2. Oktober 2019
Dynamo – Zürich
Bands: Between The Buried And Me
Wenn man spontan die Möglichkeit erhält, eine der momentan interessantesten und faszinierendsten Prog Metal-Bands live zu sehen, sollte man eigentlich nicht Nein sagen. Genau aus diesem Grund begab ich mich am Mittwoch einmal mehr nach Zürich ins Dynamo, denn da spielte an diesem Abend niemand anderes als die genialen Between The Buried And Me. Und was für ein legendärer Abend es werden sollte.
Die fünf Jungs aus Raleigh, North Carolina nahmen an den Instrumenten ihre Plätze ein und ab ging es. Mit „Astral Body“ wurde gleich von der ersten Sekunde an klar gemacht, was für Ausnahmekünstler hier auf der Bühne standen. Das fantastische Gitarren-Intro, Takt- und Tempowechsel par Excellence und dann setzte Tommy Giles Rogers Jr. mit dem Gesang ein, harte, geschriene Vocals zu einer der epischsten, glorreichsten Instrument-Passagen, die ich je gehört habe – was für ein fantastischer Einstieg! Mit „Lay Your Ghosts To Rest“ ging es ohne Atempause weiter, Screams, Blastbeats und dazu verspielte, vertrackte und durchgedrehte Instrumental-Passagen. Ich war erstmal etwas geplättet von dem Ganzen, es braucht schon ein paar Minuten, um sich in diesen auditorischen Anschlag zu gewöhnen, denn zu jeder Sekunde passiert hier so viel, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kommt. Was die beiden Gitarristen Paul Waggoner und Dustie Waring hier abliefern, ist aller erster Güte, als Hobby-Gitarrist, wie ich selbst, kann man hier echt nur staunen, zusammen mit dem kleinen Bisschen Traurigkeit ob dem Wissen, dass man auf dem Instrument selber nie auch nur ansatzweise so gut sein wird – die Freuden des Prog Metals.
Nach dem grossartigen und wahnwitzig harten Death Metal-Brett „Alaska“ vom gleichnamigen Album, gab es nach 25 Minuten erstmalig eine Begrüssung. Tommy hiess uns zu „an evening with Between The Buried And Me“ herzlich willkommen und informierte uns, dass sie auf dieser Tour vor allem Songs vortragen würden, die sie sonst nicht oft genug live spielen, was natürlich für eingefleischte Fans ein besonderer Anlass zur Freude war. Weiter ging es mit „More Of Myself To Kill“, ein, laut Tommy, 19 Jahre altes Lied, welches erneut beeindruckend zur Schau stellte, wie genial diese Band es vermag, unglaublich intensive und harte Passagen und brutale tiefe Growls mit wundervoll melodiösen, ruhigen und progressiven Parts zu einem glorreichen Eins werden zu lassen. Und wem dieses Lied zu wenig Prog oder zu viel Tech-Death Metal war, der durfte sich danach über das herausragende und viel melodiösere „The Coma Machine“ erfreuen. Unglaublich, wie abwechslungsreich dieses Konzert war.
Der Fokus lag heute Abend aber auf jeden Fall bei den härteren Songs, das folgende „Mordecai“ erinnert in seiner Aggressivität und Verrücktheit wie auch mit dem jazzigen Mittelteil stellenweise an The Dillinger Escape Plan, nur um dann in einem epischen Gitarrensolo zu enden. Ich habe keine Ahnung, wie die fünf Herren das machen, wie man solche Songs überhaupt schreibt, geschweige denn, wie man all diese unterschiedlichen Parts gleichwohl kohäsiv erscheinen lässt, absolut beeindruckend. Mit dem kurzen Zwischenspiel „Reaction“ und dem darauf folgenden „Mirrors“ wurde dann für einmal ein bisschen ein Gang zurückgeschaltet und Between The Buried And Me bewiesen eindrucksvoll, dass sie trotz all den Extreme Metal-Parts in erster Linie gleichwohl vor allem eine 1A-Prog Band sind, die stets ihrem Stil treu bleiben. Auch dieses Lied wurde mit jeder Minute härter und düsterer, einfach genial, wie vielfältig Between The Buried And Me sind, so viele Stile kriegt man sonst nur mit drei oder vier verschiedenen Bands an einem Abend zu hören, nicht von einer einzelnen.
Dass hier eine Prog Metal Band auf der Bühne stand, merkte man auch dem Publikum an, denn obwohl jedes Lied am Ende frenetisch gefeiert und bejubelt wurde, so war zwischen den Songs meistens nicht ganz so viel Bewegung, zumindest zu Beginn des Abends. Natürlich ist es schwierig, zu einem 13/18-Takt zu headbangen oder einem Lied wie „Obfuscation“, welches den ersten Teil des Konzertes vor der Pause zum Abschluss brachte, überhaupt nur ansatzweise zu folgen. Einfach nur faszinierend. Dies will aber nicht heissen, dass die Stimmung im Dynamo heute nicht genial war – auch wenn die Halle leider nur etwa halb voll war, so feierte wirklich jede und jeder hier heute diese unglaubliche musikalische Darbietung in vollen Zügen ab. Nur halt einfach mit mehr Luftgitarre und -Schlagzeug als mit Moshpits und Headbangen.
Es folgte eine kurze Pause, perfekt, um kurz was zu Trinken zu holen und den Kopf etwas durchzulüften, doch bald schon ging es mit „The Black Box“ als schonender Einstieg, gefolgt von der Prog Metal Tour de Force „Telos“ und dem komplett wahnsinnigen „Bloom“ weiter. Letzterer war definitiv einer der durchgeknallteren Songs in einem an durchgeknallten Songs wahrlich nicht armen Set – ein Lied mit brutalen Mosh-Parts und Blastbeats, Rap-Passagen (!) und einem Bluesrock-Teil grenzt wirklich an Wahnsinn. Ich habe wahrlich noch nie eine Band erlebt, die solch unglaubliche Spielfreude, Talent und dieses gewisse Etwas an Abgedrehtheit an den Tag legt, und dabei das Ganze nie aus dem Ruder laufen lässt. Unfassbar. Nach diesem verrückten Einstieg in den zweiten Teil des Abends kündigte Tommy dann an, dass nun ein paar aktuellere Songs folgen würden, so kam als nächstes „The Proverbial Bellow“ vom aktuellen Album „Automata II“, ein Lied, welches nach den letzten drei schon fast geradlinig erschien, was bei einem 13-minütigen Track durchaus etwas heissen will. Hier zeigten auch Drummer Blake Richardson und Dan Briggs am Bass einmal mehr, was sie können, so viele unglaublich vertrackte und komplizierte Parts in diesem Lied, und alles mit einer Leichtigkeit gespielt, dass wohl viele angehende Musiker im Publikum ihre Instrumente gleich in den Keller verpacken werden. Lange währte die Prog-Normalität (was auch immer das sein soll) aber nicht, denn das folgende polkaeske Intro „Glide“ und das finale „Voice Of Trespass“ vom selben Album gehören erneut in die Kategorie „wie durchgedreht können unsere Songs sein“. Was für ein Meisterwerk, hier zeigten Between The Buried And Me wirklich nochmal alles, was sie drauf haben, vom durchgedrehten Jazz-Metal Anfang, der noch an die Polka-Eskapaden von „Glide“ erinnert bis hin zum episch düsteren und erdrückenden Schlussteil mit dem wiederholten „We are hollow“-Chor, ein fantastisches Lied.
Als Zugaben wurde es mit „Selkies: The Endless Obsession“ nicht weniger progressiv. Für mich wurden hier wieder die Parallelen zu Dream Theater augenscheinlich, wenn auch um einige Grade heavier als die Prog-Giganten je waren oder sein werden, aber die Songstruktur, Taktarten, der Wechsel von hart zu melodiös und zurück und die schiere Verspieltheit dieses Liedes lassen den Vergleich durchaus zu. Tommy erwähnte dann auch noch, dass wir als Publikum scheinbar mit unserem Jubel die 100db Grenze weit überschreiten, und fragte uns, ob wir nicht alle Angst hätten, deswegen ins Gefängnis zu müssen. Zum Glück durften wir bleiben, die Schweizer Lautstärkepolizei gab sich nicht zu sehen. Als krönender Abschluss kam nun noch das sphärische Interlude „Viridian“, bei dem nochmals der ganze Fokus auf Bass und Keyboard lag, und schlussendlich das epische, fast 15-minütige Überlied „White Walls“. Alle drehten hier nochmals komplett durch, sogar ein Typ im Rollstuhl war im Moshpit, der nun doch auch noch ausbrach, ein Bild für die Götter. Dieses letzte Lied verlangte uns nochmals alles ab, unfassbar und kaum mehr in Worte zu fassen, wie genial das war. Dass man beim Headbangen gleichzeitig Gänsehaut hat und das Grinsen nicht aus dem Gesicht kriegt, während dem man mit erhobener Faust diese fünf Ausnahmekünstler auf der Bühne huldigt, das hat schon echt etwas ganz Besonderes. Da soll nie mehr jemand sagen, Prog Metal sei zu kalt und gefühllos. Nach insgesamt etwas über zwei Stunden war dann leider wirklich Schluss, aber meine Güte, was für ein unfassbares Konzert, Between The Buried And Me sind wirklich einzigartig. In einer Zeit, in der mein Interesse an Prog schon seit längerem etwas auf Eis liegt, kann ich aufrichtig sagen, dass das heute eines der eindrücklichsten, emotionalsten und besten Konzerte war, die ich seit langem erlebt habe.
Setlist [Quelle: setlist.fm]
Set 1
1. Astral Body
2. Lay Your Ghosts to Rest
3. Alaska
4. More of Myself to Kill
5. The Coma Machine
6. Mordecai
7. Reaction
8. Mirrors
9. Obfuscation
Set 2:
10. The Black Box
11. Telos
12. Bloom
13. Glide
14. Voice of Trespass
Zugaben
15. Selkies: The Endless Obsession
16. Viridian
17. White Walls
Text: David Spring
Bild: Kathrin Hirzel