Electric Callboy + Blind Channel + Future Palace
The Hall – Dübendorf
Samstag, 22. April 2023
Text: David Spring
Vor einigen Jahren war ich mal in der legendären Konzertvenue The Underground in Camden. Da stand an diesem Abend eine zumindest in Grossbritannien noch unbekannte, deutsche Band auf der Bühne, die dem verwöhnten Londoner Publikum mit ihrer durchgeknallten Mischung aus tanzbarem Techno und brutalem Metalcore gehörig einheizte. Die Rede ist natürlich von Electric Callboy. Damals hiessen sie noch anders und es war kaum absehbar, was für eine Hausnummer diese durchgeknallte Gruppe mal werden würde. Heute nämlich spielen sie auf riesigen Bühnen, headlinen Festivals und touren durch die ganze Welt. Mit ihrer Tekkno-Tour legten sie netterweise auch einen Stopp in Dübendorf ein.
Eröffnet wurde dieser verheissungsvolle Abend von Future Palace. The Hall war schon ordentlich gut gefüllt und die drei Berliner:innen legten ohne Umschweife los. Musikalisch war das Trio nicht einfach einzuordnen, irgendwo zwischen The Pretty Reckless und Linkin Park, etwas Post-Hardcore, etwas Alternative Rock mit ordentlich Wumms in den Riffs. Das ging sofort gut ab und die heftigen Songs wussten zu überzeugen. Sängerin Maria Lessig fegte wie wild über die Bühne, ihre Stimme druckvoll und melodiös. Manchmal drehte sie richtig auf und schrie sich die Seele aus dem Leib. Mit dem starken «Paradise» war viel zu bald schon Schluss, doch nicht bevor noch eine fette Wall of Death vom Stapel gerissen wurde. Future Palace zeigten sich als äusserst würdigen Opener und heizten den Leuten gehörig ein.
Als nächstes waren die selbsternannten Backstreet Boys des Metals an der Reihe. Blind Channel aus Finnland hatten es bereits bis zum ESC geschafft, heute war von überproduzierten Pop-Chansons zum Glück herzlich wenig zu merken. Der Sound der sechs erinnerte etwas an frühe Enter Shikari oder The Blackout, mit zwei Sängern und einem DJ war der Sound sehr modern. Blind Channel stellten sich schnell als hervorragende Vorgruppe für Electric Callboy heraus, ist ihr Sound doch in vielen Stellen vergleichbar, vor allem aber sind die Finnen geborene Entertainer. Mit witzigen Ansagen und fettem Groove brachten sie die ganze Halle zum Hüpfen und Mitsingen. Spätestens, als der Eurovision-Hit «Dark Side» angestimmt wurde, gab es kein Halten mehr. Vom ESC kann man halten, was man will, aber Spass hatten in The Hall mit dieser sympathischen Band heute alle.
Nicht viel später erschien auf der auf einmal in einen dreistufigen Videoscreen verwandelten Bühne die Public Service Botschaft, dass Stillstehen heute streng verboten sei. Und dann waren sie da: Electric Callboy! «Tekkno Train» eröffnete das bombastische Set gleich mit einer lauten Konfetti-Kanone. Die pompöse Bühne tat ihr Übriges dazu, dass das heute Abend ein richtig geiles Fest werden würde. Die Jungs aus Castrop-Rauxel liessen sich wahrlich nicht lumpen, bereits im zweiten Song «MC Thunder II (Dancing Like A Ninja)», gab es Papierschlangen in der Luft, eine wahnsinnige Video-Show und dazu noch Pyros galore. Entsprechend ausser Rand und Band war auch das Publikum. Wilde Circle Pits, Walls of Death und wüste Moshpits soweit das Auge reichte, sogar ein crowdsurfender Mülleimer wurde gesichtet.
Electric Callboy waren bestens gelaunt, obwohl sie ausnahmsweise ohne Gitarristen Daniel Haniss auftreten mussten. Dafür zeigte sich die Band erfreut darüber, endlich wieder an einem Samstag zu spielen, da man uns deswegen nicht anlügen und zum gnadenlosen Durchfeiern animieren müsse. Electric Callboy sind aber auch eine Band mit Herz, so gab es zum Beispiel vor «Arrow Of Love» eine wundervolle Ansage zum Thema Mental Health, und wie sehr uns Musik verbinden kann, egal welches Genre man vorzieht. Es ist schön, wenn Bands so mit sich selbst im Reinen sind, dass sie solch wichtige Botschaften authentisch vermitteln können.
«Hypa Hypa» bot uns standesgemässe 90s-Outfits, «Fuckboi» sah einen wundervollen Gastbeitrag von Future-Palace-Sängerin Maria Lessing, und «Crystals» bewies, dass die Band neben all dem Klamauk und Techno-Spass einfach auch astreinen, hervorragenden Metalcore drauf hat. Doch gute Laune war King. Als auf einmal ein grosser, roter und vor allem penisförmiger Konzertflügel auf die Bühne geschoben wurde, auf welchem die beiden Sänger Nico und Kevin einander anschmachteten und Pop-Hits wie «Let It Go», «I Want It That Way» oder «When You Say Nothing At All» zum Besten gaben, war das Gelächter gross. Mit «Parasite» und «MC Thunder» war dann unter viel Feuerwerk nach anderthalb Stunden Schluss, doch ohne Zugaben kamen sie freilich nicht davon. «Pump It», «Spaceman» und das glorreiche «We Got The Moves» brachten schlussendlich wirklich alle an den Rand der Erschöpfung.
Electric Callboy boten eine Show der Superlative. Mit ihrem ganz eigenen Charme und Humor, einer wahnsinnigen Live-Show und, so muss man neidlos eingestehen, einfach verdammt geilen Songs spielen sie derzeit in ihrer ganz eigenen Liga. Kein Wunder, geht die Tekkno-Tour mittlerweile bis nach Australien und Nordamerika, die Band ist nicht aufzuhalten. Mit Future Palace und Blind Channel waren an diesem schönen Samstagabend zwei hochkarätige Vorgruppen dabei, und so war es einmal mehr ein geniales Konzerterlebnis in The Hall. Electric Callboy sind eine absolute Macht, ein kleines Bisschen verrückt, und derzeit wohl eine der besten Livebands, die man sich so geben kann.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
- Tekkno Train
- MC Thunder II (Dancing Like A Ninja)
- Hate/Love
- The Scene
- Castrop X Spandau
- Supernova
- Arrow Of Love
- Mindreader
- Best Day
- Bir (Cover Mehnersmoos)
- Drum Solo
- Hypa Hypa
- Crystals
- Fuckboi
- Hurrikan
- Careless Whisper / Let It Go / When You Say Nothing at All / I Want It That Way
- Parasite
- MC Thunder
Zugaben
- Pump It
- Spaceman
- We Got the Moves
PS: Electric Callboy spielen am 10. Februar 2024 in der St. Jakobshalle in Basel