Les Docks – Lausanne
Mittwoch, 11. Mai 2022
Text: David Spring
Es kommt nicht jeden Tag vor, dass man eine Rock-Legende live bewundern darf. Die grossen Namen sind oft schon tot oder seit Ewigkeiten in der Irrelevanz versunken. Nichts davon trifft zum Glück auf die grossartige Skin zu, die mit ihrer Britrockband Skunk Anansie seit Jahr und Tag tolle Musik und fast nie negative Schlagzeilen macht. Umso grösser war die Vorfreude, als es mal wieder in die schönen Docks in Lausanne ging.
Den Auftakt machte das skurrile Duo Shelf Lives. Gitarrist Jonny fragte: „Are you fucking ready?“, daraufhin setzte ein unglaublich laut dröhnender Drum’n’Bass-Beat ab Tube ein, angereichert mit verzerrten Gitarren. Es gesellte sich Sängerin Sabrina dazu und schrie sich die Seele aus dem Leib. Was für ein krasser Start, die meisten Leute in Les Docks waren nicht auf einen solchen Anschlag auf die Sinne vorbereitet. Es wusste fast niemand, was man damit anfangen sollte, zumal die Bässe manchmal so unfassbar laut waren, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte.
Und doch machten Shelf Lives alles richtig, so bizarr das klingt. Ihre Mischung aus trappigem Drum’n’Bass und wütendem Elektro-Punk haute da rein, wo’s guttat. Es kam nicht nur bei mir Bewegung auf, sondern überall. Beim Publikum, das weitestgehend in derselben Altersklasse wie die Hauptband war, fand ich das eine beachtliche Leistung. Man kam schlicht nicht umhin, die beiden durchgeknallten Kanadier:innen sympathisch zu finden und zu ihrer Musik abzugehen. Viel zu laut und auch nur marginal zu Skunk Anansie passend, aber als nach 30 Minuten das Ende eingeläutet wurde, waren Applaus und Jubel für Shelf Lives verdientermassen laut und begeistert.
Skunk Anansie betraten danach die Bühne und stimmten „It’s Fucking Political“ an. Skin folgte ihrer Band, glamourös in schwarz und orange gekleidet und mit einer teuflischen Kopfbedeckung. Was für ein Auftakt! Das Raunen und der kollektive Schauer, welcher der Menge den Rücken herunterlieft, waren unbeschreiblich. Skin bot am Schluss dieses wütenden Songs gleich ein Solo auf dem Theremin und mit dem folgenden „Because Of You“ hatte sie uns komplett in ihrer Hand.
Die Energie und Ausstrahlung dieser Frau sind unerreicht, und ich, der ich die Band zum ersten Mal live sah, konnte nicht glauben, dass sei seit bald 30 Jahren unterwegs sind. Skin meinte zwar selbst, es täte ihr leid, sie seien „knackered“, da sie mehrere Shows gleich hintereinander gespielt hatten, aber davon war nichts zu merken. Neben Skin überzeugte auch der Rest von Skunk Anansie, musikalisch war die Darbietung auf höchstem Niveau.
Die Stimmung auf und vor der Bühne war hervorragend, es wurde getanzt und mitgesungen und Skin kam immer wieder in den Fotograben auf Tuchfühlung mit der ersten Reihe. Berührungsängste und Rockstar-Getue gab es nicht. Das Set umspannte Hits wie „Weak“, „Hedonism“, „Intellectualise My Blackness“ und „My Ugly Boy“ aus der ganzen Karriere von Skunk Anansie, beinhaltete aber auch neue Songs wie „Piggy“, „Can’t Take You Anywhere“ und das aktuelle und emotionale „This Means War“. Der Fokus lag klar auf den härteren und rockigeren Songs, für Balladen war keine Zeit an diesem Abend.
Mit einer sympathischen Ansage, dass aus den 25 Jahren für die Jubiläumstour jetzt „28 years and a bit“ geworden sind, und wie froh man ist, endlich wieder zusammen feiern zu können, ging es in den Zugabenblock. Die Band wurde namentlich vorgestellt, während diese „Highway To Hell“ spielte und mit dem grandiosen „Little Baby Swastikkka“ war Schluss.
Was für eine Show! Es stimmte alles an diesem Abend, vom Sound zum stimmigen Licht bis hin zur Band und natürlich Skin, die von der ersten Sekunde an die Bühne kommandierte und alle im Griff hatte. Wahrlich ein Konzert, dass mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dasselbe gilt auch für Shelf Lives, die mit ihrer rücksichtslos lauten und charmanten Art bei mir punkten konnten. Gutgelaunt und durchgeschwitzt wurde der Heimweg angetreten, für Skunk Anansie hat sich die Zugfahrt in die Romandie mehr als gelohnt.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. Yes It’s Fucking Political
2. And Here I Stand
3. Because Of You
4. I Can Dream
5. Weak
6. Twisted (Everyday Hurts)
7. My Ugly Boy
8. Can’t Take You Anywhere
9. Love Someone Else
10. I Believed In You
11. God Loves Only You
12. Hedonism (Just Because You Feel Good)
13. Without You
14. This Means War
15. Intellectualise My Blackness
16. Tear The Place Up
17. Charlie Big Potato
Zugaben
18. Piggy
19. Brazen (Weep)
20. Highway to Hell
21. Little Baby Swastikkka