14. Juni 2019
Greenfield Festival – Interlaken
Bands: Slipknot / The Amity Affliction / Amon Amarth / Papa Roach / Montreal / Lamb Of God / State Champs / Frank Turner & The Sleeping Souls / Cane Hill / Saltatio Mortis / Almøst Human / Eskimo Callboy / Chelsea Deadbeat Combo
Sonne, Wind und das typische Festival-Gefühl: Auf dem einen Auge müde und s’bitz verkatert, auf dem andern voller Tatendrang. Der zweite Tag am diesjährigen Greenfield verspricht vieles – und beginnt mit Chelsea Deadbeat Combo auch sehr gut. Die sympathischen Schweizer punkten nicht nur mit ihrem Lokalkolorit, sondern auch mit viel Spielfreude.
Freude ist an diesem Freitag (wie auch tags zuvor und am Tag danach) ohnehin ein sehr guter Begleiter, denn mit Eskimo Callboy geht es gleich weiter. Ihr „Party-Core“ kommt gut an, lockt aber zu dieser Zeit noch sehr wenige Festival-Besucher vor die Bühne. Auf die Notenschlüssel-Inuiten folgenden Saltatio Mortis sind hier in Interlaken ein gern gesehener Gast, ebenso ein dankbarer. Die instrumenten-verrückten Bühnenhexer können gelaunter und wirbelwindiger nicht sein. Heute aber wirken sie zu übermotiviert, ihre Schunkel-Schaukel-Musik haut mich zumindest heute nicht gerade vom Hocker.
Frank Turner & The Sleeping Souls habe ich aufgrund Interview und Konsorten leider verpasst, ebenso Almøst Human – die Gewinner des Greenfield Festvial Band Contests 2019 in der Romandie. Und verpasst habe ich anscheinend wirklich etwas, denn über beide Bands hörte ich Gutes. Etwas hören ist gut, sich selber ein Bild machen aber noch besser.
Wenn dann gleich noch die erfolgreichen US-Metaller Lamb Of God aus vollen Rohren schiessen, kann nichts schief gehen. Und in der Tat, Sänger Randy Blythe zeigte sich nicht nur zuvor im Backstage- und Künstler-Bereich, bewaffnet mit Flipflops und Fotokamera, sichtlich vergnügt. Trotz ungünstiger Spielzeit hauten sie der Festivalmeute ihr breitgefächertes Set um die Ohren. Randy Blythes Dreadlocks waren im Dauerrotor – hätte es dann noch etwas mehr gewindet, wäre er abgehoben. Ist er ja irgendwie auch, spickte er doch wie gewohnt und wie eine Feder hin und her, auf und ab.
Kann dies noch übertroffen werden? Könnte sein, denn es warten ja keine Geringeren als Amon Amarth und die sakrosankten Festival-Headliner Slipknot auf ihren Auftritt. Doch der Reihe nach, immerhin folgten mit Papa Roach – eine Band, die nebst gefühlten 100’000 Awards weit mehr als 25 Millionen Alben verkauft haben. Erst eben „lungerten“ die einstigen Nu-Metaller noch in Zürich herum und liessen es sich im Schosse Mutter Helvetias gut gehen. Schon stehen sie auf der Bühne und zeigten sich guter Dinge, ebenso guter Dinge zeigte sich das Publikum.
„Wir haben schon vieles erlebt und überall auf der Welt gespielt“, erklärt Tobin Esperance. Der Bassist weiter: „Und wir haben so viel mehr erreicht, als wir es uns jemals erträumt haben. Aber dieses Greenfield mit den spektakulären Bands und diesem spektakulären Ambiente beeindrucken doch sehr.“ Trotz noch immer gutem Wetter und guter Stimmung und einwandfreiem Konzert: Für mich war es nicht sonderlich spektakulär, dafür unterhaltend. Und ja, ein hoher Entertainment-Charakter beweist Sänger Jacoby Shaddix auch hier. Wie gesagt, dem Publikum hat’s gefallen.
Und hier gleich noch einen Gruss ans Schweizer Publikum von Tobin Esperance: „Man hört oft, dass die südamerikanischen Fans die frenetischsten sind. Sind sie ja auch, aber ihr Schweizer seid bei uns in der Top-5. Danke dafür!“ Und was ihm, dem erfolgreichen Musiker aka kein Mauerblümchen aka vierfacher Vater, die Stirn in Sorgenfalten legt, lest ihr da: „Das Touren ist anstrengend, aber doch auch immer sehr spannend. Oft aber auch ohnmächtig, denn im Laufe meiner Karriere habe ich so viel Nacktheit und Groupies in eindeutig-zweideutiger Stellungen gesehen. Du willst einfach nicht und nicht einmal daran denken, dass deine Kinder jemals so was tun.“
Wollen wir ja alle auch nicht, was wir aber wollen, das ist Amon Amarth live sehen. Immer und immer wieder, die kompromisslosen, authentischen und höchst erfolgreichen wie emsigen Viking-Metaller werden nie langweilig. Das zeigen sie hier erneut. Mit voller Wucht gehen sie archaisch zu Werke, verlieren sich nicht in Firlefanz, hämmern furios und stampfend drauflos. Übergross ist ihre Show, das Bühnenbild (inklusive übergrossem Horn und den martialischen Wikingern im Hintergrund) lässt keinen Zufall zu bzw. passt passgenau zur schnörkellosen Performance.
Auftrumpfen und triumphieren tun auch Slipknot. Sänger und Aushängeschild Corey Taylor lässt sich seine mehr oder minder jüngste Knie-OP nicht anmerken und wütet derwisch-gleich umher. Bei Slipknot sind aber alle hervorragende Bühnenakrobaten, ihnen zuzuschauen sorgt immer und immer wieder für Gänsehaut. Und ihnen zuzuhören ist immer und immer wieder ein Gewinn. Wenn die Horror-Clowns aus Des Moines, Iowa, dann noch ein gut zweistündiges Gastspiel zum Besten geben, haben nicht nur sie, sondern auch die Veranstalter (und Behörden?) alles richtig gemacht.
Richtig ist wichtig, wichtig ist aber auch ein Line-Up, das sich 2020 ebenso gewaschen hat. Ich bin zuversichtlich und freue mich aufs nächste Mal!
Text: Cyril Schicker
Bilder: Kathrin Hirzel und Berend Stettler