Datum: 16. Mai 2013
Ort: Kiff – Aarau
Bands: Nina Hagen
Eine Frage, die durchaus berechtigt ist. Zweifelsohne gehört Nina Hagen zu den ganz grossen Persönlichkeiten der neuzeitlichen deutschen Musikgeschichte. Unvergesslich ist ihr TV Auftritt von 1979, wo sie Masturbations-Anleitungen zum Besten gab und so eine ganze Generation zum Fremdschämen brachte.
Um es vorweg zu nehmen – wer musikalische Delikatessen oder Höhenflüge erwartete, war an diesem Abend auf dem falschen Dampfer. Einerseits liess schon der Tourname „Nina Hagen Akustik-Tour“ schon mal erahnen, dass in Sachen Instrumentierung ein Unplugged-Setup zum Einsatz kam, anderseits muss man sich bewusst sein, dass die Hagen nicht ausschliesslich durch ihre gesanglichen Fähigkeiten Ruhm erlangt hatte.
Und dennoch, wenn über die gesanglichen Qualitäten von Nina Hagen gesprochen wird, so ist man sich unisono einig. Nina Hagen hat in ihrer musikalischen Laufbahn immer wieder den Beweis erbracht, dass sie viel vom Talent ihrer Opern singenden Mutter geerbt hat.
Ganz objektiv betrachtet darf man erwähnen, dass ihre Stimme vor allem bei den Blues-lastigen Songs zur Geltung kam. Ansonsten wartete man vergeblich auf den überaus grossen Stimmumfang einer Nina Hagen, den man aus den 80er und 90er Jahren her kannte. Ninas Akustik-Tour bestand vor allem aus Cover weltbekannter wie auch religiös angehauchter Lieder aber auch das hebräische Volkslied „Hava Nagila“ oder „Rivers Of Babylon“ (Boney M.) wurden von ihr auf der Gitarre dargeboten. Ihre Begleitband konnte man wahrlich nicht beneiden, denn durch ihren impulsiven und irgendwie improvisierten Auftritt, sahen sich die drei Musiker oftmals Situationen gegenübergestellt, wo sie improvisieren mussten. Bei fast allen Liedern warteten sie ab, was die Chefin wohl als nächstes tut und stellten sich erst nach drei oder vier Takten auf Tempo oder Tonart ein.
Die Frau Hagen bombardierte das Publikum im Kiff mit historischen Aussagen der letzten zweihundert Jahren. Stets erinnerte sie an Zeiten des Dritten Reiches, der Sklaverei in Amerika, Afghanistan, Syrien, dem russischen Einmarsch in Berlin, Sachsenhausen, Juden-Verfolgung, Menschenrechte, gesungene Texte von Brecht… Es war ein Sammelsurium an geschichtlichen und aktuellen Ereignissen, untermalt mit gesanglichen Einlagen, die zwischen Ernst und Komik wankten. Einen roten Faden gab es schlichtweg nicht, denn man wurde hin und her gerissen von Selbstironie, Entertainment, Tragik und Komik. Mit „meine Geschwister“ hat sie das Publikum immer wieder angesprochen und als solche hat man sich irgendwann auch mal gefühlt. Irgendwie konnte man über sie lachen, so unverschämt direkt und ehrlich sie auf der Bühne stand und dennoch bewarf sie die Besucher, ihre Besucher, auch mit ernsthafter Thematik, die zum Nachdenken anregte.
Sprunghaft, polarisierend, rülpsend, grinsend, lachend, frech, kindlich, manchmal sogar hilflos wirkend und dennoch unglaublich dominant, agierte sie im ausverkauften Kiff, dessen Publikum mannigfaltiger nicht sein konnte. Selten besuchte ich ein Konzert, eine Darbietung, der so viele Frauen beiwohnten und eben so wenig sah ich so viele unterschiedliche Charaktere einer Künstlerin huldigen.
Nina Hagen live zu erleben ist und bleibt ein Erlebnis der besonderen Art. Man muss offen sein für ihre politische, schrille und provokative Art. Manches muss man einfach wirken lassen und über manch Skurriles kann man einfach nur grinsen. Hagen eben.
Text: Daniel Baratte
Bilder: Liane Paasila