15. April 2017
Kraftfeld – Winterthur
Bands: Rue des Cascades / The Peacocks / Lyvten / Soldat Hans / The Royal Hangmen
Letzten Samstag fand im Kraftfeld in Winterthur anlässlich des heutigen Record Store Days zum ersten Mal „Drop That Needle Down“ statt, mit dabei waren Nik und Sarah.
Sarah: Es gibt gute Ideen. Und es gibt gute Ideen, die umgesetzt werden. Und solche wie diese hier, die richtig gut umgesetzt werden. Schon das Konzept der anlässlich des Record Store Days veranstalteten Flexi Recording Session fand mühelos Anklang. Fünf Winterthurer Bands – Rue des Cascades, The Peacocks, Lyvten, Soldat Hans und The Royal Hangmen – wurden zu neuen Konstellationen zusammengefügt und erhielten den Auftrag, als neue Kurzzeit-Band einen 2:50 Minuten langen Song zu schreiben, der dann direkt von den drei Winterthurern Langhard, Harrison und Grimmer aufgenommen, abgemischt und gemastert wurde. Am vergangenen Samstag wurden die so entstandenen vier Songs live gespielt – zumindest drei von vier – und die Flexi Disc konnte für faire CHF 10.00 ersteigert werden. Für einen Aufpreis von CHF 5.00 gab’s sogar noch eine Maske dazu. Zudem spielten Lyvten, The Royal Hangmen und Rue des Cascades noch ein kurzes Set, wofür beide Bühnen im Kraftfeld genutzt wurden. Marc Bouffé, dessen Idee diese ganze Geschichte gewesen war, war ausnahmsweise weder als Musiker (Hathors) – noch als Produzent (Working Class Recordings) – am Geschehen beteiligt, sondern hatte für diesen Anlass die Rolle des Organisators und Koordinators angenommen. Das heterogene Publikum bestand zu grossen Teilen aus Winterthurer Musikern und es wurde sich rege ausgetauscht und unterhalten. Eine grossartige Gelegenheit, Kontakte zu pflegen oder neu zu knüpfen. Es war deutlich zu sehen, dass nicht nur die Musiker, die eigens am Projekt mitgewirkt hatten, vollends begeistert waren. Nach den Konzerten wird noch lange weitergefeiert, wie es sich für einen gelungenen Abend unter Musikern und Musikliebhabern gehört. Chapeau!
Im Gespräch mit: Marc Bouffé, Working Class Recordings, Gitarre & Gesang, Hathors, Organisator und Veranstalter der Flexi Recording Session und der Plattentaufe.
Nik: Was ist die Idee dieses Events?
Marc: Die Idee ist, dass man alle zusammentrommelt und sich austauschen kann, um sein Know-how weiterzugeben und voneinander zu lernen, nicht nur beim Musik machen, sondern auch im Studio, Klub und Promobereich.
Wie bist du vorgegangen?
Ich habe mir zuerst ein paar Bands überlegt, die nicht stilistisch etwas anderes machen und diese bunt zusammengemischt.
Wie geht es weiter mit dieser Idee?
Das Ziel ist, dass es natürlich nächstes Jahr weitergeht. Jede Band, die dieses Jahr dabei war, soll eine Band fürs nächste Jahr nominieren.
Wie war es für dich dabei zu sein, lief alles selbstständig oder musstest du doch einiges dirigieren?
Am Anfang war es wichtig, mit allen persönlich zu sprechen und die Idee zu erklären und alle, die mitwirken sollten, davon zu überzeugen mitzumachen. Da hatte ich doch einiges zu tun, bis ich alle getroffen habe. Einige Bands haben abgesagt und dann mussten wir improvisieren. Es lief nicht alles so, wie wir es uns am Anfang erhofft hatten, doch schlussendlich hat es doch funktioniert.
Was würdest du beim nächsten Mal anders machen?
Eigentlich hätte dieser Anlass zum „Record Store Day“ stattfinden sollen, deshalb werde ich mich nächstes Mal besser informieren, wann dieser genau stattfindet (lacht). Die Idee war auch, dass weitere Venues nebst dem Kraftfeld einbezogen werden und es somit breiter wird. Es war ja jetzt das erste Mal und da kann man organisatorisch doch einiges besser machen.
Bist du zufrieden mit den entstandenen Songs oder hättest du dir ganz etwas anderes gewünscht, z.B. dass eine Band etwas ganz anderes, wie zum Beispiel einen Pop-Song, schreibt?
Ich hatte keine Erwartungen und bin mega happy mit dem Endprodukt. Die Bands hatten auch kaum Zeit, einen Song zu schreiben und aufzunehmen. Die Idee war, alles mit Rockbands zu machen, da lag es nahe, dass die Songs auch rockig wurden.
Was ist an der Winterthurer Musikszene speziell, dass du es für nötig hältst, so etwas zu machen?
In Winterthur hat es extrem viele Bands für so eine kleine Stadt, und eigentlich kannte man sich auch vom Sehen, man hat sich nur nie wirklich persönlich kennengelernt. Der Staat unterstützt sowas leider kaum und die Stadt nur bis zu einem gewissen Punkt.
Es liegt auch in unserer Hand, so etwas durchzuführen und es hat auch funktioniert. Wenn sich die Leute wieder mal auf der Strasse treffen, haben sie etwas, das sie gemeinsam erschaffen haben. Gegen aussen gibt das ein schönes Bild und einen guten Ruf. Es ist immer schön, wenn sich Menschen treffen können und zusammen etwas erschaffen.
Woher kommt die Idee, hast du schon davon gehört?
In den grossen Musikländern, wie den USA, England und Deutschland ist es üblich, dass man zum Record Store Day eine Split aufnimmt, sprich zwei Bands je einen Song schreiben und aufnehmen. Die Idee habe ich übernommen und auf Winterthur angepasst.
Robert Grimmer, Mastering, Interstellar Music
Wie war es für dich, dabei zu sein?
Robert: Marc hat mir von der Idee erzählt und mich angefragt, ob ich ihm dabei helfen kann. Da ich nicht so vertraut bin mit der Szene der härteren Musik, war es für mich auch spannend zu sehen, was es in Winterthur sonst noch gibt. Ich würde nächstes Jahr wieder mithelfen.
Philip Harrison, Mixing, Chucky! Music Productions
Was hältst du von dieser Idee und warum hast du mitgemacht?
Philip: Ich finde die Idee super, weil es wahnsinnig viele gute Musiker gibt in Winterthur und im Studiobereich und man das schon lange hätte machen müssen.
Tobias (Schlagzeug) und Kevin (Bass) von Lyvten
Was haltet ihr von diesem Projekt?
Tobias: Ich finde es super, dass diese Idee umgesetzt wurde. Dass man die Bands zusammengebracht und etwas Neues erschaffen hat.
Kevin: Man konnte so den Zusammenhalt der Bands stärken, und vielleicht sitzen die jeweiligen Gruppen wieder zusammen und machen zusammen Musik.
Dave (Schlagzeug) von Rue des Cascades
Was hältst du von der Idee?
Dave: Ich finde sie cool. Muss man mehr dazu sagen? Es bringt Leute zusammen, mit denen man sonst nicht so viel zu tun hat, bleibt dabei aber so ein bisschen lokal. Und Flexi disc ist einfach etwas Schönes … Komisches.
Thorsten (Gitarre & Gesang) von Lyvten
Sollte es deiner Meinung nach mehr solche Sachen geben?
Thorsten: Auf jeden Fall. Das bringt erstmal Leute zusammen, und es hat ‘ne Infrastruktur, keine Ahnung. Es sollte erstmal mehr Vinyl geben und erstmal ‘ne Szene, ‘ne stärkere, und das find’ ich gut. Leute kommen zusammen, die vorher noch nie zusammen Musik gemacht haben und ich find’s grossartig, man lernt tolle Leute kennen, und … Grossartig.
Justin Harrison (Schlagzeug) von Soldat Hans
Wie war deine Reaktion, als du vom Projekt gehört hast?
Justin: Ich habe es eigentlich eine ziemlich geile Idee gefunden, also wirklich. Von mir aus gesehen ist es geil, alle möglichen Bands aus Winterthur mit einzubeziehen, also wirklich, super Sache.
Sebi, Flexi Disko
Was ist besonders an der Winterthurer Musikszene?
Dass sich alle kennen, das ist, denke ich, besonders an der Winterthurer Musikszene. Und dass es keine richtige Szene ist. Szene bedeutet ja, so ein bisschen Züri-mässig. Und so einen Szeni gibt es in Winterthur nicht. Ich sehe jetzt heute vielleicht ein bisschen aus wie ein Hip Hopper, aber ich bin trotzdem eigentlich in derselben Szene wie einer, der aussieht wie ein Rocker. Ich glaube, das ist es.
Omar (Gitarre & Gesang) bei Soldat Hans
Wie seid ihr beim Songwriting vorgegangen?
Wir haben im Bandraum gesessen und dann haben wir gefunden, wir schreiben einen Song, und dann haben wir ein Riff, es ist nur ein Riff, dieses Lied, und dann haben wir das … Es sind drei Riffs, ja, und dann haben wir die einfach aneinandergehängt und auf 2:50 Minuten gemacht. Das war eigentlich mega simpel. Mit Soldat Hans geht das länger, viel länger, aber dadurch, dass wir nicht so viel Zeit hatten – nur drei, vier Stunden haben wir etwa gebraucht. Und er musste so kurz sein, das haben wir auch noch nie gemacht. Und es hat Spass gemacht, ja.
Julius (Bass) von Rue des Cascades
Gibt es irgendetwas, was du für dich als Musiker aus diesem Projekt mitnehmen konntest?
Julius: Ja, auf jeden Fall, einfach Songwriting-technisch zu sehen, wie andere Bands überhaupt rangehen, wenn sie sich überlegen, was am Ende dabei rauskommen soll. Das war einfach eine ganz andere Vorgehensweise wie die, die ich jetzt seit 6 Jahren kenne in der Band, in der ich sonst spiele. Also bei Rue des Cascades haben wir ja so Vetorecht, das heisst, wenn jemandem ein Part nicht gefällt, dann ist der einfach gestorben. Und jetzt hier habe ich halt Einblick gekriegt, dass manche Bands das einfach demokratisch machen, dass sie abstimmen, oder andere, wo nur jemand den Song schreibt. Dass sind einfach so verschiedene Bandphilosophien und das war für mich einfach so eine Vertiefung. Ich meine, ich wusste das schon vorher, aber jetzt habe ich halt wirklich mal einen Einblick gekriegt, wie es auch ist, mit solchen Leuten zusammen zu arbeiten, und es ging gut. Es hat Spass gemacht, auf jeden Fall.
Matthias (Gitarre) von Rue des Cascades
Wie war es für dich, mit fremden Menschen zusammen Musik zu machen?
Matthias: Zwei hatte ich schon so halbwegs gekannt. Es war recht interessant, und man musste den jeweiligen musikalischen Hintergrund der Leute berücksichtigen und irgendwie damit umgehen, dass man einen gemeinsamen Nenner findet, musikalisch, und relativ effizient arbeiten kann. Aber es war schön, es war spannend, und es ist gut gegangen.
Vasco, Ventilator Records, (Gitarre & Gesang) von The Royal Hangmen
Was bedeutet für dich der Record Store Day?
Für gewisse Läden ist das Weihnachtsgeschäft am umsatzstärksten und für mich als Plattenladenbesitzer ist das der Record Store Day.
Was ist der Sinn dieses Tages?
In früheren Zeiten, als das Vinylgeschäft eingesackt war, war die Idee, die Leute wieder darauf aufmerksam zu machen, Vinyl zu konsumieren. Besonders auch, um limitierte Ausgaben herzustellen, die man nur in den jeweiligen Plattenläden erhält. Und die Idee ist aufgegangen.
Was bedeutet für dich der Abend heute?
Wer wie ich schon unzählige Jahre in Winterthur lebt und Musik macht, für den ist das schon fast ein göttliches Erlebnis. So etwas habe ich immer mehr vermisst in den letzten Jahren. Man konnte einfach mit „Fremden“ Musik machen und unter Zeitdruck entstehen oft auch sehr interessante Ideen.
Wie gefällt dir euer Song?
Natürlich hört man im Nachhinein Dinge, die man anders hätte machen können, doch ich bin sehr zufrieden, wenn man berücksichtigt, dass wir sehr wenig Zeit hatten. Zwischen Songschreiben, Proben und diesen aufnehmen vergingen kaum 12 Stunden. Die anderen zwei wussten gar noch nicht, was ich darüber singe. Erst im Studio habe ich rasch etwas auf Papier gekritzelt und dann eingesungen.
Nik: Es gibt sehr wenige Dinge, auf die ich stolz bin, doch Winterthur überrascht mich immer wieder aufs Neue. Fast jedes Wochenende spaziere ich um Mitternacht durch Winterthur, von Bar zum Klub und umgekehrt und überall treffe ich Musiker, Kulturschaffende und die, die dies in Winterthur konsumieren. Man kennt sich vom Sehen her und oft auch persönlich. Egal ob du Hip Hop machst oder Black Metal, ob du Pop-Produzent oder Hausbesetzer bist, wenn es um Winterthurer Kultur geht, kommen alle zusammen. So auch am „Drop That Needle Down“-Event. Für mich fühlte es sich wie ein „Pre-Musikfestwochen“-Anlass an. Jeder Besucher, mit dem ich sprach, war begeistert von der Idee und die, die mitgeholfen haben, umso mehr. Es ist kein Geheimnis, dass es in Winterthur eine sehr breite Musik-Community gibt. So gut wie jedes Genre ist bedient. Ich will und kann nicht genug von diesem Event und der Idee schwärmen. Als Schlusswort möchte ich nur eines sagen: Liebe Kulturschaffende und Menschen mit guten Ideen, bitte macht einfach und setzt eure Ideen um!
Text: Nikola Petronijevic und Sarah Rutschmann