17. September 2018
KIFF – Aarau
Bands: Leprous / Agent Fresco / 22
Vorwort
Montagabend. Tatort: «Kultur in der Futterfabrik (kurz «KIFF»), Aarau
Was für ein Start in die Woche. Die Motivation der anwesenden Konzertgänger liegt bereits im Keller, jedoch ist ein schwacher Glanz in den Augen wahrzunehmen. Die Vorfreude auf ein kolossales Progressive-Rock/Metal-Paket, welches an diesem «warmen» Montagabend im Saal des KIFF gastiert. Mit Leprous und Agent Fresco sind dies zwei gestandene Grössen in diesem Bereich. Dazu haben sie mit 22 eine Truppe aus Norwegen mit dabei, welche nach langer und harter Arbeit doch noch einen kleinen Durchbruch zu feiern scheint.
Erster Akt
Halb acht, gerade noch rechtzeitig geschafft. Oben erklingt bereits das erste Riffgewitter. Ich werde am Eingang jedoch von Arnór Dan aufgehalten, welcher einer Bekanntschaft noch ein Ticket zu organisieren scheint. Sei es ihm verziehen, er kann es ja bald mit einem Auftritt abbezahlen.
Nun schnell die Stufen hochgeklettert und rein ins Getümmel. Der Platz vor der Bühne ist noch überschaubar und so habe ich eine gute Sicht und einen angenehm abgemischten Sound um mich herum. Vor mir bewegen sich vier Schatten in einem horrenden Tempo hin und her. Verziert mit je einem langen weissen Farbklecks übers Gesicht. Die Jungs von 22 geben alles. Es wird gesprungen, getanzt, gewalzt, umhergeschleudert, als gäbe es kein Morgen. Das Publikum wird am Laufmeter animiert. Das macht Eindruck. Manche Eltern würden da heute wohl sofort zu Ritalin greifen. Sänger Per Trollvik singt in meist hohen Tonlagen wie der Rest der Zunft an diesem Abend. Als Background-Gesang sind alle übrigen Mitstreiter mit von der Partie. Über die Vorteilhaftigkeit kann man sich jedoch streiten, da sich deren Gesang eher «schrill», als harmonisch anhört.
Musikalisch bewegt sich der Vierer irgendwo zwischen Muse und Agent Fresco, mit einem Schuss Leprous versehen. Passt also genau in die Tour-Combo. Massig Synthie-Einsatz und Effektgebrauch. Solider Auftritt, jedoch ohne wirklich ein Highlight zu setzen. Als Aufwärmer für das Kommende jedoch sehr gut geeignet.
Zweiter Akt
Finnische Sauna im Saal. Die Menge quetscht sich Schulter an Schulter dem Ausgang entgegen und jeder freut sich auf die kurze Abkühlung. Viel Zeit für Erfahrungsaustausch bleibt jedoch nicht, denn kurze Zeit später befinde ich mich bereits wieder vor dem mittlerweile «berüchtigten» Vorhang. Der Saal ist zum Bersten gefüllt, und das an einem Montagabend. Chapeau, meine lieben Prog-Freunde, chapeau.
Agent Fresco starten fulminant mit «Howls», einem Track ihres letzten Longplayers «Destrier». Das Publikum ist sofort gefesselt und singt von der ersten Minute an mit. Die Isländer aus Reykjavik sind in Spiellaune und zeigen sich von ihrer besten Seite. Der Schlagzeuger Hrafnkell prügelt sich in einer Tightness, die Seinesgleichen sucht, die Seele aus dem Leib. Bassist Vignir schwingt seinen Bass in jede erdenkliche Richtung. Þórarinn an der Gitarre tut es ihm gleich, unterbricht dies auch nur, um zwischendurch sein Synthie-Keyboard zu bedienen. Arnor steht wie eine grazile Gallionsfigur mit Hüftschwung an vorderster Front und umschmeichelt die Zuhörer mit seiner Engelsstimme. Wobei diese heute nicht in Bestform zu sein scheint. Ein schiefer Ton hier, einer da. Okay, was sind wir auch alle verwöhnt von dieser Band und ihren Auftritten.
Mit «Implosions» und «Eyes of a Cloud Catcher» gibt es leider nur gerade mal zwei Songs ihres 2010 erschienenen Albums «A Long Time Listening» zu hören. Schade. Hätte mir da ein klein wenig mehr gewünscht. Von «Destrier» sind dafür neben «Howls» auch «Wait for me», «Pyre», «Dark Water», «See Hell», «Angst», «Bemoan» und «The Autumn Red» gleich acht Hammertracks vertreten. Zudem spielen Agent Fresco zwei neue Songs für das Aarauer Publikum. Die Namen sind mir leider ebenso wenig hängen geblieben, wie die Tracks an sich. Schade, vielleicht beim nächsten Mal auf Platte.
Der Menge scheint dies jedoch gänzlich egal zu sein, es wird gekreischt (viele weibliche Agent-Fresco-Fans geben den Takt an), gejohlt und geklatscht. Nach einer satten Setlist mit wenigen Pausen verlassen Agent Fresco verschwitzt, aber grinsend die Bühne, um sich bald darauf am Merchstand ablichten und von Fragen durchlöchern zu lassen. Mein Weg führt mich an diesem Abend aber erneut in schnellen Schritten dem kühlen Ausgang entgegen.
Dritter Akt
Die Stunde naht dem Nullpunkt entgegen, der Saal ist wieder vollgepackt und das Schwitzen geht in die nächste Runde. Hinter dem Vorhang erklingen bereits die ersten Töne eines Intros. Als dieser sich endlich lüftet, stehe ich vor einer Wand aus Nebel, in ihrer Mitte gänzlich umhüllt Raphael Weinroth-Browne mit seinem Cello. Wie schon beim letzten Besuch von Leprous in Winterthur umschmeicheln die surrenden Saiten das Publikum. Währenddessen steigen die restlichen Protagonisten auf die Bühne und stimmen langsam mit ein.
Somit gibt es einen fliessenden Übergang zu «Bonneville», dem ersten Track auf dem neuen Album «Malina». Da sich Leprous für jedes einzelne Konzert eine spezielle Setlist ausgedacht haben, steigt die Aufregung jedes Mal gegen Ende eines Songs auf den nächstfolgenden. Als nach «Stuck», «Illuminate» und «The Flood» mit «Leashes» einer meiner Favoriten erklingt, bin ich gänzlich begeistert. Auch «Salt» sowie das neuste «Golden Prayers» tun ihre Wichtigkeit. Danach folgt mit dem Massive-Attack-Cover «Angel» die wirkliche Überraschung. Verdutzt schaue ich in ratlose Gesichter, die Aufklärung erfolgt erst nach dem Konzert anhand eines fachkundigen Informanten. Well played, Leprous. Nach «The Price» kommt erstmals ein wenig Ruhe in den Saal. Einar und seine Fraktion bleiben stumm. Das Cello reisst das Zepter an sich und beginnt erneut mit einem einschmeichelnden Saitenspiel. Man wähnt sich an Bord der HMS Surprise und lauscht den Klängen von Kapitän «Lucky Jack» Aubrey und seinem Schiffarzt Stephen Maturin bei ihrer abendlichen Musizierstunde während der Verfolgung der Acheron (siehe Master and Commander). Anschliessend folgt als Encore mit «Lower», «From the Flame», «Slave» und «Mirage» ein würdiger Abschluss.
Die Band wird noch lange frenetisch gefeiert, jedoch merkt man auch den meisten eine gewisse Erschöpfung an infolge dieser gewaltigen Ladung Prog. Den einzigen Kritikpunkt könnte man in der Auswahl der Setliste sehen, welche doch nicht gross differenzierter war als beim letzten Auftritt. Schade. Aber wie schon bei Agent Fresco angemerkt, das ist nun wirklich Jammern auf hohem Niveau. Alles in allem war es erneut eine Machtdemonstration und Input für viel Gute Laune und einen zufriedenen Gang nach Hause.
Text: Gianluca Teofani
Bilder: Kathrin Hirzel