5. Juni 2019
Piet Alder
Website: taxigauche.com
Piet Alder ist leidenschaftlicher Pilot. Immer wieder eckt er dabei mit seinem Äusseren an. Auch mit seiner zweiten Liebe – der Rockmusik – stellt er Konventionen in Frage.
Meine Begeisterung für Musik brachte mir schon als Teenager Ärger ein. Aufgewachsen bin ich in einem extrem konservativen Umfeld in einem 1000-Seelen-Dorf im Appenzellischen. Gitarrenmusik und lange Haare waren tabu. Gegen diese Konventionen habe ich mich aber stets aufgelehnt.
Mit zwölf begann ich heimlich Rockmusik zu hören. Dieser rebellische Charakterzug zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Bei der Arbeit als Pilot stört man sich immer wieder aufs Neue an meinem Äusseren. Lange Haare passen nicht zum Männerbild, -lackierte Fingernägel und viele Ringe sowieso nicht. Sobald mich Passagiere sehen, muss ich deshalb eine Kurzhaarperücke aufsetzen. Auch dagegen wehre ich mich. Die Fachstelle für Gleichstellung hat sich nun der Sache angenommen.
Ich verdanke es dem Fliegen, dass ich den Traum vom eigenen Plattenlabel verwirklichen konnte. Nach Langstreckenflügen lernte ich in Los Angeles die lokale Musikszene kennen. Viele Bands nehmen ihre Musik selber auf – das nennt sich DIY, „do it yourself“. Herausgegeben werden die Aufnahmen dann von unabhängigen Musiklabels, wie zum Beispiel den kultigen Burger Records, die fast alles auf Kassetten veröffentlichen.
Ein ähnliches Konzept setze ich nun in der Schweiz um. Ein Plattenlabel, das sich einzig und allein um die Musik kümmert. Frei von kommerziellen Zwängen, unauthentischen Auftritten und Marketingstrategien. Damit schwimme ich wieder gegen den Strom. Marketing braucht es, um erfolgreich zu sein, sagt man mir ständig. Doch ich will ein familiäres Musiklabel, das partnerschaftlich arbeitet und als Plattform dient,
wo sich Künstler austauschen und gegenseitig inspirieren. Ich sei naiv, heisst es dann. Doch ich glaube an das Konzept.
Ich unterstütze meine Bands beim Veröffentlichen von Tonträgern, bei der Distribution, der Promotion, und versuche, ihnen Auftritte zu verschaffen. Gegründet habe ich das Label vor einem Jahr, aber es sind bereits acht Bands dabei, sechs aus der Schweiz, zwei aus den USA. Ich möchte die Schweizer Bands der DIY-Szene zu einer Familie zusammenbringen und ihnen eines Tages ermöglichen, durch die USA zu touren. Und den amerikanischen Bands hier eine Drehscheibe bieten.
Mein Job als Pilot ist ideal, um die beiden Welten zu verbinden. Ich verstehe mich auch als Kurator und versuche, die Leute für gute Konzerte zusammenzutrommeln. In der Schweiz gibt es viele talentierte Musiker. Die vielen kleineren Open Airs im Sommer sind eine gute Gelegenheit, unbekannte Juwelen zu entdecken.
Bei der Auswahl meiner Bands lasse ich mich vom persönlichen Geschmack leiten. Ihn zu beschreiben ist nicht einfach – am ehesten trifft es Psychedelic Rock, etwa in der Tradition der frühen Pink Floyd. In diese Richtung geht zum Beispiel die Zürcher Band Annie Taylor, sie mischt aber ordentlich Grunge dazu. Im Mai ist ihre erste EP erschienen – auf Vinyl. Vielversprechend sind auch Dawns Mystery, ebenfalls aus Zürich. Ich mag ihre eingängigen Melodien und wunderbaren Gitarrenriffs. Kürzlich erschien ihr Debütalbum, das Publikum an der Plattentaufe war begeistert. Solche Reaktionen motivieren mich.
Die Arbeit ist nicht gerade glamourös, es ist viel Büro dabei. Da kam ich ziemlich auf die Welt. Ich investiere einen grossen Teil meiner Freizeit in das Label, lege aber auch Platten auf und backe Kuchen für Cafés, um alles finanzieren zu können.
Der kommerzielle Erfolg ist nicht das Wichtigste. Die Bands sollen sich verwirklichen können. Mit ihnen die Leidenschaft für Musik zu teilen und meine zwei Welten Cockpit und Musik verbinden zu können – das ist für mich Erfolg genug.
Das Copyright dieses Portraits liegt beim Beobachter, der Text wurde mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt. Ursprünglich erschienen in der Heftausgabe vom 5. Juni 2019.
Text: Nicole Müller
Foto: Philipp Rohner