19. Dezember 2015
Hallenstadion – Zürich
Bands: Florence + The Machine / Palma Violets
Licht aus, ein silberner Paillettenvorhang flattert im Scheinwerferkegel und taucht die Bühne in einen glitzernden Ozean. Aus den Lautsprechern huschen sphärische Klänge. Musiker fallen ein. Die Halle tobt, die Spannung ist dem Bersten nahe. Doch wo ist Sie? Schleicht sich klangheimlich hinein und verteilt Blumen in der ersten Reihe. Sie braucht keinen grossen Auftritt zum Beginn. Betritt die Bühne, barfüssig, über eine kleine Treppe, stellt sich in die Mitte, schaut kurz auf; legt los. Es ist pure Energie.
Wie eine Supernova breitet sie sich wellenartig aus, verschlingt alles auf ihrem Weg in die Weite und verwandelt es in noch mehr Energie. Innert Sekunden bildet sich eine Atmosphäre, geschwängert aus Freude, Trauer, Leidenschaft, Schmerz, Lust, allen Empfindungen. Leben pur staut sich in einem Vakuum. Sie breitet die Arme aus, legt den Kopf nach hinten, saugt alles in sich auf und fängt an zu singen. Stillhalten ist nicht. Das Publikum rast und sie bricht aus. Rennt über die Bühne. Hebt ab und schwebt beinahe schon fast bei Ihrem Sprung auf ein Seitenpodest. Die nächsten knapp zwei Stunden sind getränkt vom ungestümen und sehr eigensinnigen Esprit, den diese Frau ausstrahlt.
Mit „Ship To Wreck“ folgt gleich ein ganz grosser Hit von Florence + The Machine. Das Publikum ist ekstatisch. Florence Welch nimmt einen riesen Satz und hastet drauf los. Kreuz und quer singt und spurtet sie durch das Hallenstadion. Eine regelrechte Zumutung für die Security die ihr folgen muss. Ihre flammenden Haare züngeln hinter ihr her und entzünden die ganze aufgeladene Stimmung in ein Feuer aus Leidenschaft. Es gibt keine Hänger, nicht auch nur den kleinsten kurzen Erschöpfungsmoment.
Die Kraft dieser Frau ist phänomenal. Sie holt sie sich aus dem Gefühl, dass wir alle verbunden sind. Eine Einheit wie sie sagt. Ein bisschen Hippie halt. Verpackt im modernen Kleid der Hippstergeneration. You know, I’m not a very grounded person. Mit Aussagen wie diesen lässt Florence Welch uns zwischen den Liedern teilhaben an ihrem Leben. Sie spricht mit uns, teilt uns ihr Fühlen mit. There’s a big blue hope around the world and we’re all in it, connected together, everyone with everyone.
Schon folgt die nächste musikalische Entladung. Sie singt, schreit, tanzt, verbiegt und dreht sich zum rhythmischen Sound ihrer Band allen voran ein sagenhafter Drummer. Wenn sie die Seele ist, ist er der Herzschlag dieses riesigen Organismus den wir heute bilden. So ist die 11-köpfige Entourage von Florence + The Machine ebenso wichtig wie die Sängerin selbst. Kreieren ein Klangbild nach dem anderen und bereiten das musikalische Skelett für den Gesang der Frontfrau. Auch wenn sie die Töne vielleicht nicht immer haargenau trifft, sind es doch die langgehaltenen, schon fast orchestralen Auswüchse dieser Stimme die wuchtig einschlagen in die Menge. Das ist es was die Musik von Florence + The Machine ausmacht. Eine eigensinnige Stimme, die ausschliesslich von den grossen Emotionen erzählt. Gefundene Liebe, gescheiterte Liebe, zerstörte Liebe, schallt es aus ihr heraus und sie durchbricht mit ihrem bittersüssen Herzschmerz immer wieder das Potpourri von Bläsern, perfekt gepaart mit etwas Elektronik und ganz viel Bass-Drum.
Irgendwie befindet sich alles in einer grossen Zeitschlaufe. Etwas Hippie, ein klein wenig 50er-Disco mit Studio 54 Flair, gepaart mit modernem Pop und Neo-Soul führen dazu, dass man sie aus 1000 anderen noch heraushört. „You’ve Got The Love“ folgt; es stimmen alle mit ein. „Shake It Out“ ist Song und Situationsbeschreibung zugleich.
Nur einmal wird es ganz ruhig. „Cosmic Love“ so erfahren wir, ein Song, geschrieben an einem Morgen der einem alkoholgetränkten Abend folgte. In einer kurzen Rast vom sinnesüberwältigenden Rausch, ist da nur die Stimme von Florence Welch im Verbund mit klaren Harfensaiten, Gitarre und Klavier. Während die Musik langsam wieder anzieht, fängt sie an sich zu drehen. Wie die Balletttänzerin in der Schmucktruhe verzaubert sie den Betrachter. Ihre flammenden Haare züngeln sich wie Glut durch die aufgeladene Stimmung und entfachen erneut das Feuer im Saal. Die Hits „What Kind Of Man“ und „Spectrum“ sind nur noch Beigemüse in der absoluten Hingebung aller.
Noch einmal holt sich Florence Welch ihre, so scheint es, dringend notwendigen Berührungen im Publikum, fordert auf sich zu umarmen. Kleidungsstücke schwingen zum Takt durch die Luft und landen schliesslich auf der Bühne. Hätte es noch etwas länger angedauert, wir wären alle nackt dagestanden. Das Quäntchen Flowerpower halt. Doch so unscheinbar wie sie erschienen ist, so klanglos verschwindet sie von der Szenerie. Lässt lange auf sich warten, die Halle schier verzweifeln, bevor sie wieder kniend ins Publikum blickt und bei den Zugaben nochmals alle abholt. Händeschüttelnd verabschiedet sie sich und es ist vorbei. Die Spannung legt sich. Der Kokon öffnet und lässt diese einzigartige Stimmung entschwinden in die dunklen Gassen dahin, hinaus in die Welt. Sie wird sich noch eine Zeitlang halten.
„Was war es für ein Stil der so viele Leute hierher gelockt hat“? Fragt der völlig überforderte Schaffner im berstend vollen Intercity von Zürich nach Bern. Es entflammt eine rege Diskussion im Verbindungsschlauch zwischen Wagen eins und zwei. Ist es Pop, ist es Indie, ist es Indiepop? Die Dame, zufrieden eingeklemmt zwischen Türe und meiner rechten Schulter, bringt es auf den Punkt. „Es ist einfach Sie“. Und das Mädchen links an meiner Schulter lehnend ergänzt: „Geballte Energie“!
Setlist [Quelle: setlist.fm]
1. What The Water Gave Me
2. Ship To Wreck
3. Rabbit Heart (Raise It Up)
4. Third Eye
5. Delilah
6. You’ve Got The Love
7. How Big, How Blue, How Beautiful
8. Shake It Out
9. Cosmic Love
10. Long & Lost
11. What Kind Of Man
12. Spectrum
13. Dog Days Are Over
Zugaben :
14. Mother
15. Drumming Song
Text: Sebastian Leiggener