ist es nicht schön anzusehen? Da sitzt das dunkel gekleidete Gothmädchen neben der mit Glitzer behängten älteren Dame der Zürcher Schickeria und der noch vor kurzem am Paradeplatz handelnde Banker zwischen zwei jungen Punks in Lederjacke mit Nieten. Doch es ereifert sich niemand ob diesem oder jenem Bild. Denn es zählt einzig und alleine der himmlische Sopran auf der Bühne.
Tarja Turunen beschert mir an diesem Abend eine anderthalbstündige Auszeit von dem stressigen Vorweihnachtsrummel und das doch tatsächlich mit einem Weihnachtskonzert. Ich lehne mich zurück, geniesse die Musik und bin mit mir und dieser sagenhaft grandiosen Stimme alleine. Inmitten dieser vielen und unterschiedlichen Menschen. Ich stelle fest, es ist das Einzige was ich mir zu Weihnachten wünsche.
Setlist:
1. Ave Maria (David Popper cover)
2. Ave Maria (Francesco Paolo Tosti cover)
3. Christmas Song
4. Varpunen jouluaamuna
5. Musician’s Solo
6. Pie Jesu (Andrew Lloyd Webber cover)
7. Ave Maria (Michael Hoppé cover)
8. Ave Maria (Tarja Turunen)
9. The Little Drummer Boy (Musicians’s Solo 2)
10. Panis Angelicus (César Franck cover)
11. White Christmas (Bing Crosby cover)
12. Musician’s Solo 3
13. Ave Maria (Giulio Caccini cover)
14. Ave Maria (Franz Schubert cover)
15. Walking In The Air (Howard Blake cover)
16. Stille Nacht, Heilige Nacht (Joseph Mohr & Franz Gruber cover)
[Quelle: setlist.fm]
Text: Sebastian Leiggener
Bilder: Marcel Kaul