6. Dezember 2019
L’Amalgame – Yverdon-les-Bains
Bands: Monkey3 / Convulsif / Alchemists
Immer mal wieder etwas Neues. Mit diesem Gedanken machte ich mich an einem kalten Freitagabend auf den Weg ins beschauliche Yverdon-les-Bains und den Club L’Amalgame, um mitzuerleben, wie die Westschweizer so abgehen. Nach einem Fussweg durch ein menschenleeres Industriequartier, war ich, beim Club angekommen, freudig überrascht zu sehen, dass doch einige Leute den Weg dahin gefunden hatten. L’Amalgame ist klein, aber fein, mit einer guten Bar und, wie sich bald zeigen sollte, einem sehr coolen Sound-System. Es sollte also ein interessanter Abend werden.
Als erstes waren die vier Jungs von Alchemists aus Lausanne an der Reihe. Mit einem epischen Intro ging es los, und von Anfang an liessen die Waadtländer nichts anbrennen. Moderner Prog Metal mit vielen Death- und Djent-Einflüssen, sehr starkem Gesang, einem acht-Saitigen Bass und sehr viel jugendlichem Elan brachten schnell Bewegung ins Publikum. Der Sänger Julen Ibarrola schien seinen eigenen Fanclub mitgebracht zu haben, denn zuvorderst an der Bühne standen zehn, augenscheinlich dem Teenage-Alter noch nicht ganz entwachsene Fans, die den jungen Sänger absolut abfeierten. Das war richtig cool zu sehen, zumal die jungen Damen und Herren nicht nach Metal-Fans aussahen, aber sie hatten augenscheinlich Freude. Alchemists machten aber auch alles richtig, Gitarrist Marc Chevalley überzeugte mit starken, verspielten Licks und super harten Riffs, währenddem Bassist Yoan Maillard und der neue Schlagzeuger Thomas Giroud, der heute sein erstes Konzert mit der Band spielte, die Songs trotz aller vertrackten Rhythmen und ungeraden Takten bedingungslos nach vorne trieben. Richtig cool, diese Band. Dass dies überhaupt erst ihr zweites Konzert in dieser Formation war, merkte man den vieren nicht an. Für mich waren die Gitarren zwar wie so oft etwas zu tief gestimmt, aber das tat der Qualität dieser Band keinen Abbruch. Und wie bereits erwähnt, war der Sound wirklich sehr gut hier im L’Amalgame, wenn das nur immer so wäre. Immer wieder fühlte ich mich an Bands wie Between The Buried And Me erinnert, brutale Riffs und harsche Screams wechselten sich mit sphärischen Interludes und cleanem Gesang ab, dazu unglaublich hohes spielerisches Niveau von allen vier Musikern – mein Prog-Metal-Herz schlug auf jeden Fall höher. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir in naher Zukunft noch viel von Alchemists hören werden, zumal Anfang 2020 ihr erstes Album erscheinen wird. Sehr cooler Auftritt.
Als nächstes sollte es richtig abgefahren und komisch werden. Auf der Bühne wurden eine Tonne Effektgeräte sowie eine Geige und eine Bassklarinette aufgebaut. Ganz im Dunkeln betraten die vier Waadtländer von Convulsif die Bühne und legten mit einzelnen Paukenschlägen und Basstönen los. Ganz entgegen aller musikalischer Erwartungen setzen die Klarinette und die Geige mit unwahrscheinlich verzerrten, lärmigen Effekten immer wie mehr ein, so dass sich die unzusammenhängenden Schläge immer mehr in etwas Ganzem fanden und sich eine Art Struktur zu bilden schienen. Doch bevor man wirklich von einem Lied sprechen konnte, artete alles in komplettes Chaos aus. Jamasp Jhabvala und Christian Müller entlockten der Geige und der Klarinette unbeschreibliche Töne und Lärm, währenddessen Loïc Grobéty am Bass und Maxime Hänsenberger wie durch Zauberhand immer mal wieder zusammenfanden und diese Kakophonie doch irgendwie zusammenhielten. Wie die vier es dann schafften, allesamt genau zum gleichen Moment zu einem Schluss zu kommen, entzieht sich meiner Vorstellungskraft komplett. Ich stand mit offenem Mund da, sowas habe ich noch nie gehört. Ehrlich gesagt weiss ich nicht, was ich da gerade miterlebt hatte. Mir fehlen tatsächlich etwas die Worte, um das, was Convulsif hier machten, irgendwie zu beschreiben.
Das nächste „Lied“ fing mit einem monotonen Geräusch an, zu dem sich der Bass und das Schlagzeug gesellten, die Klarinette und man konnte fast so etwas wie eine Melodie erkennen. Schloss man die Augen, konnte man geniessen, denn man wurde in völlig neue, düstere und gefährlich anmutende Welten entführt. Die Intensität des Liedes steigerte sich immer mehr, die Geige wurde ekstatischer und durchgedrehter, alles baute auf und drohte, auseinander zu fallen, bis die fragile Song-Struktur irgendwann nicht mehr standhalten konnte und alles von einer alles vernichtenden Wall of Sound erschlagen wurde. Unfassbar. Ich kann ehrlich sagen, dass ich nicht genau weiss, was ich mit dieser Musik anfangen soll. Einerseits ist es so chaotisch und destruktiv, dass es einem fast etwas Angst macht, auf der anderen Seite ist diese Band aber auch absolut beeindruckend, denn so sehr alles nach komplettem Chaos tönte, so sehr bin ich sicher, dass jeder der vier Musiker immer genau wusste, wo man sich im Song gerade befand. Wenn einmal etwas auf einen Schlag zu passieren hatte und alle Instrumente zusammenkommen mussten, dann klappte das perfekt und immer auf den Punkt. Eine unglaubliche Leistung bei diesem chaotischen Lärm. Nach zirka fünf Liedern war dieses akustische Abenteuer dann plötzlich vorbei. Das letzte Lied war verhältnismässig gradlinig, was nicht heissen soll, dass es auch nur ansatzweise eine erkennbare Struktur oder Melodieführung hatte. Es steigerte sich bis ins Unermessliche, und gerade als man denken wollte, dass jetzt unweigerlich wieder das Chaos folgen würde, war es fertig. Was für eine Band, das war wirklich eine Erfahrung. Convulsif sind definitiv keine Band wie jede andere. Wer den Mut hat soll sich unbedingt mal auf diesen Wahnsinn einlassen.
Nach diesem Anschlag auf die Gehörgänge war erstmal eine kurze Verschnaufpause nötig. Doch schon bald war es Zeit für den heutigen Headliner, die grossartigen Stoner Space Rock Giganten von Monkey3 aus Lausanne. Von der ersten Sekunde an waren die vier Herren super tight und heavy. Auch wenn Monkey3 sich gerne in langen, sphärischen Parts verlieren, war es doch eine Wohltat für meine Ohren, hier wieder eine Band mit Struktur und mir bekannten Songformaten zu hören. Das L’Amalgame war mittlerweile gut gefüllt, die Licht-Show der Band war nicht zu verachten. Es wurden interessante Weltall- und Landschaftsaufnahmen an die Rückwand projeziert, dazu CO2-Fontänen und viel Nebel und Vape-Dampf, denn auf Nikotin konnte die Hälfte der Band scheinbar nicht verzichten. Ich war von Anfang an beeindruckt, wie viel Abwechslung in den Songs steckte, besonders ohne Gesang. Mal waren die Songs richtig hart und stoner-mässig heavy, dann wieder eher sphärisch, mit fliegenden Melodien und viel Fokus auf den Keyboards von Herrn dB. Dazu die genialen Läufe von Bassist Kevin, die wuchtig treibenden Drums von Walter und den wundervollen Solos und Riffs von Gitarrist Boris. Monkey3 machten einfach Spass.
Auch das Publikum schien augenscheinlich gleicher Meinung zu sein, die Stimmung war sehr gut und alle waren artig am Klatschen und am Jubeln. In der ersten Reihe dazu eine Dame, die sich ganz und gar nicht mehr einkriegen konnte, das ganze Konzert über war sie wie wild am Tanzen und sich am Verbiegen, definitiv in einer anderen Welt. Sehr schön zu sehen, dass die Leute so von der Musik eingenommen werden, so soll das sein. Die Westschweizer feiern wilder als wir auf der deutschsprachigen Seite des Röstigrabens. Auch die Band war sehr gut drauf, auch ohne Mikrofone konnte man ihnen das Lachen von den Lippen lesen, die vier Jungs sind nicht nur wahnsinnig talentiert, sondern auch richtig sympathisch. Nach etwas über einer Stunde ging es dann leider wieder dem Ende zu. Wir wurden mit zwei Zugaben belohnt, was nochmals alle dazu brachte, richtig abzugehen. Monkey3 sind echt eine geile Band, ohne Tamtam, ohne Worte, ohne grosses Gehabe. Die Band macht seit bald 20 Jahren ihr Ding, bespielt die ganze Welt und hat dabei mit ihrer psychedelischen Mischung aus Space-Rock und Stoner-Metal genau ihre eigene Nische gefunden, die sie beherrschen, wie sonst kaum jemand.
Und damit war der Spass dann auch wieder vorbei, wie immer viel zu schnell. Was für ein interessanter, abwechslungsreicher und wunderbarer Konzertabend das war. Eine neue Venue, in der ich noch nie war, ein bisschen Westschweizer Charme und Mentalität. Und als wichtigstes, drei grossartige Bands, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und am Ende des Tages doch allesamt das Eine gemeinsam haben: die Magie, mit der gute, handgemachte, ehrliche Live-Musik uns immer und immer wieder zusammenbringt und den Alltag vergessen lässt. Was gibt es Besseres?
Text: David Spring