Datum: 14. Juli 2015
Ort: Circus Knopf Wintercamp – Zürich
Webseite: Freaks Show
Ziemlich schräg, extrem amüsant, feuchtfröhlich und bunt, mit einem Spritzer Rebellion gegen die heutige oft grau und im Halbdunkel scheinende, durchstrukturierte Welt. So lässt sich dieser Anlass ansatzweise beschreiben. Doch begreiflich wird er, wenn überhaupt, nur demjenigen, der auch live dabei war, an der Freaks Show – Amazing R’n’R Circus, welcher am 14. Juli 2015 in Zürich auf dem Winterstellplatz des Zirkus Knopf gastierte.
Gespannt wie ein Pfeilbogen, aber ohne den leisesten Schimmer, was mich da erwarten sollte, traf ich auf dem Stellplatz ein. Und verlor mich gleich in einem kunterbunten Gemisch aus lebensfrohen Menschen. Teils mit Farbe im Gesicht und oft mit Anstrich für die Ewigkeit auf der Haut.
Gemeinsam versammelten wir uns in einem Zirkuszelt Marke Eigenkreation und warteten auf die Darbietungen, von denen niemand genau wusste in welcher Form, wann und wo auf dem kleinen Areal sie daherkommen würden. Doch die Show durfte sich ruhig Zeit lassen, denn schon ein Rundumblick liess einen für Stunden die Zeit vergessen, gab es doch so viel zu sehen auf so kleinem Raum.
Dieser Abend, wird mir schlagartig bewusst, lässt sich nicht kategorisieren. Es ist ein Tribut an die bekannten Freak Shows und Old Fairs, welche Anfang des 20. Jahrhunderts überall für die Unterhaltung der hartarbeitenden Unterschicht sorgte. Eine Mischung aus Jahrmarkt, süffisanter bis schwer zu verdaulicher Unterhaltung, Konzert, Zirkus und Performancekunst. Alles verpackt im süsslichen Duft purer Freiheit. Auf die Beine gestellt und durchgeführt eben, von einer sympathisch gemischten Gruppe Gleichgesinnter oder, wie halt böse Zungen behaupten, Freaks. Ich war dementsprechend begeistert und liess mich anstecken von der zufriedenen Stimmung, der Artisten, Besuchern und Organisatoren.
Ein visueller Genuss aus sorgsam aufgebauter Deko, bemalten Koffern und Leinen mit Zitaten, Sprüchen, und anderem Skurrilem, ohne Struktur und in einem durchaus gewollten Chaos an die Zeltwände und Decke geheftet, geklebt und genäht. Vor lauter Begeisterung für das Drumherum verpasste ich fast den Auftakt zur ersten Performance.
Diese erste Darbietung bot „Rraouhhh!“. Eine schrille Frau aus Belgien. Sie bewies Ausdauer am Hula hopp- Reifen. Nicht nur, dass sie diesen geschlagene 20 Minuten am Stück schwingen konnte. Nein, durch Sensoren am Körper, über die der Reifen bei jeder Drehung streifte, wurde aus dem Schwung am daran verbunden Mischpult gleich ein skurriler Rave auf die Lautsprecher gezaubert. Ein spezielles Erlebnis für Augen und Ohren, welches einen abschweifen und tranceartig die Hüften mitschwingen liess.
So sollte es denn auch den ganzen Abend weitergehen, mit unerwarteten Künsten und nicht leicht zu fassender Musik. Bizarr – das ist wohl das treffendste Wort. Dazwischen immer Mal wieder ein Bier, von der auch ansonsten gut bestückten Bar und genügend Zeit, um sich umzuschauen. Zeit um mit Schuhen eine Zielscheibe zu treffen und einen Freak im notdürftig mit Kaugummi zusammengeflickten Wasserbecken zu versenken. Sich die Zukunft vorherzusagen oder, sich sogar ein Tattoo stechen zu lassen.
Es liess sich auf jeden Fall genüsslich die Zeit vertreiben in dieser ausgelassenen Atmosphäre, begleitet von den Gitarrenklängen und der tiefen klaren Stimme von Herrn Koonda Holaa. Einem Tschechen, der wie meine mitbegeisterte Begleiterin so treffend bemerkte, wie das Nummerngirl zwischen den einzelnen Darbietungen der ausgelassenen Stimmung den treffenden Sound unterlegte.
Ein weiteres Highlight folgte mit dem Auftritt von „A Kaleïdoscope Of Nothingness“, welche es schafften ein Epos auf die Bühne zu zaubern. Ein mindestens halbstündiger französischer Sprechgesang begleitet von bis zum Schluss arg ausgereizten Gitarren- und Basssaiten, welche diesem sprachlichen und für mich leider unverständlichen, weil französischen, Auswurf den nötigen Klangteppich zu bereiten. Auch hier war eine Einteilung in schön oder hässlich, schwarz oder weiss, gut oder schlecht nicht möglich. Einfach angenommen zu werden, war wohl die einzige Bedingung und der insgeheime Wunsch der Gruppe, wie auch des ganzen Festivals an sich.
So überraschte es auch nicht, was Mr. Marcaille im Anschluss darbot. Die selbsternannte „Heavy Hardcore Punk One-Man Band“ spielt Cello auf tatsächlich noch nie dagewesene Weise. Begleitet von zwei Kick Drums und mit unglaublichem Körpereinsatz. Dass da nicht nur der Saitenbogen arg leidet, sondern auch das ästhetische Empfinden des Besuchers auf den Prüfstand gestellt wird, lässt nur ansatzweise das Gesehene beschreiben. Ganz krass, hab ich in mein Büchlein geschrieben, was anderes fiel mir nicht dazu ein.
Noch Stunden hätte ich auf diesem kultigen Kunstvolksfestmusikmarkt verbringen können. Doch machte dein Freund und Helfer die Stapo zumindest dem lauten Lärm und der Musik gegen die Mitternachtsstunde hin ein Ende und so feierte das Freakvolk am gemütlich hergerichteten Lagerfeuer noch leise weiter und liess die Eindrücke bei Bier und anderem Hochprozentigem verarbeiten.
Die Freak Shows – Amazing R’n’R Circus bot durch diese Vielfalt sicherlich für jeden Anwesenden etwas. Es waren vergnügliche Stunden, rausgerissen aus dem verdriesslichen Alltag. Genuss pur, zwischen Verzückung und bisweilen Entsetzen. Eine Lebensart oder Sitte in Konfrontation mit der eigenen Gesinnung in absoluter Reinform. Ein Kulturfest, das nicht danach sucht gemocht zu werden, sondern lediglich nach Annahme trachtet. Eben das einzige was Kultur unabdingbar verlangen kann, ja muss und was somit ermöglicht, die eigenen Denkweisen zu überarbeiten und dadurch seinen persönlichen Horizont zu erweitern.
So ist es in meiner eigenen Reflexion genau das, was die Freaks Show im Stillen ganz laut einfordert. Der Besucher selbst soll sich in den Mittelpunkt stellen und diese kostbare, kurze Zeit nutzen, um einfach Teil vom Ganzen zu sein. Teil einer durchgeknallten, freakigen und chaotischen Welt in der wir doch schon alle Leben, es aber durch die Hektik der schnelllebigen Zeit gar nicht mehr mitbekommen. Die Freak Shows – A R’n’R Circus ist ein absolutes Muss für jeden, der sich gerne mit den abstrusen Facetten des Lebens befasst und vor allem für alle die Entschleunigung und kurzen aber heftigen Spass erleben möchten.
Die gute Nachricht, es ist noch nicht zu spät. Die Show tourt noch bis im August durch die Schweiz, Frankreich und Belgien. Also besucht die Freaks, auch auf ihrer Homepage, wo Tourdaten und vieles mehr zu finden sind und erlebt einen Abend, wie er in seiner Art sicherlich lange nicht mehr da sein wird.
Darsteller:
A Kaleïdoscope Of Nothingness (CH/USA/FRAU)
Anémone (Hell)
Koonda Holaa (CZ)
Mr. Marcaille (BEL)
Closet Disco Queen (CH)
Chemist And The Acevities (FRA)
Rraouhhh ! (BEL)
[Quelle: www.freaks-shwo.net]
Text: Sebastian Leiggener
Bilder: Kathrin Hirzel