25. August 2017
Industriepark – Winterthur
Ensemble: Karl’s kühne Gassenschau – Programm: Sektor 1
Seelenbalsam! Lebenselixier! Muntermacher! Welt aller Heilmittel! Anarchie-Travestie!
Was 1984 als Strassenvariété begann und sich rasch zu einem überschaubaren Freilufttheater wandelte, ist längst als monströses Unterhaltungsschlachtschiff unterwegs. Karl’s kühne Gassenschau ist aus der Kunst- und Kulturszene nicht mehr wegzudenken. Trotz schierer Grösse ist deren Einfallsreichtum unerschöpflich bis fabulös und nie desaströs. Aber pompös.
Sie, die extra dort ein Apostroph anbringen, wo keiner sonst ein Apostroph anbringen würde, haben sich mit ihrem aktuellen Programm „Sektor 1“ einschneidenden Regeln und deren strenger Einhaltung verschrieben: folgsame Menschen, enge Freiräume, glühende Träume, sehnliche Wünsche. Stets dabei: der akrobatische, spektakuläre, halsbrecherische, musikalischer Hochgenuss.
Wie immer wird auch das omnipräsent-begeisterte Publikum mehr oder minder stark mit einbezogen. Nebst Film- und Rauchverbot herrschte dieses Mal von 00 bis 24 Uhr Abfallverbot. Und da wir alle den Sauerstoff in der Luft schützen wollen, musste immer einmal mehr aus- als eingeatmet werden. Jene, die das Sauerstoff-Kontingent mit Füssen traten, wurden nach Hause geschickt – um mehr Luft zu holen.
Die Regelgeilheit ist Spiegelbild der so typisch spazieren geführten Humorschwangerschaft. Eine Schwangerschaft, die stets dafür sorgt, dass der Zuschauerschaft ihr Staunen und Lachen förmlich aus dem Gesicht fällt.
Kurzum: Wir wollen nicht mehr ohne Karl’s kühne Gassenschau sein und hoffen noch Jahrzehnte auf dieses wunderbare, wundersame, wundervolle theatralische Inferno. Feuer frei!
Text: Cyril Schicker