29. Juni – 2. Juli 2017
Sittertobel – St. Gallen
Bands: Die Toten Hosen / Trentemoller / Bonobo / Bastille / Justice / Alt-J / Biffy Clyro / Bilderbuch / Cage The Elephant / Passenger / Knöppel / Pablo Infernal uvm.
Webseite: openairsg.ch
Ich als OASG-Neuling habe mich vor dem Festival natürlich informiert, um abschätzen zu können, was mich da erwartet. Überraschend war es trotzdem, nicht wetterseitig (wobei der kurz anhaltende Hagel am Freitagabend dann doch etwas gar unerwartet kam), welches zu einer Menge Schlamm im Sittertobel geführt hat, sondern gleich am Bahnhof: Da fühlte ich mich nämlich wie die einzige Festivalbesucherin ohne Gummistiefel – ob Trainerhosen, Hotpants oder schicke Markenjeans, es herrschte Gummistiefelpflicht. Beim Einlass ging es weiter: Da wurde man nicht nur, wie ich es von anderen Festivals kenne, abgetastet und gebeten, den Rucksack etwas genauer zu zeigen – man musste das Gepäck durch einen Scanner, wie man ihn sonst vom Flughafen kennt, schicken. Die nächste Überraschung: Konzert- und Campinggelände sind nicht getrennt. Man kann also auch bequem mit Campingstuhl und Pavillon ans Konzert – was sehr praktisch und wohl mit verantwortlich für die gelassene Stimmung ist. Dazu trägt auch bei, dass mindestens 80% der Festivalbesucher aus St. Gallen und Umgebung stammten – ein teures, aber sehr spassiges Stadtfest mit Feriencamp-Atmosphäre.
Für viele Besucher scheint nicht die Musik der Grund für ihre Präsenz zu sein, sondern vielmehr die vielen bekannten Gesichter. Dass man in vergangenen Jahren auch schon vier Tage am „St. Gallen“ verbracht hat, ohne eine einzige Band live gesehen zu haben, habe ich mehr als einmal vernommen. Und das, obwohl das Line-Up doch jedes Jahr wieder so manche grosse Namen vorzuweisen hat. Aber egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, es fand sich stets eine muntere Schar vor den Bühnen ein – auch wenn man keine Ahnung hat, wie diese Band jetzt genau heisst.
Wenn man sich aber dann doch weniger für die Musik interessierte, so hielt das diesjährige Openair St. Gallen auch eine Menge Alternativen bereit: An Essen fand man nahezu alles, was das Herz begehrte, egal ob Omnivor, Vegetarier oder Veganer. Weinbar, Bierstände und Sangriazelt halfen gegen den Durst, und wenn’s dann doch etwas Stärkeres sein sollte, konnte man sich in den Clubs an den Barkeeper des Vertrauens wenden. Neben Essen und Trinken hielt das Festival auch etwas für die Shoppingsüchtigen bereit. Und für Spiel und Spass war auch gesorgt: Zum Beispiel beim Sinalco-Zelt, bei dem man sich sportlich betätigen konnte, um den mit einer Pulsmessuhr ausgestatteten Kühlschrank zu öffnen und sich ein Geschenk auszusuchen.
Wem es vor den Hauptbühnen etwas zu wild geworden war, aber doch etwas musikalische Unterhaltung geniessen wollte, der fand bei der Campfire Stage ein Plätzchen nach seinem oder ihrem Gusto. Dort konnten sich kleinere, unbekannte Künstler, mehrheitlich Singer-Songwriter, wie z.B. die lokalen Gazzou, mit ihrem gemütlichen Folk-Pop entdecken lassen. Und für Fans der elektronischen Musik gab es auch in der Casa Bacardi etwas auf die Ohren. Am Donnerstag erhielten lokale Musiker, wie die Gewinner des „bandXost“-Nachwuchscontests Catalyst, auch noch die Möglichkeit, auf der provisorisch aufgebauten „Musig uf de Gass & Startrampe“-Bühne neue Fans anzuwerben.
Doch auch auf den grossen Bühnen gab’s Platz für junge Bands, wie zum Beispiel für Pablo Infernal aus Zürich, welche am Samstag die Sitterbühne eröffnen durften. „In erster Linie waren wir, vor dem Gig, sehr nervös, doch auf der Bühne selber haben wir dann einfach nur noch pure Freude gehabt, hier spielen zu dürfen“, berichtete Sänger Altin. Zu sehen, was alles hinter den Kulissen ablief und wie reibungslos alles funktionierte, sei sehr interessant gewesen – und natürlich, Backstage die anderen Musiker zu treffen.
Dass das St. Galler Publikum aber wohl doch nicht so konzerterfahren ist, wie man es von den Besuchern anderer (Rock-)Festivals kennt, wurde mir besonders während dem Auftritt der Toten Hosen am Freitagabend bewusst. Liebe St. Galler, für die Zukunft: Wenn jemand während dem Konzert hinfällt, dann hilft man dieser Person auf. Und zwar sofort, nicht erst nach zehn Sekunden. Dort unten ist’s eng, dunkel und ganz abgesehen davon auch gefährlich. Und wenn einem von hinten jemand auf die Schulter tippt und sagt: „Darf ich bitte vor, ich kriege keine Luft mehr“, dann ist’s es ein bisschen fies, sich einfach wieder umzudrehen und so zu tun, als wäre Campinos Stimme gerade etwas zu laut gewesen. Dafür aber umso grösseres Lob an das Sicherheitspersonal, habe mich doch wohl gefühlt bei euch im Graben. Auch wenn erfahrenere OASG-Gänger, die die Band schon mehrere Male auf der Sitterbühne bestaunen durften, das Konzert als verhältnismässig langweilig bezeichneten – mir gefiel es.
Persönliche Highlights:
- Ich habe Campinos Bein berührt!
- Cage The Elephant sollten sich für die nächste Ausgabe des Supertalents bewerben: Sie schafften es nicht nur, den Regen zu vertreiben und die Sonne zurück an den Himmel zu singen, Sänger Matt Shultz kann auch einen Kaugummi in die Luft spucken und dann wieder mit dem Mund auffangen.
- Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst in Rammstein-Fanshirt vor blauhaarigen Background-Sängerinnen, Gitarrist Michael Krammer mit rot lackierten Fingernägeln und dabei die eingängige Bassline zu „Spliff“ im Ohr.
- Schon am Mittag im vollen Zelt der Sternenbühne aus 1000 Mündern die Worte zu Knöppels „Abseits (Du Wichser)“ hören – und zwar ziemlich wortgetreu.
- Im Sonnenschein auf dem Hügel sitzen und mit heissem Kaffee in der Hand die Aussicht auf das Festivalgelände geniessen.
- Mit Regenschutz und Campingstuhl vor der Hauptbühne sitzen und mit Wunderkerzen in der Hand zu Passenger’s „Let Her Go“ mitsingen.
- Biffy Clyro (nicht, weil das Konzert speziell gut oder das Publikum super drauf war, sondern Biffy Clyro am Sonntagabend sich fast wie ein weiterer Samstagabend – also gewissermassen „Sunday Superhouse“, anfühlt).
- Im Shuttlebus zurück nach St. Gallen mit meinen Lieblings-Solothurnern körbchenweise geschenkte, am Swissmilk-Stand übrig gebliebene Heidelbeeren essen und sich auf die warme Dusche und das trockene Bett freuen.
Text: Sarah Rutschmann