Werk 21 – Zürich
Montag, 12. Juni 2023
Text: David Spring
Montag Abend, 19:00 Uhr, Zürich an der Limmat. Das Leben ist schön, man hat den ersten Tag der Woche schon hinter sich, gönnt sich etwas Sonne und vielleicht einen kleinen Sprung ins kühle Wasser. Bier, was Leckeres zu Essen, was könnte schöner sein? Black Metal ist da natürlich die einzig richtige Antwort! So kam es, dass sich zwischen leichtbekleideten Menschen, die sich gerne vorm Dynamo tummeln und sich mit den hippen Konzertgänger:innen vom gleichzeitig stattfinden Kevin Morby Auftritt im Saal vermischten, auch einige äusserst schaurige Gestalten tummelten. Denn an diesem heissen Sommerabend sollten niemand Geringeres als die maskierten Gestalten von Gaerea aus Portugal das Werk 21 unsicher machen.
Wer «Mirage», das aktuelle Werk der Band, kennt, weiss, dass der Black Metal, den Gaerea spielen, weit entfernt von stumpfsinnigem Geschrammel und bröseliger Qualität ist. Atmosphäre, Produktion und das Gesamtkunstwerk der Band stehen im Vordergrund, darum auch die mit fremdartigen, güldenen Mustern verzierten Masken und die komplette Anonymität, mit der sich die Band ziert. Was heute Abend im kleinen, unschuldigen Werk 21 passierte, kam einer religiösen Erfahrung gleich, denn so gut Gaerea bereits auf dem Album klingen, so ist das nichts im Vergleich zum absolut vernichtenden Anschlag auf die Sinne, den sie live veranstalten.
Zu einem düsteren Intro gesellten sie sich auf die Bühne, die Spannung stieg ins Unermessliche, bis ein alles erschütternder Urknall losbrach und uns mit «Mantle» die unbarmherzige Macht von Gaerea entgegenschlug. Unfassbar laut war es, fast zu viel des Guten, doch jeder Ton, jeder Beat, jeder schmerzlich verzweifelte Schrei, der aus den Boxen jagte, tat so unglaublich gut. Die Live-Show und Musik der Band werden gerne kathartisch genannt, und genau das war es heute Abend auch. Mit schier unglaublicher Präzision trieben die Instrumentalisten die Songs nach vorne, rastlose Blastbeats und tonnenschwere Riffs schufen die Leinwand für den so faszinierenden wie verstörenden Sänger. Dieser nannte eine Stimme sein eigen, die nicht von dieser Welt zu sein scheint: guttural, gequält und unmenschlich. Dazu bot er mit unbändiger Energie und beinahe zarten und somit umso verstörenderen Gesten und Bewegungen eine faszinierende Show.
Die Songauswahl bestand mehrheitlich aus neuen Songs wie «Deluge», «Salve» oder «Mirage», doch mit «Urgent» und «Conspiranoia» sowie «Absent» vom Debüt gab es auch älteres Material. Dabei merkte man, dass die Band damals fast noch brutaler, auf jeden Fall roher zugange ging, denn gerade diese alten Tracks verlangten uns alles ab. Der Sänger forderte unsere ultimative Teilnahme, immer wieder motivierte er uns, im Takt mitzuschreien und unsere Fäuste gen Kellerdach zu reissen. Dabei kommandierte er die Leute mit einer eindrücklichen Bestimmtheit, jedoch nicht ohne Gefühl, genauso, wie auch die Musik von Gaerea ist: brutal und vernichtend, ja, aber unglaublich schön, emotional und gar verletzlich.
Bei all dieser Lobhudelei für den portugiesischen Headliner darf nicht vergessen werden, dass der Abend bereits von einer grossartigen Gruppe eröffnet worden war. Die Schweizer Post Apocalyptic Black Metal Band Causam nämlich heizte uns schon gehörig ein. Mit bösartigem Gesang, erbarmungslosem Tremolo-Picking und hervorragend dunkeln Songs überzeugten die garstig geschminkten Herren vom ersten Ton an. Causam passten bestens ins Lineup, liessen doch auch sie immer wieder ruhige und bedrohlich leise Momente sich entfalten und so ordentlich Atmosphäre schaffen. Das langsam schleppende «Abandon» etwa überzeugte mehrheitlich ohne Blastbeats, dafür mit erdrückend schweren Gitarren und dämonischem Gesang. Und mit dem finalen «Prime Evil» gab es wohl einen der besten Schweizer Black-Metal-Songs, den ich seit langem geniessen durfte. Furios, verstörend, melodiös und episch – was für eine Show und ein mehr als gebührender Opener.
Zurück bei Gaerea steigerte sich die Intensität ins unermessliche. Wenn man den Schmerz, die Wut und Angst, die die Musik transportiert, mit jeder Faser des eigenen Körpers spürt, darf man getrost sagen, dass hier gerade Einzigartiges erlebt wurde. Das fantastische «Mirage» forderte auch auf der Bühne seinen Tribut, kniete sich der Sänger irgendwann qualvoll hin und griff sich mit zittrigen Händen an die Kehle, bevor zum finalen, alles beendenden «Laude» angesetzt wurde. «We are Gaerea» schrie er zum Ende mit dem letzten bisschen Kraft ins Mikrophon, bevor der geniale Song das Werk21 ein letztes Mal in eine hymnische, sich jeder Beschreibung entziehende Trance versetzte.
Und dann war Schluss. Für Zugaben war sowohl die Band wie auch das Publikum nicht in der Lage, zu intensiv und wahnsinnig war dieses Erlebnis. Gaerea sind nicht von diesem Planeten, eine derartige Kraft habe ich selten an einem Konzert erlebt. Es war unfassbar laut, unbarmherzig und erdrückend, so sehr so, dass man sich nach dieser Stunde klein und ehrfürchtig fühlte. Gaerea sind eine beängstigend Macht und lieferten eines der Konzerte des Jahres ab. Dazu noch die grossartigen Causam, die den Abend vorzüglich eröffneten, besser könnte man einen sonnigen Sommer-Montag wohl kaum verbringen.
Setlist Causam [Quelle: Setlist.fm]
- Wasteland Utopia
- Beauty Of Decay
- Eternal
- Creed
- Abandon
- Black Death
- Cleansing
- Prime Evil
Setlist Gaerea [Quelle: Setlist.fm]
- Mantle
- Deluge
- Salve
- Absent
- Conspiranoia
- Urge
- Mirage
- Laude