Datum: 18. November 2014
Ort: Kongresshaus – Zürich
Bands: Ian Anderson
Jethro Tull gibt es seit diesem Jahr offiziell nicht mehr. Nach 47 Jahren zog Gründer und Bandleader Ian Anderson einen Strich unter dieses Kapitel und beschloss, nur noch unter eigenem Namen weiter zu machen. Nach immerhin sechs Solo-Alben und als einzig verbliebenes Bandmitglied ein durchaus nachzuvollziehender Schritt.
So ganz konnte er sich scheinbar dann doch nicht von dem legendärem Bandnamen trennen. „Jethro Tull’s Ian Anderson performs Homo Eraticus followed by the very best of Jethro Tull“ lautet der Slogan unter der aktuellen Tour, welche im ausverkauften Züricher Kongresssaal Station machte.
Um 20:00 Uhr starte der Abend mit fünf Musikvideos, welche auf die riesige Bühnenleinwand projiziert wurden. Von eher unbekannten Künstlern wurde jeweils ein Video mit teils sehr interessanten Stücken gespielt. Eine richtige Vorband ersetzte dieser Auftakt zwar nicht, war aber sehr schön anzusehen bzw. anzuhören.
Die Musikvideos wichen einer Einspielung, die ein Schweizer Sanatorium um 1928 zeigte. Ärzte behandelten einen nach Whisky und Musik verlangenden Patienten. Ian Anderson. Und schon stand er auch leibhaftig auf der Bühne, was natürlich frenetischen Jubel mit sich brachte. „Doggerland“, der Opener des aktuellen Anderson Albums wurde als erste Stück des Abends angestimmt. Die berühmteste Querflöte der Rock-Geschichte, gespielt von einem offensichtlich gut aufgelegten und topfitten Ian Anderson. Ein guter Anfang.
Der charismatische 67jährige beeindruckte von der ersten Minute an mit einer verblüffenden Agilität und Präsenz. Einbeiniges Flötenspiel wechselte mit wildem, breitbeinigen Gestikulieren und leichtfüssiger Hüpferei von einem Bühnenrand zum andern. Respekt. Stimmkräftig unterstützt wurde er von Ryan O’Donnell, der im Laufe des Abends oft den Gesang mit Anderson teilte. Der junge Brite kam sehr sympathisch rüber und kommunizierte äußerst amüsant aber auch zurückhaltend mit dem Publikum. Ein angenehmer Sidekick und sehr guter Sänger bzw. Entertainer.
Die erste Hälfte des Sets bestand ausschließlich aus Stücken des neuen Anderson – Soloalbums „Homo Erraticus“. Dem Eröffnungsstück folgten die etwas ruhigeren Nummern „Enter the Uninvited“, welches kritisch den US-Einfluss auf die restliche Welt thematisiert und „Puer Ferox Adventus“. Auf der Leinwand im Hintergrund wurden die Songs mit passenden Videos visualisiert.
Ein großer Teil des anwesenden Publikums dürfte diese Songs sehr wahrscheinlich zum ersten Mal gehört haben. Möglicherweise aber nicht zum letzten Mal, denn „Homo Erraticus“ ist ein äußerst abwechslungsreiches und spannendes Album geworden und dürfte an diesem Abend einige neue Fans gefunden haben. Abgeschlossen wurde der erste Teil des Abends mit „Cold Dead Reckoning“, einem Ohrwurm der unerwartet hart und stampfend vorgetragen wurde.
Die Jethro Tull-Hälfte des Sets, startete mit dem Klassiker „Living In The Past“. Mit den typischen, weiten Sprüngen zwischen den Tonhöhen hat Anderson mittlerweile Probleme, was aber nicht weiter störte. Sein Spiel auf der Querflöte ist nach wie vor umwerfend. Zu allen Songs wurde zu Beginn auf der Leinwand eine Uhr eingeblendet, welche zum Veröffentlichungszeitpunkt des jeweiligen Stücks gedreht wurde. Eine schön anzusehende und vor allem aufschlussreiche Animation.
Es folgte „With You There To Help Me“ im Duett mit O’Donnell und Sweet Dream, welches sehr amüsant angekündigt und mit witzigen Gruselfilm Sequenzen visualisiert wurde. Die Rockversion des Klassikstück „Bourée“ (J.S. Bach), sowie „Teacher“ riefen Jugenderinnerungen wach und „Critique Oblique“ sowie „Songs From The Wood“ zeigten eindrücklich, das Jethro Tull zu den wichtigen Gründern des Progressive-Rock gehören. Großartig Stücke, die nach alle den Jahren noch kein bisschen angestaubt wirken.
Mit „Farm On The Freeway“ vom 87er “Crest Of A Knave” Album dann wieder etwas leichtere aber nicht minder gute Kost. Auf der Leinwand liefen passend dazu Videos in denen über endlose Straßen gebrettert wurde. Die Uhr wurde anschließend wieder zurückgedreht ins Jahr 1971 und das wohl bekannteste Riff der Band erklang. „Aqualung“ war ohne Zweifel der Höhepunkt des Abends. Ein wunderbares Stück Musikgeschichte. In den ruhigen Parts wurden die Stimmen von Anderson und O’Donnel wie im Original verzerrt durch die Boxen geschickt und erzeugten wahrlich Gänsehaut. Der Rosenheimer Gitarrist Florian Opahle lieferte dazu noch ein großartiges Solo ab. Der Kerl erledigte den ganzen Abend schon einen super Job, dennoch hatte man den Eindruck, dass er bis zu diesem Ausbruch nur in den Startlöchern stand.
Die Band verabschiedete sich unter großem Applaus. Nur wenige Augenblicke später nahm John O’Hara erneut hinter seinem Piano Platz und stimmte das letzte Stück des Abends an. „Locomotive Breath“ war natürlich noch ein Schmankerl und so mancher Zuschauer wäre am liebsten von seinem Sitz aufgesprungen. Schade, dass es keiner gemacht hat.
Fazit:
Ein schöner Abend mit einem sehr spielfreudigen Ian Anderson samt seiner top Band. Die neuen Stücke überzeugten ausnahmslos und vor den alten Klassikern kann man sich nur tief verneigen. Ob ein bestuhlter Kongresssaal die richtige Arena für ein Rock Konzert ist, sei einmal dahingestellt. Etwas seltsam mutete die Szenerie schon an, als beispielsweise alte Hippie Filmchen aus den 70ern auf der übergroßen Leinwand, dem nun zu großen Teilen extrem herausgeputztem Publikum gezeigt wurden. Teilweise mochte man den Eindruck gewinnen, man sei auf einer Opernpremiere. So richtig Stimmung wollte da partout nicht aufkommen.
Der Sound im Kongresssaal war erwartungsgemäß gut. In den ersten Reihen vielleicht etwas zu laut, aber im akzeptablen Rahmen. „Thick As A Brick“ fehlte leider, dafür machten die Prog-Hymen „Critique Oblique“ sowie „Songs from the Wood“ große Freude.
Fotos gibt’s von dem Abend keine, da ein striktes Verbot angeordnet war.
Text: Thomas Lang