3. Februar 2016
Moods – Zürich
Band: The Aristocrats
Da stehen wir also erwartungsvoll auf der Empore. Ein kurzer Blick zurück in die dunkle Ecke, es scheint mir als kenne ich diesen turtelnden Typen auf der Couch irgendwoher. Ja klar, so werde ich aufgeklärt, es ist tatsächlich der Bassist Bryan Beller der heute auf der Bühne stehen wird. Na gut, die Vorbereitungen auf ein Konzert sind ja bei jedem Künstler anders. Dies ist sicherlich nicht die schlechteste Lampenfiebervorbeugung, insofern denn die drei Musiker der Aristocrats dieses Fieber überhaupt noch kennen, sind sie doch alle gestandene Vollblutmusiker.
Kurze Zeit später ist die Couch hinter mir leer und die Bühne schimmert im schummrigen Licht. Witzig beginnt die Show. Zu Musik wie in einer 90er Jahre Samstagabendspielshow betreten The Aristrocrats die Bühne. Ganz gemächlich, als ob sie soeben dem Bett entsprungen wären und sich für eine Probe bereit machen stehen sie da, schon haut Marco gekonnt die Trommelfelle und Guthrie und Bryan zupfen die Saiten. Mit „Stupid 7“ kurbeln die drei den Konzertabend rockig an, bevor’s mit „Jack’s Back“ gleich wieder etwas gemächlicher zu und hergeht.
Diese abwechslungsreiche Melange zieht sich, zur Freude der Zuhörer, durch den ganzen Abend. Zwischen den rein instrumentalen Darbietungen, immer wieder längere Erzählungen, die die jeweilige Songentstehung schildern und unglaublich lustig daher kommen. Feinster Prog im Zusammenspiel mit Stand up Comedy ist Balsam für die Alltagsseele. So ist das Stück „Texas Crazypants“ nicht nur frecher, rockiger Sound, sondern vielmehr die Vertonung menschlicher Situationskomik. Dass sich dabei der Bassist am Tamburin versucht und schliesslich die Drumsticks durch die Luft fliegen ist die kandierte Kirsche auf der sonst schon musikalisch gesüssten Rahmhaube.
The Aritstocrats verstehen es abwechslungsreichen Sound auf die Bühne zu bringen. Da ist ein kunterbunter Mix zu hören. Instrumental Rock, hie und da etwas Metal, damit sich die langen Haare lohnen, über Neo Prog bis hin zu dezentem Jazz Fusion. So zieht es sich nie langweilig dahin, obwohl einige Sets minutenlang leben. Immer lassen kleine Feinheiten den Zuhörer aufhorchen und staunen. Bei „Pressure Relief“ ist’s Drummer Marco, der plötzlich 80er Keyboardsound mit seiner Rechten auf dem Handy spielt (Ein I-Phone 6 S, sei erwähnt). Hätte er es nur nicht angekündigt, die Überraschung wäre riesig gewesen. Bei „Culture Clash“ erfreut sich die Hörerschaft über die Darbietung eines etwas älteren Songs, getragen von schnellen und langsamen Wechseln und einer Länge die einen das „Ich“ vergessen lassen.
Für mich persönlich am eindrucksvollsten, die glamouröse Leistung des Schlagzeugers Marco an den Drums. Da wird mit den Sticks gehämmert und gestreichelt und getupft an allem was auf der Bühne vorzufinden ist. So erklingen die Töne nicht nur auf den Trommelfellen, auch eine Scheibe lässt sich bedrummen, ja sogar eine Mikrofonhalterung. Höhepunkt dieser Darbietung an der ansonsten tief im Hintergrund der Bühne verschwindenden Perkussion, die Darbietung des Songs „Desert Tornado“. Mit Sicherheit eines der besten Drummer Solos die mir je zu Ohren gekommen sind. Minuten ziehen sich dahin, in den Gesichtern des Publikums reines Staunen. Ein vertonter Tornado in LA, dem zum Schluss hin, dass Kick-Drum-Pedal nicht mehr standhalten kann. Ob die Geschichte dazu jetzt erfunden oder echt ist, sei dahin gestellt. Eine absolute Glanzleistung, honoriert mit einem Wahnsinnsapplaus.
Bei so viel abwechslungsreicher musikalischer Darbietung geht fast vergessen, was zwischen den Songs läuft. Da wird mal Bier geholt und angestossen. Da sind plötzlich ein Schwein, ein Huhn und eine Gans am Mikrofon (dazu später mehr). Es wird erzählt gelacht und sich gefreut. Ich fühle mich nicht wie an einem Konzert. Ich fühl mich als spazierte ich an einem Sonntag durch eine US- amerikanische Stadt, stosse dabei zufällig auf das Bandlokal der Aristocrats, während diese gerade proben. Sie laden mich ein zuzuhören, mit ihnen zu jamen und einen gemütlichen Nachmittag zu verbringen. Geiles Gefühl. So bodenständig habe ich schon lange keinen Musiker mehr erlebt.
Nur eines können sie angeblich nicht, Singen. Aber kein Problem, für etwas haben Instrumentalisten ja Publikum. „Smuggler’s Corridor“ wird mit Gitarre, Bass und Drum klanglich arrangiert und Bryan organisiert den Gesang, welcher sich aus zwei Silbern bildet, durch die Zuhörerschaft. Das geht rund, klingt wie ein Tarantino Film, ist geil und absolut spassig.
Mit „The Kentucky Meat Shower“ folgt zum Schluss dann wieder ein Einblick in das neue Album „Tres Caballeros“ nicht ohne auch diesen Song und vor allem den Titel dazu vorab zu erklären. Darauf möchte ich jetzt aber, in Bedacht allfälliger nervenschwacher Leser, nicht näher eingehen. Wer sich jedoch gerne mit geschichtlichen Kuriositäten auf datieren will. Alles zum 1867er Fleischregen ist hier zu finden (https://en.wikipedia.org/wiki/Kentucky_meat_shower). Die Musik jedenfalls passt einmal mehr zu den Schilderungen. Überraschend spritzig, getragen vom Klang der Gitarre. Eben ein bisschen amerikanischer mittlerer Westen.
Das ganze zweistündige Set an Instrumentalmusik, natürlich am Stück, begeisterte Publikum wie Musiker gleichermassen, so dass die Zugaben für beiden Seiten kein Muss darstellen. „Blues Fuckers“ und „Get It Like That“ sollten es laut den treuen Fans sein. Gehört und sofort umgesetzt von den 3 Verrückten an den Instrumenten und zwar in Medleyform. Unglaublich wie das funktioniert. Ganz zum Schluss dann noch eine absolute Spinnerei. Schweinchen, Huhn und Gans eroberten die Instrumente und Mik‘s und geben noch eine Runde Bauernhofprog zum Besten. Das zu erklären ist unmöglich, drum lass ich’s sein.
The Aristocrats erster Auftritt überhaupt in Zürich, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Witzig war er, sehr spontan und vor allem musikalisch glanzvoll. Das alles in einer Atmosphäre die weniger einem Konzert, denn vielmehr einer lockeren Sause unter Freunden gleicht, absolut unbezahlbar.
Setlist
[Quelle: Band]
1. Stupid 7
2. Jack’s Back
3. Texas Grazypants
4. Pressure Relief
5. Culture Clash
6. Louisville Stomp
7. Pig’s Day Off
8. Desert Tornado
9. Smuggler’s Corridor
10. The Kentucky Meat Shower
Zugaben
1. Get It Like That
2. Blues Fuckers
Text: Sebastian Leiggener
Bilder: Kathrin Hirzel