Gaswerk – Winterthur
Freitag, 25. August 2023
Text: David Spring
Sind wir ehrlich: Funeral Doom Metal ist nicht für alle gemacht. Es ist verständlich, dass nicht jeder Musikfan das Verlangen verspürt, das Gefühl, an einer Beerdigung zu sein, in Song-Form um die Ohren geschleudert zu kriegen. Doch gibt es Bands, die das Ganze so extrem auf die Spitze treiben, dass es schlicht faszinierend ist. So zum Beispiel Bell Witch aus Seattle. Das legendäre Doom-Duo spielte vergangenen Freitag im Kellergewölbe des Gaswerks in Winterthur auf. Einfach gesagt: ein unglaubliches, einmaliges Erlebnis.
Den Auftakt im ausverkauften Gaswerk machten Fuoco Fatuo aus Italien. Wie zu erwarten war auch diese Band keine leichte Kost. Da Funeral Doom wohl nicht harsch genug ist, kippen die Vier ihrem Sound noch eine gehörige Portion Death Metal obendrauf. Das Resultat war unmenschlicher Lärm. Die abgrundtiefe, wahrhaft bösartige Stimme des Sängers mischte sich mit den tonnenschweren Gitarrenwänden, woraus eine Kakophonie sondergleichen entstand. Songstrukturen waren nicht leicht zu erkennen, zumal die drei dargebotenen Stücke eine gesunde Durchschnittslänge von je 15 Minuten aufwiesen. Dafür war die Band eine solche Urgewalt, dass man jeden Ton und jeden Beat bis tief ins Innerste fühlte.
Es versteht sich von selbst, dass die Menschen im aufgeheizten Gaswerk wie in Trance waren und Fuoco Fatuo gehörig abfeierten. Viele standen mit geschlossenen Augen und offenen Mündern da und genossen dieses Spektakel mit dem ganzen Körper. Faszinierend, was diese Band hier veranstaltete. Nüchtern betrachtet war der Soundmix eher fragwürdig und ziemlich matschig. Aber irgendwie half dies alles nur, um eine Show abzuliefern, die durch Mark und Bein ging. Unfassbar bösartig, wahnsinnig heavy und schlussendlich äusserst effektiv. Nach ca. 45 Minuten war der schöne Spuk vorbei und man konnte aufatmen. Was für eine Band.
Der wahre Kraftakt stand uns aber noch bevor. Denn nun waren die unangefochtenen Meister des Funeral Dooms an der Reihe: Bell Witch. Ihr 2017er Album «Mirror Reaper» schlägt bis heute grosse Wellen. Nicht nur die 84-minütige Dauer dieses Ein-Song-Meisterwerks setzte neue Massstäbe, sondern vor allem die schiere vernichtende Kraft und wunderschöne Traurigkeit, die ihre Musik mit sich bringt. Die aktuelle Tour steht aber ganz im Namen des kürzlich erschienenen Nachfolgers «Future’s Shadow Pt. 1: The Clandestine Gate». Als erster Teil einer Trilogie besteht auch diese Platte nur aus einem fast anderthalbstündigen Song, den Bell Witch nun live zum Besten gaben. Das Intro wuchs aus sphärischen Bassklängen im Gletschertempo heran und gewann langsam, aber stetig an Intensität, bis irgendwann ein alles je Dagewesene in den Schatten stellendes Riff explodierte. Un-fucking-fassbar!
Was folgte war nicht von dieser Welt. Markerschütternd laut, heavy und so wundervoll schwermütig langsam. Das Publikum war ein Bild für die Götter: überall Menschen, die mit geschlossenen Augen in andere Sphären entschwebten. Manche standen wie angewurzelt da, andere wippten im Zeitlupentempo mit Kopf und Körper. Es ist kaum beschreibbar, was für eine Wirkung die Musik von Bell Witch hat. Die gewaltigen Riffs, die Bassist Dylan Desmond seinem Sechs-Saiter entlockt, bieten etliche kleine Variationen und Details, durch welche die Intensität immer weiter nach oben geschraubt wird. Dazu die Megatonnen schweren Beats von Schlagzeuger Jesse Shreibman, der zusätzlich dazu auch noch eine Litanei von Synthesizern bediente. Kaum zu glauben, was nur zwei Menschen für eine kolossale Soundwand kreieren können.
Natürlich kann ein anderthalbstündiges Lied nicht nur aus brachialen Riffs bestehen. Es folgte irgendwann eine lange ruhige Passage, die etwas zum Innehalten und Reflektieren Raum liess. Im Hintergrund wurden derweil äusserst kalte, schöne und leicht verstörende Videosequenzen eingeblendet, die zwar inhaltlich nicht viel hermachten, aber die Gesamtwirkung der Musik nochmals um ein Vielfaches verstärkten. Der Song gewann wieder an Intensität und Gewalt, um für den letzten Teil nochmals alles zu vernichten. Die gelegentlichen Gesangspassagen der beiden Musiker, die sich cleane und bösartig gutturale Parts teilten, vervollständigten das fantastische Gesamtkunstwerk.
Als das Ende dieser Tour de Force erreicht war, brauchte es tatsächlich einen kurzen Moment, bis die Leute im Gaswerk aus der Trance erwachten, um dann in erlösenden Jubel auszubrechen. Ein kollektives Ausatmen ging durch die Menge und als das Licht anging, fanden sich nicht wenige ungläubige Gesichter wieder, die ins grelle Licht blinzelten. Diese Show kathartisch zu nennen, scheint kaum ausreichend zu sein. Es war unsagbar erdrückend, beschwerlich und brutal, und gleichzeitig erhaben, glorreich und befreiend. Was für ein unvergessliches Konzerterlebnis. «The Clandestine Gate» ist wahrlich ein Meisterwerk, das Seinesgleichen sucht. Die Geister der Metal-Welt werden sich daran schneiden, ob es an «Mirror Reaper» heranreicht. Doch am Ende ist das egal. Völlig klar ist, dass Bell Witch eine Macht sind, die in ihrer ganz eigenen Liga spielt und live fasziniert und bewegt, wie kaum eine andere Band.
Setlist Fuoco Fatuo [Quelle: Setlist.fm]
- Obsidian Bulwark (Creation Of The Absurd)
- Thresholds of Nonexistence Through Eerie Aeon
- Psychoactive Katabasis
Setlist Bell Witch [Quelle: Setlist.fm]
- The Clandestine Gate