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Green Day + Bury Tomorrow + Kraftklub + Underoath + ††† (Crosses) + Hanabie. + The Interrupters + Montreal + Thy Art Is Murder + Rave The Reqviem + Feuerschwanz + Alchemists + Paleface Swiss
Flugplatz – Interlaken
Samstag, 15. Juni 2023
Text: David Spring
Bilder: Miriam Ritler + Manuela Haltiner + Olivia Ritler
Ein letztes Mal geben wir alles! Noch einmal sämtliche Kraftreserven ausschöpfen, denn der letzte Tag am Greenfield Festival verspricht erneut, ein riesiges Fest zu werden. Der unbeständige Wetterbericht spielt ebenfalls mit und mit einem gewaltigen Line Up kann einem fulminanten Abschluss dieses wundervollen Festivals nicht mehr im Wege stehen.
Das Greenfield darf mit insgesamt ca. 84’000 Besucher:innen erneut an die Rekorde der letzten Jahre anknüpfen und freut sich, dass das grösste Schweizer Rockfestival weiterhin so grossen Zuspruch erhält. Auch aus unserer Sicht gibt es wenig, worüber mich beschweren könnte. Das Line Up war fantastisch und bot für jeden Geschmack etwas. Die Infrastruktur lässt an gewissen Ecken zwar wie immer noch etwas zu wünschen übrig, insbesondere die Duschen könnten wirklich ein Upgrade vertragen, und eine weitere Wasserstation bei der Eiger-Stage wäre ebenfalls wünschenswert. Doch alles in allem lief am Greenfield auch dieses Jahr viel mehr gut als mangelhaft.
Der letzte Tag ging wunderbar brutal mit Paleface Swiss los. Die Zürcher Deathcore-Helden veranstalteten ein vorzügliches Massaker und heizten der Meute vor der Jungfrau-Stage am frühen Nachmittag ordentlich ein. Leider erlebte ich nur noch die letzten paar Songs dieser beeindruckenden Band, doch diese reichten, um auch das letzte bisschen Müdigkeit zu vertreiben. So wird man gerne wachgerüttelt. Auf der Eiger-Stage wartete gleich ein nächstes Highlight in Form des Westschweizer Gewinners des Bandcontests auf uns: Alchemists! Und so wie die vier sympathischen jungen Typen uns mit ihrem gewaltigen, vertrackten Tech Death Metal durchrockten, hätte man locker vergessen können, dass es sich hier um eine noch relativ junge, unbekannte Band handelt. Sänger und Shouter Julen Ibarrola hatte die Leute im Griff wie ein Profi und lieferte vernichtende Schreie genauso souverän ab, wie melodiöse Parts. Für das fantastische «Oma Trees» gesellte er sich zu uns in den Matsch und zettelte einen gewaltigen Circle Pit um sich herum an, während uns der Rest der Band mit unfassbar komplizierten Gitarren- und Bass-Parts sowie knüppelharten Riffs antrieb. Ein Bild für die Götter und was für ein fantastischer Auftritt dieser grossartigen Band. Von Alchemists dürfen wir auch in Zukunft Grosses erwarten.
Ganz andere Klänge gab es danach auf der Hauptbühne, denn hier standen nun Feuerschwanz auf dem Plan. In Vollmontur in mittelalterlichen Kostümen gekleidet, mit feuerspuckenden Tänzerinnen und viel Schabernack im Kopf, bot die Deutsche Gruppe ein köstliches Schauspiel. Heftige Riffs und altertümliche Instrumente passen immer wieder hervorragend an ein Festival, doch vor allem der Wortwitz der beiden Barden Hauptmann Feuerschwanz und Prinz R. Hodenherz III hebt die Band von ihresgleichen ab. Die beiden teilten das Publikum gerne entzwei, um uns in frohgemuten Disziplinen wie Schreiwettkämpfen, Walls of Death und natürlich dem allseits beliebten «Schubsetanz» gegeneinander antreten zu lassen. Als sich die beiden Sänger total zeitgemässe Sonnenbrillen aufsetzten und uns ein Lied aus dem 17. Jahrhundert ankündeten, als die Wikinger auf Mallorca einfielen und dort alles abfackelten, konnte dies nur eines bedeuten: «Dragostea Din Tei»! Einfach köstlich, wie die amüsante Band diesen schrecklichen Eurodance-Song in einen grossartigen Party-Metal-Banger verwandelte und das ganze Greenfield zum Mitsingen brachte. Was für ein Spass!
Mit Thy Art Is Murder stand eine weitere Band der ultraharten Klänge auf der Matte. Der gut gefüllte Platz vor der Jungfrau-Bühne verwandelte sich schnell in einen wilden Moshpit und die australischen Deathcore-Helden legten eine vernichtende Show hin. Trotz der Kontroversen um den ehemaligen Sänger, von dem sich die Band auf Grund transphober und allgemein unzumutbarer Aussagen getrennt haben, lieferten sie eine starke Show ab. Vor allem der neue Vocalist Tyler Miller liess nichts an Brutalität und Energie in seiner Performance vermissen. Immer wieder spassig, zu Songs wie «Make Amrica Hate Again» oder «The Purest Strain Of Hate» abzugehen. Für mich ging es aber bald schon wieder ab zur kleinen Bühne, denn hier spielten nun die formidablen Montreal. Die melodiösen, poppigen Punksongs waren nach so viel Lärm eine Wohltat. So teilten sie uns mit, dass man bei ihnen falsch am Platz ist, wenn man Metal hören möchte. Das Trio überzeugte mit wundervollem Humor und redete sich um Kopf und Kragen. So gab es zum Beispiel eine regelrechte Hasstirade gegen Clemens Maria Haas, dem Komponisten des furchtbaren «Katharine, Katharine», welches die Band aus purem Trotz munter immer wieder spielt. Aber natürlich waren es die glorreichen Songs wie «Kino?!» oder «15 Jahre für die Punchline», für die Montreal so geliebt und immer wieder heftig abgefeiert werden.
Frohgemut ging es gleich mit The Interrupters weiter. Die gutgelaunte Ska-Punk Truppe aus Kalifornien ist der perfekte Garant für Stimmung und ausgelassenes Tanzen. Auch wenn das Feld vor der Jungfrau-Bühne mittlerweile dank des vielen Regens in der Nacht eher wie ein Sumpf aussah, so tat dies der guten Laune keinen Abbruch. Sängerin Aimee Interrupter rannte voller Energie über die Bühne und animierte uns unerlässlich, während Gitarrist Kevin Bivona immer wieder mit witzigen Ansagen trumpfte und für einiges an Gelächter sorgte. Nimmt man dazu grossartige Ska-Punk-Hymnen wie «She Got Arrested» oder «Kiss The Ground», sowie eine grossartige Coverversion von Billie Eilishs Überhit «Bad Guy», so hat man eine vorzügliche Show, die uns hier geboten wurde. Kein Firlefanz und grosse Effekte, einfach nur tolle Livemusik.
Schlag auf Schlag ging es danach mit Hanabie. weiter. Wem vor ein paar Tagen Babymetal etwas zu gekünstelt vorkam, kam hier nun voll auf die Kosten. Trotz der einzigartigen Harajuku-Kostüme gab es bei den vier Musikerinnen aus Japan nichts, aber auch gar nichts Kitschiges. Sie boten uns knochenharte Metalcore-Riffs, wildes und brutales Geschrei sowie unfassbaren Groove. Trotz der sehr beschränkten Sprachkenntnisse hatte uns Sängerin und Shouterin Yukina bestens im Griff und brachte uns mit sympathischen Ansagen immer wieder zum Grinsen. Ganz besonders süss war, als die gutgelaunte Frontfrau uns mit den Worten «Prost! Kanpai!» zustiess, nur um im nächsten Augenblick brutalste Growl-Salven auf uns loszulassen. Was für eine faszinierende Band. Auch ohne irgendwas zu verstehen machten Songs wie «今年こそギャル», «Tousou» oder «Girl’s Talk» (danke, Setlist.fm) unfassbar Bock darauf, durchzudrehen. Hanabie. sind zweifelsohne eine der coolsten Entdeckungen des diesjährigen Festival-Sommers.
Nach dieser kräftezerrenden Show war es Zeit, für etwas Verstärkung und eine kleine Ruhepause, denn die letzten paar Bands des Festivals versprachen, die letzten Kräftereserven aufzubrauchen. So ging es bald schon weiter zu Kraftklub, die nun die Jungfrau-Stage bespielten. Mit «In meinem Kopf» und «Fahr mit mir (4×4)» ging es fulminant los und die Meute drehte durch. Ganz in schwarz-weiss gekleidet, dafür mit einem riesigen, roten Theater-Vorhang boten uns die Jungs aus Chemnitz eine fabelhafte Show. Dass sich ein Bandmitglied im Verlaufe des Konzerts mal ins Publikum begibt, ist nichts ungewöhnliches mehr, doch Kraftklub legten für «Kein Liebeslied» noch eins drauf, denn die gesamte Gruppe bahnte sich mit (fast) allen Instrumenten einen Weg mitten in die Leute, um den schönen Song umringt von tausenden Fans zu spielen – was für ein Anblick. Das folgende «500k» sah dann nur noch Sänger Felix und Gitarrist Till in den Leuten, bis sie sich zurück zur Bühne tragen liessen. Diese Showeffekte wirkten wirklich cool und einzigartig, brachten aber auf Grund der nötigen Pausen auch ein paar Längen im Set mit sich. Doch das Publikum beklagte sich keineswegs und als mit grossartigen Hits wie «Ich will nicht nach Berlin», dem immens wichtigen «Schüsse in die Luft» und natürlich «Randale» das Finale angetreten wurde, gab es kein Halten mehr. Kraftklub sind immer wieder eine Macht, wie sie erneut eindrucksvoll bewiesen.
Während sich nun immer mehr Menschen vor der Hauptbühne für den Headliner einfanden, ging es noch ein letztes Mal zurück zur Eiger-Stage, denn die grossartigen Bury Tomorrow wollten auf keinen Fall verpasst werden. Die britische Metalcore-Formation legte einen einzigen Abriss hin, mit bombastischem Sound, coolen Pyros (eine Seltenheit auf der kleinen Bühne) und vor allem dank wundervoller Ansagen. Shouter Daniel Winter-Bates erinnerte uns alle daran, dass es in der Szene nie genügend Inklusivität und Mitgefühl geben kann, und wie wichtig es wäre, dass die Welt so divers würde, wie das heutige Publikum. Wundervoll, solche Worte auf einer Metal-Bühne zu hören. Ebenfalls beachtlich war, dass Bury Tomorrow ohne ihren Bassisten Davyd Winter-Bates auftraten, da dieser sich einer Notfall-Operation unterziehen musste – wir wünschen gute Besserung! Doch die Band liess sich nichts von ihrer Spielfreude nehmen und feuerte Hit nach Hit auf uns ab. Eine unglaublich geniale Performance und ein würdiger Abschluss der Eiger-Bühne an diesem schönen Festival-Finale.
Für viele stand das Beste noch bevor, denn endlich war es nun Zeit für Green Day. «The American Dream Is Killing Me» setzte den Ton für den Abend und zeigte die legendäre Band in bester Laune. Dann folgte gleich eine Überraschung, denn als zweites kam «Basket Case». Nicht viele Bands können es sich leisten, den grössten Kracher gleich zu Beginn zu verbraten. Da dieses Jahr das 30-jährige Jubiläum der «Dookie»-Platte gefeiert wird, gab es dann auch rund die Hälfte der Songs darauf. Was für eine unglaubliche Freude, Hits wie «She», «Longview», «Welcome To Paradise» und «F.O.D.» live zu hören. Das Geschenk war komplett, als sogar der Kampfjet vom Albumcover über das Publikum schwebte. Billie Joe Armstrong schien bester Laune zu sein, interagierte mit dem Publikum und versprühte nichts als gute Laune. Seine beiden Kumpanen, der blauhaarige Drummer Tré Cool und der energiegeladene Bassist Mike Dirnt, standen der Energie um nichts nach und gaben alles! Zu «Know Your Enemy» wurde eine ziemlich eingeschüchtert wirkende junge Dame aus der ersten Reihe auf die Bühne gebeten, die sich mit Billie Joe ein Mikro teilte, und mit «Hitchin’ A Ride» war sogar ein seltener Gast aus «Nimrod»-Zeiten auf dem Set. Einfach genial!
Der zweite Teil des Sets war dem legendären Album «American Idiot» gewidmet, welches immerhin schon das 20-Jährige feiert. Und falls nicht ohnehin klar war, dass Green Day heute keine halben Sachen machen, wurde das ganze Album gleich am Stück gespielt. Von Hitsingles wie dem Titeltrack, «Wake Me Up When September Ends», «Boulevard Of Broken Dreams» und «Holiday» über zumindest bei mir fast schon vergessenen Songs wie «Extraordinary Girl» oder «St. Jimmy» bis hin zu den zwei epischen Tracks «Homecoming» und «Jesus Of Suburbia» war alles dabei – und damit zwar auch ein paar Längen, vor allem aber einfach ein grossartiges, wichtiges Punkalbum in seiner vollen, glorreichen Gänze.
Es war ein einziges Fest. Auch wenn bei den meisten im Publikum nach drei Tagen Festival die Energie für eine über 2.5-stündige Show langsam nicht mehr so vorhanden war, war an Schlappmachen nicht zu denken. Als Zugaben gab es erstmal ein persönliches Highlight für mich, das wundervolle «Minority», bevor Billie Joe meinte, sie haben zu Beginn ja «When I Come Around» vergessen. Also wurde der Track kurzerhand nachgereicht, bevor mit dem obligaten, unkaputtbaren und fantastischen «Good Riddance (Time Of Your Life)» endgültig Schluss war. Unglaublich – Green Day live, was für ein Erlebnis!
Ja und damit war das Greenfield 2024 tatsächlich wieder vorbei! Drei Tage, 80’000 Menschen, 38 Bands und einmal mehr das wundervollste Festival, das es in der Schweiz gibt! Es war kräftezerrend, schmutzig, laut, ungesund und schlicht genial – genauso wie es sein soll. Im Namen aller bei ARTNOIR sagen wir darum einfach Danke, dass wir dabei sein durften! Wir können es nicht erwarten, auch nächstes Jahr wieder aus Interlaken zu berichten und hoffen, dass sich alle Dabeigewesenen bis dahin brav erholen können und einen vorzüglichen Festival-Sommer geniessen. Denn wie ihr wisst: nach dem Greenfield ist vor dem Greenfield!
Greenfield Festival 2024 – Donnerstag
Greenfield Festival 2024 – Freitag