Datum: 9. Mai 2012
Ort: Z7 – Pratteln
Bands: Steven Wilson
Steven Wilson ist ohne Zweifel einer der wichtigsten und kreativsten Köpfe im aktuellen Musikgeschehen. Punkt. Und definitiv auch einer der produktivsten. In regelmäßigen Abständen liefert der Multiinstrumentalist großartigste Scheiben und Tourneen mit seiner Hauptband Porcupine Tree ab, dazu hat er mit Blackfield, Storm Corrosion und No-Man noch drei weitere Bandprojekte am Start und als Produzent hat er sich ein Namen bei musikalischen Schwergewichten wie z.B. Opeth gemacht, wo er auch gesanglich und keyboardtechnisch noch mitmischt.
Wer nun denkt „jaja, Quantität statt Qualität“, der irrt gewaltig. Wilson ist Arbeitstier und Perfektionist durch und durch. Keine Ahnung wie dieser sympathische, hagere Kerl es schafft, dieses beeindruckende Niveau konstant aufrecht zu erhalten.
2009 veröffentlichte Wilson dann unter seinem Namen das erste Solo-Album „Insurgentes“ welches noch einen Zacken progressiver und sperriger als die Porcupine Tree Alben daher kam. 2011 stand dann der Nachfolger „Grace For Drowning“ in den Läden. Eine Doppel LP/CD welche von Kritikern und Fans in allerhöchsten Tönen gelobt wurde. Nicht selten war die Phrase „Album des Jahres“ zu lesen. Zu Recht. Im Herbst letzten Jahres folgte mit den beiden Werken im Gepäck dann eine kleine Tour durch Europa und Nordamerika. Der zweite Teil dieser Tour führte Wilson nun ins Z7 nach Pratteln.
Die Dezibelanzeige im Z7 stand während des monotonen Brummens das ab und an mit einem Beat hinterlegt wurde konstant auf 72. Zwischen Bühne und Absperrgeländer hing ein Vorhang, auf den passend zum hypnotisierenden Intro, Animationen projiziert wurden. Minutenlang war eine in Tüchern gewickelte Person am Meer zu sehen, oder der Blick durch ein Fenster auf einen Strand, auf dem ein schwarzer Schatten in Zeitlupe vorbeiwanderte. Das ganze hatte etwas Surreales und vermittelte eine Art Gruselfilm-Atmosphäre.
Noch bevor sich Unruhe im sehr gut besuchten Z7 breitmachte, betrat nach etwa 30 Minuten Brummerei der Schlagzeuger Marco Minnemann unter Beleuchtung die Bühne und spielte die ersten Takte von „No Twilight Within the Courts of the Sun“. Nick Beggs am Bass betrat als nächster die Bühne und stimmte mit ein, gefolgt von Adam Holzman (Piano, Keyboards), Theo Travis (Blasinstrumente) und Niko Tsonev (Gitarre). Und dann Steven Wilson.
Mit weit hochgerissenen Armen begrüßte er das Publikum und bewahrte durch den Vorhang doch noch eine gewisse Distanz. Mit dem entrücktem „Index“ wurde diese gar noch unterstrichen. Dazu die Animationen auf dem Vorhang, die nun deutlich an Fahrt aufgenommen hatten. „Deform To Form A Star“, eins der schönsten Lieder aus Wilsons Feder überhaupt, wurde gespielt und bei „Sectarian“ fiel plötzlich der Vorhang und präsentierte die Musiker nun in Klarsicht. Was für ein Auftakt!
Wilson, sichtlich gut aufgelegt, begrüßte das Publikum und bedankte sich für den Applaus. Es folgte das sehr ruhige „Postcard“ sowie das extrem ausufernde „Remainder The Black Dog“ vom aktuellen Album. Vorgetragen mit einer teils beängstigenden Präzision.
Solche Stücke kann man kaum in Worte fassen, so facettenreich sind diese ausgearbeitet. Ruhige hypnotische Klangteppiche hinterlegt mit akustischer Gitarre und Flöte, wechseln sich mit bedrohlichen Pianoklängen und dissonanten Saxophonausbrüchen ab und finden in wilden Frickeleien wieder zusammen. Zudem das grandiose Schlagzeugspiel Minnemans und die Animationen, die jetzt auf einer Leinwand im Hintergrund liefen. Trotz aller Verkopftheit, wirkt hier nichts gesucht oder aufgesetzt. Es passt alles wie in einem Puzzle zusammen und lässt den Hörer staunen.
Mit „Harmony Korine“, „Abandoner“ und „Insurgentes“ kam nun wieder ein Block des Debut-Albums zum Zuge. Vor allem letztere Piano Nummer sorgte für eine richtig sakrale, andächtige Stimmung im Z7. Laut Wilson wurde diese Nummer erst ein paar Gigs zuvor als Versuch in die Setlist mitaufgenommen. Welch Glück. An dieser Stelle auch ein großes Lob ans Publikum. Ich habe wirklich noch nie erlebt, dass die Leute bei ruhigen Parts so leise sein können. Mein Gott, wie oft hätte ich mir das schon bei verschiedenen Konzerten gewünscht. Vielen Dank.
Mit „Luminol“ kündigte Wilson dann süffisant ein neues Stück an, welches etwas kompliziert und vertrackt sei. Aha, Gelächter. Toller Song, der Lust aufs neue Album macht, auch wenn man die bestehenden Langrillen noch nicht mal ansatzweise erfasst hat. Mit „No Part Of Me“ folgte dann noch mal was Ruhigeres (naja, hinten raus war gar nicht mal so ruhig), bevor mit „Raider II“ der Höhepunkt des Abends auf dem Programm stand. Wilson kündigte diesen mit „We play one more song for you, but it’s a very loooong piece of music” an. Zudem verneigte er sich in seiner Ansage auch vor seinen musikalischen Vätern wie King Crimson oder Magma, denen er den wahren Ursprung dunkler, nihilistischer Musik zusprach. Von wegen Metal und so.
„Raider II“ beginnt mit tiefen Pianoklängen und längeren Pausen. Auch hier herrschte wieder absolute Stille. Super! Was in den folgenden 20 Minuten folgte, war eine Achterbahnfahrt wie man sie nur sehr sehr selten zu hören und in diesem Fall auch zu sehen bekommt. Keyboardpassagen, teilweise an den Soundtrack eines Horrorfilm erinnernd, zerfahren von lauten und leisen Gitarrenparts und etlichen jazzigen Einwürfen, welche immer wieder in teils metallischen Ausbrüchen endeten, machten dieses Stück zu einem unglaublich spannendem Hörerlebnis und ließen die Kinnlade mit voller Wucht auf den Boden knallen. Am Ende dieses Monolithen war es im Publikum erst mal für einen Augenblick still und man schaute sich verdutzt und ungläubig an. Der plötzlich einsetzende Jubel kam anschließend wie aus der Pistole geschossen und war dann umso lauter.
Eine Zugabe gabs dann auch noch. Mit „Get All You Deserve“ wurden zu guter Letzt nochmal ruhigere Töne angeschlagen welche dann doch in einem kakophonischen Dröhnfinale endeten und zu dem Wilson noch die „Insugerentes“ – Gasmaske aufsetzte. Nach etwa zwei unglaublich intensiven Stunden verabschiedeten sich die Musiker einer nach dem anderen und hinterließen ein teils euphorisiertes, teils fassungsloses aber keinesfalls enttäuschtes Publikum.
Fazit:
Phantastischer Abend. Vom ersten bis zum letzten Ton perfekt inszeniertes Kopfkino, wie es nur wenige vollbringen können. Steven Wilson wird seinem Ruf als Genius in allen Belangen gerecht und bewies, dass er einer der ganz Großen ist. Unterstützt von hervorragenden Musikern legte er die Messlatte in Punkto Konzerterlebnis verdammt hoch. Nie habe ich live einen besseren, klareren Sound gehört als an diesem Mittwochabend im Z7. Eine Glanzleistung am Mischpult.
Text + Bilder: Thomas Lang