15. Dezember 2019
Dynamo – Zürich
Bands: Jinjer / The Agonist / Khroma / Space Of Variations
Das letzte Konzert des Jahres für mich. Und was für eines es werden sollte. Niemand geringeres als die übermächtigen Jinjer luden an diesem dritten Adventssonntag zum Tanz ein. Zusammen mit drei weiteren hochkarätigen Bands sollte dies ein fettes Metal-Fest werden.
Als erstes waren Jinjers Landeskumpanen Space Of Variations aus der Ukraine an der Reihe. Und meine Güte, was für ein Auftakt. Die vier Herren gingen mal gleich richtig fett ab. Eine sehr aggressive Mischung aus modernen Metal-Klängen jeglicher Couleur, vielen punkigen Elementen und hier und da etwas Electro. Die Band fühlte sich auf der geräumigen Dynamo-Bühne sichtlich wohl. Sänger Dima Kozhuhar kündete ein Lied mit dem Titel „Tibet“ an, welches laut eigener Aussage „really f***ing epic“ sei. Was folgte war ein gnadenloser Nackenbrecher, was für ein grandioses Lied. Ultra heavy Riff, melodiöser, Post-Hardcore-mässiger Mittelteil und ein Refrain, der alle im bereits gut gefüllten Dynamo zum Mitschreien bewegte. Genial! Danach gab es ein Lied in Russisch, welches wiedermal zeigte, dass das eine hervorragende Metal-Sprache ist. Space of Variations waren die Entdeckung für mich und ich wäre überrascht, wenn wir von ihnen in Zukunft nicht mehr hören würden, ganz wie ihre Landeskollegen. Was für ein Start in den Abend.
Als nächstes standen auf dieser sehr internationalen Tour Khroma aus Finnland auf der Bühne. Die vier Herren aus Helsinki schraubten die Schwere nochmals ein Stück nach oben. Mit tief heruntergestimmten Gitarren, verstörenden Elektro-Parts und einer ziemlich angsteinflössenden Stimme war das nichts für schwache Nerven. Gitarrist Mikko Merilinna begrüsste uns, zur Überraschung aller, auf Deutsch, was gleich sympathisch war. Das Lied „Kill The Friction“ war eine Offenbarung für mich. Fand ich Khroma bisher gut aber nicht überragend, passte auf einmal alles. Die Electro-Parts richtig gut eingesetzt, dazu ein sehr moderner, brutaler Sound und top Aufbau. Dies kam auch im Publikum rüber, denn genau wie ich tauten die Leute mehr und mehr auf, und das gut gefüllte Dynamo kam in Bewegung. Die Jungs von Khroma machten alles richtig, sehr sympathisches Auftreten, fantastisch harter Sound und dabei etwas Neues und Frisches in Sachen Klang und Songelementen. Nur mit achtsaitigen Gitarren werde ich mich nie anfreunden können.
Als nächstes waren die Damen und Herren von The Agonist aus Kanada an der Reihe. Hier gab es vertrauteren Sound, zumal die Band um Sängerin Vicky Psarakis zu einem der grösseren Namen im Bereich Melodic Death Metal gehören. Los ging es absolut ohne Gnade, hier wurden keine halben Sachen gemacht. Das Dynamo war nun auch richtig voll und die Stimmung war von Anfang an genial. Die Band gab Vollgas und spielte ohne Verschnaufpausen. Danny Marino zeigte unglaubliches Können an der Gitarre, ihm zuzuschauen machte unfassbar Spass. Und dann war da Mrs Psarakis, was für eine Stimmgewalt sie an den Tag legt! Schon beeindruckend, dass dieser Abend gleich zwei der besten Stimmen in modernem Metal aufzuweisen hatte, das kann man nicht jeden Tag miterleben. Mit drei von vier Bands hatten wir an diesem Sonntag absolut höchstkarätige Musik geniessen dürfen, das Lineup war der Hammer. So viel Abwechslung, so viel Talent und Können, ein richtiges Fest. The Agonist überzeugten bis zum Schluss, das war wirklich ein richtig starker Auftritt von einer talentierten und sympathischen Band. Gerne wieder.
Ja und dann war es endlich soweit, der Hauptgrund, weshalb wir alle heute hier waren. Der Umbau erfolgte komplett ohne Hintergrundmusik, dann ging das Licht aus und es erschien ein dreiminütiger Timer zu „lainnereP“. Die Spannung und Vorfreude stiegen ins Unermessliche und mit „Teacher Teacher“ waren sie plötzlich da. Was für eine Explosion dieser Start war. Jinjer sind live eine absolute Macht, was Gitarrist Roman Ibramkhalilov und Bassist Eugene Abdukhanov für eine unglaubliche Sound-Wand hinlegten, war unfassbar. Dazu die verrückt vertrackten Beats von Drummer Vladislav Ulasevish und natürlich die unglaubliche Stimme von Tatiana Shmailyuk. Weiter ging es mit dem vernichtenden „Sit Stay Roll Over“ und spätestens hier hatten die vier Ukrainer die Menge im Dynamo vollkommen in der Hand. Ein grosser Moshpit brach aus, überall rotierende Haare, herumgeworfene Körper und strahlende Gesichter – es war eine Freude. Tatiana war in Höchstform und verlangte ihren Stimmbändern alles ab, dazu Musik, die so abwechslungsreich, professionell und gleichermassen verspielt wie durchdacht ist, wie man es derzeit von kaum einer anderen Band kennt. Es gab keine Sekunde, um still zu stehen, mal waren die Riffs nackenbrechend hart und langsam, dann gab es wieder Blastbeats und super brutale Breakdowns. Alles auf allerhöchstem Niveau. Das grossartige „Judgement (& Punishment)“ vom neusten Werk „Macro“ funktionierte live so gut wie auf dem Album. Als die harten Riffs plötzlich einem Reggea-Beat wichen und alle vereint mit Tatiana zusammen „Booyah!“ riefen, war das ein besonderer Moment.
Ich merkte mein Alter ein wenig, hatte es mir zu viele Leute im ausverkauften Dynamo, darum zog ich mich nach hinten zurück. Den allermeisten war es aber weit vorne im Moshpit am wohlsten, und Jinjer hatten die Masse echt im Griff. Jedes Lied, jede Ansage, ja, jeder Scream und jede erhobene Faust von Tatiana hatten Jubel, Applaus und Geschrei zur Folge. Es wurde heisser und heisser im Saal, die Leute drehten durch und die Band hatte das ganze Konzert über ein grosses Grinsen im Gesicht. Mit Brettern wie „Perennial“, „Pit Of Consiousness“ oder dem brutalen „I Speak Astronomy“ wurde uns wirklich alles abverlangt.
Wie immer im Leben war natürlich das Ende viel zu schnell in Aussicht. Auf das Mid-Tempo-Brett „Just Another“ folgte als Abschluss „Words Of Wisdom“, beide vom grandiosen Vorgängeralbum „King Of Everything“. Was für ein Lied: Mit dem durchgedrehten Schluss, dem wundervollen Wechsel der Gesangsstile und der Komplexität. Ein Song, der alles bis in die letzte Reihe in Grund und Boden stampfte. Absolut gewaltig. Aufmerksamen Konzertbesucher*innen sowie Leser*innen fällt natürlich auf, dass der kolossale Überhit „Pisces“ noch fehlte. Wie nicht anders zu erwarten, drehten hier alle nochmals komplett durch. Das Lied hat nicht umsonst viel Aufmerksamkeit auf YouTube erhalten, es zeigte wirklich nochmals perfekt, was diese Band ausmacht. Ein absolut phänomenaler Abschluss. Schon lange war ich nicht mehr so durchgerockt worden wie an diesem Abend. Ein definitiv würdiges letztes Konzert in dem Jahr.
Setlist [Quelle: setlist.fm]
1. lainnereP
2. Teacher, Teacher
3. Sit Stay Roll Over
4. Ape
5. Judgement (& Punishment)
6. I Speak Astronomy
7. Dreadful Moments
8. Who’s Gonna Be The One
9. Retrospection
10. Perennial
11. On The Top
12. Pit Of Consciousness
13. Just Another
14. Words Of Wisdom
Zugabe
15. Pisces
Text: David Spring
Bilder: Anna Wirz