rock-im-park.com
Green Day + Team Scheisse + Babymetal + Billy Talent + Royal Republic + Dogstar + Donots + The Interrupters + Against The Current
Zeppelinfeld – Nürnberg (DE)
Freitag, 7. Juni 2024
Text + Bilder: David Spring
Als festivalbegeisterter Mensch im Zentrum Europas liegt es nahe, dass man sich irgendwann mal an eines der Schwester-Openairs Rock am Ring oder Rock im Park verirrt. Seit 24 Jahren schon gibt es einmal im Jahr die angesagtesten, grössten Bands der Rockmusik zu sehen. Mit täglich jeweils 70’000 – 80’000 Menschen zusammen auf einer Rennstrecke oder in einem Park stehen, abfeiern und grossartige Livemusik geniessen, was gibt es Schöneres? Und darum sind auch wir von ARTNOIR dieses Jahr für einmal aus der kleinen Schweiz ausgebrochen und haben uns nach Nürnberg ans Rock im Park 2024 begeben.
Bei strahlendem Sonnenschein und beinahe wolkenlosem Himmel öffneten die Pforten und die Menschenmassen strömten auf das Zeppelinfeld. Bevor es mit lauter Musik losging, gab es erstmal haufenweise Essensstände zu erkunden, an denen es von veganem Döner über Burger oder Pizza bis hin zu hausgemachten Käsespätzle alles für das leibliche Wohl gab. Das Rock im Park Festival ist seit einigen Jahren komplett cashless, bezahlt wird alles nur über den Chip am Festivalband. Und obwohl mich drahtlose Kommunikationsmittel in Deutschland immer etwas nervös stimmen, funktionierte alles absolut einwandfrei und unkompliziert. Sehr cool, das gefällt und macht alles gleich viel einfacher.
Um exakt 12:35 ging es auf der riesigen Utopia-Hauptbühne mit Against The Current los. Die Pop Punk Gruppe aus den USA stellt sich als fantastischen Opener für das Festival heraus. Die energiegeladene Sängerin Chrissy Constanza fegte wie ein Derwisch über die Bühne und brachte das bereits zahlreich anwesende Publikum schnell zum Durchdrehen. Mit solch cooler Musik und einer wundervoll gutgelaunten Band als Auftakt war klar, dass heute ein guter Tag werden konnte. Als nächstes standen The Interrupters auf dem Programm. Deren fantastischer Ska-Punk eignete sich ebenfalls hervorragend, um die Leute in Bewegung zu kriegen. Die sympatische, übercoole Sängerin Aimee Interrupter verstand es bestens, das Publikum zu animieren, doch war es vor allem Gitarrist Kevin Bivona, der mit seinen sehr lustigen Ansagen immer wieder für viel Gelächter sorgte. Die rasante Setlist bot bis auf einen gemütlichen Reggae-Song kaum Zeit zum Verschnaufen, erst recht nicht, als eine tolle Version von Billie Eilishs «Bad Guy» und das geniale «She’s Kerosene» uns alle komplett zum Ausrasten brachten.
Eine etwas traurige Realität am Rock im Park ist, dass man niemals alle Bands sehen kann. Mit drei Bühnen, einem weitläufigen Gelände und unfassbar vielen Leuten ist es unmöglich, überall zu sein. So entschied ich mich, gleich auf der Utopia Stage zu bleiben, auf welcher als nächstes die unvergleichlichen, fabulösen Donots an der Reihe waren. Die Jungs aus Ibbenbüren sind unbestreitbar eine der besten Festival-Bands, die man sich vorstellen kann. «Auf sie mit Gebrüll» hiess es zu Beginn und genau so gings los. Volle Pulle und mit unglaublicher Energie und Spielfreude brachten die Herren im 30. Jahr ihres Bestehens die Leute zum Tanzen. Irgendwann gesellte sich Ingo Donot selber mitten ins Publikum und zettelte da einen gewaltigen Circle Pit um sich herum an. Getragen auf den Schultern von ein paar Fans liess er die Meute um sich kreisen und gab so schon früh einen der epischsten Anblicke des Festivals. Für das rasante «Kaputt» holten sich die Donots noch kurz Hilfe von der Antilopen Gang für den totalen Abriss und mit den obligaten «We’re Not Gonna Take It» und «So Long» ging eines der absoluten Highlights dieses ersten Tages zu Ende.
Auf der Mandora-Stage folgte für viele gleich ein nächstes Highlight, denn da stand niemand Geringeres als Hollywood-Legende Keanu Reeves mit seiner Band Dogstar auf der Bühne. Dies sorgte für einiges an Aufsehen und viel Geschrei für den sympathischen, bassspielenden Schauspieler. Der Sound der Band ist im Grunge und Stoner-Rock anzusiedeln, entsprechend ging es für einmal etwas gemächlicher zur Sache. Das machte Spass, war aber zugegebenermassen auch nichts, was man noch nie zuvor gehört hätte. Doch die Stimmung im Publikum war vorzüglich und Sänger/Gitarrist Bret Domrose verstand es mit coolen Solos und seiner starken Stimme, die Aufmerksamkeit auch gelegentlich von Keanu wegzulocken. Mit «Just Like Heaven» von The Cure fand sich zudem ein überaus passendes Cover im Set und alles in allem vermochten Dogstar zu überzeugen. Weiter ging es auf der Mandora-Bühne dann gleich Schlag auf Schlag mit Royal Republic. In glorreichen Lederjacken gekleidet und mit dem Brusthaar in vollem Glanz enterten die vier Schweden die mächtige Nebenbühne und rockten uns in Grund und Boden. Die sympathische Band versuchte gar nicht erst so zu tun, als ob sie sich selbst allzu ernst nimmt und hatte einfach nur einen Heidenspass. Die perfekte Band also für diesen sonnigen Nachmittag, entsprechend wild ging es im Publikum ab. Sogar ein Typ im Rollstuhl konnte mitten in einem Moshpit gesehen werden, sowie ein crowdsurfender Jesus, was vorzüglich zum überlebensgrossen Getue der Band passte. Mit glorreichen Solos, ein paar neuen Songs, witzigen Ansagen und haufenweise guter Laune machten Royal Republic alles richtig.
Pausen gab es heute kaum. Zum Glück sind unter den Abertausenden Fans immer wieder mobile Bierverkäufer:innen anzutreffen, so dass man nie lange auf dem Trocken sitzen muss – allerdings wäre es durchaus cool, wenn so auch etwas Wasser verteilt werden würde. Zum Glück gibt es aber genügend Wasserstellen auf dem Gelände verteilt, an welchen man, im Gegensatz zu den Toiletten, meist nicht einmal lange anstehen muss. Die Infrastruktur am Rock im Park ist meines Erachtens für ein Festival dieser Grösse ziemlich gut, doch natürlich besteht immer noch Luft nach oben. Die sanitären Einrichtungen lassen zum Beispiel gerade für Menschen mit Menstruation einiges zu Wünschen übrig und auch ein klar kommuniziertes Awareness-Konzept wäre heutzutage zeitgemäss. Alles in allem gab es aber nicht allzu viel zu Meckern und tatsächlich läuft hier vieles eigentlich ziemlich rund.
Auf der Utopia-Stage standen nun Billy Talent auf dem Plan. Die vier Kanadier spielen gefühlt jedes Jahr irgendwo an einem Festival in unseren Breitengraden, und obwohl ich die Band normalerweise fantastisch finde, vermochten sie mich heute nicht ganz so zu überzeugen. Grund dafür war vor allem mein Eindruck, dass die Setlist doch etwas lustlos heruntergespielt wurde. Publikumsinteraktionen gab es kaum, es folgte ein Song auf den anderen, fast ohne Kommunikation. Zugegebenermassen bedeutete dies auch, dass das Set vorzüglich rockte und abging, aber irgendwie wollte der Funke nicht ganz auf mich überspringen. Nichtsdestotrotz war es immer wieder eine Freude, fantastische Songs wie «Try Honesty», «Rusted From The Rain», «Surprise, Surprise» und natürlich das unsterbliche «Red Flag» live zu hören.
Von oft gesehenen Festival-Gästen zu etwas relativ Neuem ging es zurück auf der Mandora-Bühne, wo nun die japanische Metal-Sensation Babymetal auf dem Programm stand. Los ging es erstaunlich brutal, so dass endlich die Nackenmuskeln gefordert wurden. Etwas merkwürdig anmutend war, dass die maskierte Band selbst eigentlich kaum zu sehen war, da sie in die Ecken der Bühne gedrängt standen. Der Fokus lag einzig und allein auf der grossen Tribüne in der Mitte, und da natürlich auf den drei tanzenden Sängerinnen. Und ja, man kann sagen, was man will, aber die Band macht unglaublich Spass, so durchgeknallt und ungewohnt ist der Mix aus süsslichem Kawaii-Gesang und wirklich vernichtend harten Riffs. Manche der Songs sind freilich etwas zu bizarr, oder sagen wir, mittelprächtig. Doch «Pa Pa Ya!!!», das glorreiche Loblied an das thailändische (extrem scharfe) Gericht Papaya Pok Pok, oder das unverschämt eingängige «Chocolate» sind absolute Banger. Als kleine Überraschung gesellten sich dann noch die Jungs von Electric Callboy auf die Bühne, um die neue, gemeinsame Single «Ratata» fulminant zum besten zu geben. Was für ein Spass.
Und damit war es Zeit für den heutigen Headliner, die US-Punklegenden von Green Day. Vor der Utopia-Stage konnte man sich ab diesem Zeitpunkt kaum mehr bewegen, so unglaublich viele Fans wollten diesem Spektakel beiwohnen. Und ein Spektakel war es, denn Billi Joe Armstrong, Tré Cool und Mike Dirnt spielten mehr als zweieinhalb Stunden lang und feuerten dabei einen Hit nach dem andern ab. Wahnsinn, das übertraf sämtliche meiner Erwartungen. Die Mitte des Sets bestand aus dem kompletten «American Idiot» Album, von A bis Z inklusive all der überlangen Quasi-Musical-Nummern wie «Jesus Of Suburbia» sowie Überhits wie «Holiday» und dem Titeltrack. Dazu gab es eine grossartige, äussert feurige Show und eine unglaublich gutgelaunte Band. Ich stand zwar soweit hinten, dass ich kaum sehen konnte, was da wirklich abging, aber auch aus der Ferne sah es nach einer bombastischen Show aus.
Viel wichtiger ist ohnehin die Musik und da überraschten und überzeugten Green Day wirklich voll und ganz. Denn als ob die Darbietung dieses gesamten Albums nicht schon cool genug war, fand sich bis auf wenige Ausnahmen auch fast die gesamte «Dookie»-Platte im Set. Für Menschen wie mich, die damals mit diesem Album punksozialisiert wurden, war dies eine unglaubliche Freude. Hits wie «She», «Longview», natürlich «Basket Case» und «FOD» waren einfach fantastisch. Die Band war zudem äusserst kommunikativ und unterhaltsam und freuten sich augenscheinlich, heute hier spielen zu dürfen. Ich hätte es kaum für möglich gehalten, aber Green Day 2024 waren von der ersten bis zur letzen Sekunde grandios, richtig geil.
Okay, das ist ein bisschen Dichtung & Wahrheit, denn tatsächlich verpasste ich einen Teil in der Mitte des Sets, da zeitgleich auf der Orbit-Stage noch Team Scheisse aufspielten. Und sind wir ehrlich, die darf man sich einfach nicht entgehen lassen! So ging es zwischenzeitlich noch kurz in die Halle, um zu räudigstem Schrammelpunk und den mit Abstand besten und wichtigsten Texten und Ansagen des heutigen Tages komplett auszurasten. Was für eine Band, was für eine Party. Die Stimmung in der Halle war ausgelassen, jedes Lied wurde mit den Worten «wir machen heute keine Ansagen und ballern einfach» kommentiert und immer wieder wurde auf das Wohlergehen aller Menschen im Publikum hingewiesen. Team Scheisse waren nicht nur die bei weitem sozialste und aufmerksamste Band des Tages, sondern trotz allem, was gerade auf der Hauptbühne abging, mein heimlicher Headliner.
Danach ging es kurz nochmals zurück zu Green Day, um noch das obligate, grandiose «Good Riddance (Time Of Your Life)» mitzunehmen, und dann war für mich Schluss. Eigentlich hätten noch die Antilopen Gang und die Broilers gespielt, die ich beide sehr gerne gesehen hätte, aber nach neun Bands und dem ganzen Tag in der Sonne, war dann für mich Schicht im Schacht. So ging ein wahrhaft wundervoller Festival-Tag zu Ende. Rock im Park 2024 begann grossartig und machte wie immer riesigen Spass. Die Vorfreude auf die nächsten zwei Tage ist immens, möge es wieder so toll werden!