8. Oktober 2019
Rote Fabrik – Zürich
Band: Motorpsycho
Und sie haben es wieder getan. Motorpsycho, die unglaublichste Band der Welt, sind schon wieder auf Tour – diesmal in der Roten Fabrik in Zürich – gerade erst von den Aufnahmen im Süden Frankreichs zurück. Wie schaffen die das? Zumindest wir – und damit sind all jene gemeint die sich immer wieder als gute Freunde an den Motorpsycho-Gigs treffen – als Zuhörer hatten noch gar nicht genügend Zeit das letzte Konzert vergangenen Mai in Lausanne zu verdauen, geschweige denn uns davon zu erholen.
Motorpsycho feiern dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen, für mich jährt sich der live-Genuss dieser Band nun doch auch schon das zwanzigste mal. Die Anzahl der Konzerte welchen ich im In- und Ausland beigewohnt habe, habe ich definitiv aus dem Blickfeld verloren. Und so wurde es wieder einer dieser Abende an dem die Realität verschwimmt und die Objektivität an Relevanz verliert.
Objektiv gesehen, war der Einstieg in den Abend mit „The Jig is Up“ noch etwas unsicher und auch das Prog-Ungetüm „The Crucible“ von ihrer letzten Platte schien etwas verhalten und wackelig auf den Beinen, dafür mit den Double-Neck-Gitarren doppelt gut anzusehen. Aber wenn nicht schon bei „Mad Sun“, welches mit akkustischen Gitarren gespielt wurde (das hallgeschwängerte Original ist live ja kaum erreichbar), dann spätestens bei „Whip that Ghost“, einem rein instrumentalen und fast schon fröhlichen Stück von „Let Them Eat Cake“, waren sowohl die vier Mannen auf der Bühne als auch das Publikum angekommen.
Womit der Objektivität nun Genüge getan wäre. Es ist einfach unglaublich, was bei Motorpsycho auf der Bühne passiert, man kommt nicht aus dem Staunen raus. Die Herren kennen sich in- und auswendig, sie verstehen sich, sie kreieren miteinander musikalische Psychedelic-Prog-Stoner-Türme und reichen ihre unglaubliche Energie in das Publikum hinaus. Jams bei welchen man nicht merkt wie sie in diese hineinrutschen und sich daraus rauswinden, da kam bei mir sogar die Frage auf: „Wie rettet ihr euch jetzt?“ Aber es war natürlich gar keine Frage. Es gelang einfach. Manchmal auch nicht ganz so smooth. Und manchmal gelang es auch zur Überraschung der Musiker selbst. Grossartig diesen „ich liebe es wenn ein Plan funktioniert-Gesichtsausdruck“ in den vier Gesichtern zu sehen. Ebenfalls ganz grosses Tennis: Das grollende „Mountain“ brummt schwermetallisch und monoton auf das Publikum nieder, nur um klammheimlich in „Nothing to Say“ zu switchen und die eigenen Stimmbänder und diejenigen der mindestens fünf vordersten Publikumsreihen zu strapazieren, bevor es nach Minuten wieder zurück zu „Mountain“ (aka „Swiss Cheese Mountain“) geht. Genau einer dieser unbeschreibbaren Momente die man zuerst gar nicht begreift. Und spätestens nach der zweiten Zugabe „Hey Jane“ bei der sich Bent Sæther den Schmerz aus der tiefst verletzten Seele schreit waren dann auch alle Zuhörer heiser, dafür doppelt glücklich. All dies ist und gehört zu Motorpsycho.
Motorpsycho lebt von Harmonien, Disharmonien, Schwerfälligkeit und Leichtigkeit. Von Brüchen, Lärm und Stille, von Perfektion und Fehlern. Von Komplexität und Einfachheit. Von Stromgitarren, Fuzz-Bass, Moog, Schlagzeug, Gesang und Mellotron. Von Prog bis Metal, von den 70ern bis heute. Von Bent Sæther, Hans Magnus Ryan, Thomas Järmyr und Reine Fiske. Und der kollektiven Trance in die man bei den unendlichen Wiederholungen und Solos unweigerlich hineintauchen darf! Motorpsycho sind anders. Motorpsycho sind gross. What a night.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. The Jig Is Up (Kiss the Snake)
2. The Crucible
3. Mad Sun
4. Whip That Ghost (Song for a Bro’)
5. Überwagner or a Billion Bubbles in My Mind
6. The PilgrimPills Powders and Passion Plays
7. Granny Takes a Trip
8. Mountain
9. Nothing to Say
10. Spin, Spin, Spin
11. Bonnie Lee
12. Psychotzar
Zugaben
13. No Evil
14. Hey Jane
15. Lux Aeterna
Text: Mischa Castiglioni
Bilder: Christian Wölbitsch