Datum: 19. Januar 2014
Ort: Schüür – Luzern
Bands: Alcest / Hexvessel / The Fauns
„Die musst du dir unbedingt live ansehen!“ beschwörte mich kürzlich ein Bekannter, dessen Musikgeschmack ich blind vertraue. Ich folgte seinem Ruf und fand mich in einem der schönsten Konzerte der letzten paar Jahre wieder. Die Rede ist von Alcest, die am Sonntag, 19. Januar 2014 in der Luzerner Schüür spielten. Wie konnte diese Band mit ihrer Musik bis jetzt in meinem Leben fehlen?
Doch der Reihe nach. Kurz vor 19.30 Uhr traten The Fauns aus dem britischen Bristol auf die Bühne und überzogen den noch spärlich gefüllten Saal mit einer dicken Gitarrenschicht. Die interessante Mischung aus Shoegaze, Dream Pop und Indie, die von der zarten Stimme der Sängerin Alison Garner eingezuckert wurde, zog mich rasch in ihren Bann. Treibende, schnelle Stücke wechselten sich mit komplex arrangierten Songs ab und liessen die 45 Minuten – überraschend grosszügig für die erste von zwei Vorbands – wie im Flug vergehen.
Sogar 50 Minuten Spielzeit wurde der zweiten Vorband eingeräumt. Und bald wurde auch klar weshalb: Der Sound von Hexvessel braucht diese Zeit, um sich in die Gehörgänge zu fräsen. Die Musiker aus dem finnischen Tampere spielen zähflüssigen „Doom Folk“, wie sie ihren Stil selbst bezeichnen. Hauptzutat ist schleppender Psychedelic Rock, der mit folkigen Geigenklängen, Trompetenstössen und wabernden Hammondorgel-Sounds operiert. Dominiert wird die Musik von der herzergreifend klagenden Stimme des gebürtigen Engländers Mat „Kvohst” McNerney, der früher bei den Black Metallern Code am Mikro stand und zurzeit mit seiner Zweitband Beastmilk mit apokalyptischem Postpunk durchstartet. Hexvessel erwies sich als hervorragende Support-Wahl und spielte das immer zahlreicher werdende Publikum mit ihrem dramatisch arrangierten Klanggebilden gekonnt in Trance. Der Weg für die Hauptakteure des Abends war geebnet.
Um 21.30 Uhr erklang das Intro und Alcest betraten die Bühne. Bereits bei den ersten Akkorden stellten sich wie auf Kommando in allen erdenklichen Körperregionen die Haare auf. Von nun an war 90 Minuten lang Gänsehaut nonstop angesagt. Denn was hier aus den Boxen perlte, war nicht von dieser Welt. In reichlich Hall gepackte Gitarrentürme ragten in den imaginären Himmel und die perfekt dosierten Drums bahnten sich gemeinsam mit dem eher dezent gespielten Bass charmant den Weg in die Eingeweide. Eine Klangwelt aus verträumtem Shoegaze, melancholischem Post Rock und gelegentlichen Black-Metal-Fetzen, die im Studio von Mastermind, Sänger und Multi-Instrumentalist Stéphane „Neige“ Paut weitgehend im Alleingang geschaffen und auf der Bühne gemeinsam mit Gitarrist Pierre „Zero“ Corson, Schlagzeuger Jean Deflandre und Bassist Indria Saray zelebriert wird.
Im Mittepunkt des Konzerts standen natürlich die Songs des phänomenalen neuen Albums „Shelter“. So begann das Konzert dann auch mit dem eindrücklichen Album-Opener „Opale“. Nach einem kurzen Ausflug zu „Summer Glory“ vom letzten Album „Les Voyages De L’Âme“ setzte sich der Fluss der neuen Songs mit dem traumwandlerischen „L’Eveil Des Muses“ fort, um dann allerdings rasch wieder in ältere Gefilde abzudriften. Mit diesem kontinuierlichen Wechselspiel aus brandneuen und älteren Songs wurden sowohl neue Fans, zu denen ich mich zähle, und langjährige Begleiter gleichermassen in Verzückung versetzt. Rätselhaft war mir allerdings, warum Frontmann Neige zu Beginn immer wieder leicht verzweifelt versuchte, „Stimmung“ zu machen und das Publikum gar zum Mitklatschen animieren wollte. Er sollte sich doch eigentlich bewusst sein, dass diese Art von Musik kein Händeklatschen sondern vielmehr Herzklopfen auslöst.
Bald gab er seine gescheiterten Versuche jedoch auf und begnügte sich mit gelegentlichen Ausflügen an den Bühnenrand um sein Publikum neugierig aus der Nähe zu begutachten. Er schien durchaus zufrieden zu sein, mit dem was er da sah, denn bis in die letzte Reihe waren die Anwesenden schwer damit beschäftigt, möglichst tief in den Sog der dieses Strudels aus Noten einzutauchen. Und so schwebte man gemächlich von einer akustischen Wolke zur nächsten und wünschte sich, nie mehr zur Erde zurückkehren zu müssen. Doch nach dem Titeltrack des Debutalbums „Souvenirs D’Un Autre Monde“ schlug man ein erstes Mal unsanft auf dem Boden der Realität auf, als die Band die Bühne verliess und ein ganz und gar unhimmlisches Distortion-Geräusch der Lead-Gitarre zurückliess. Aber schon bald kamen Alcest noch einmal zurück und sorgten mit „Délivrance“ – meinem Lieblingsstück auf dem neuen Werk „Shelter“ – für einen absolut traumhaften Abschluss.
Als die Lichter angingen und man sich umsah, erblickte man ausnahmslos zufriedene, sanft lächelnde Gesichter. Und so traten ich und viele andere verzauberte Wesen in die kühle Luzerner Nacht hinaus, mit der Gewissheit, soeben eines der schönsten und ergreifendsten Konzerte seit einer halben Ewigkeit miterlebt zu haben. Und in meinem Fall mit dem Bewusstsein, eine der momentan interessantesten Bands endlich auch kennen zu dürfen. Danke!
Setlist:
01. Wings (Intro)
02. Opale
03. Summer’s Glory
04. L’Eveil Des Muses
05. Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles
06. Voix Sereines
07. Shelter
08. Beings Of Light
09. Autre Temps
10. Sur L’Océan Couleur De Fer
11. Percées De Lumière
12. Souvenirs D’Un Autre Monde
13. Délivrance
[Quelle: setlist.fm]
Text: Daniel Zehnder
Bilder: Thomas Lang