13. August 2019
Bogen F – Zürich
Bands: Daughters / Ester Poly
Es war wohl klar, dass es einer der düstereren Abende des Bogen F werden würde, wenn Daughters aufspielen. Aber Dunkelheit, Wahnsinn, Schmerz und Ekstase so in Extremis?
Der Einstieg in den Abend war bei all den dunklen Wolken die sich in den Gewölben des Bogen F sammelten schon fast lockerflockig, ziemlich amüsant, lustig, sympathisch und auch bezaubernd. Ester Poly, das zumindest altersmässig ungleiche Duo um Beatrice Graf und Martina Berther hatten einiges zu erzählen. Musikalisch wie auch mit ihren Texten, denn genau da finden sich die beiden. So wurden die Becken der Hauptband mit in die Drumsolis einbezogen, während der Bass irgendwo zwischen harmonisch und disharmonisch, groovigen Lines und bretternden Gitarren hin und her tänzelte. Zugegeben, der Polyesterzug nahm eher langsam Fahrt auf, aber wer wurde beim letzen Song „Wet“ nicht feucht? Das sind genau die Momente. Und wer noch nicht genug hatte, der wurde am Merchandise reichlich mit LP’s, Pins aber auch Facebook, Instagram oder einfach Gesprächen bedient.
Kaum zwei Zigaretten später, die man sich vor der Ungewissheit was jetzt kommen würde noch vorsorglich zuführte, knallten Daughters aus Rhode Island dem Publikum die ersten Akkorde ums Gesicht. So tönt ein Stahlwerk. Mit einer Schmiede. Und einer Sägerei (bei der die Baumstämme die zersägt werden aus Eisen sind). Und das alles miteinander in derselben Maschinenhalle. Gleichzeitig.
Minimalismus. Brutalismus. Punk. Noise. Monströse Soundwellen. Musik bei der ein Gehirn in einem Moment noch mithalten kann im abrupten Wechsel mit der Überforderung der Sinne. Die Band, sie könnte in Ihrem Aussehen auch die Russenmafia sein, eher zurückhaltend und im Hintergrund, doch je introvertierter desto lauter. Groove und fast schon Lockerheit im Gegenspiel zur Unheimlichkeit und dem düstersten Himmel den man sich vorstellen kann. Nicht von ungefähr, einen mächtigen Anteil daran hat Frontmann und Sänger Alexis Marshall. Gesang, mal gesprochen, mal geschrien, mal gewürgt, wie ein Mantra werden kryptische Passagen rezitiert und wiederholt. Das Mikrofon wird in und durch die Luft geschleudert, halb verspeist, auf den Boden geschmissen und auf den Kopf geknallt. Die Menge tobt, man kann nicht anders und sinkt in den Wahn des Irren ein, der sich durch das Publikum tragen lässt, auf die Galerie des Bogen F steigt. Will er wirklich runterspringen oder stranguliert er sich mit dem Mikrofonkabel am Ende doch noch selbst? Wohin nur führt diese lärm gewordene Apokalypse?
Und dann plötzlich: Fertig. Was für ein Abgang. Die Pupillen noch immer geweitet, man sucht die leere Bühne ab, reibt sich die Augen. Der Popsong der aus den Lautsprechern trällert kann nicht von dieser dunklen und unheimlichen Welt stammen in der man sich befindet, in der man in der letzen Stunde gefangen war. Es braucht einige Minuten, um sich den grossartigen Daughters zu entreissen und wieder im lauen Sommerabend anzukommen.
PS: Nein, Alexis Marshall ist nicht von der Galerie gesprungen, nur vom oberen Drittel der Treppe. Der Anblick der Erleichterung im Gesicht des Gitarristen war unbezahlbar.
Text: Mischa Castiglioni