Name: Cyril Schicker
Tätigkeit bei artnoir: Schreiberling
Dabei seit: Januar 2009
Was heisst es, etwas zu wissen, statt nur zu glauben? Heisst etwas zu glauben, es für wahr zu halten? Heisst etwas zu wissen, dass man es aus gerechtfertigten Gründen glaubt und dass es obendrein tatsächlich wahr ist?
Hm, vielleicht aber kann man etwas Wahres auch aus guten Gründen glauben und es dennoch nicht wissen, weil die Gründe zwar gut, aber falsch sind – und der Glauben daher nur zufällig wahr ist?
Wissen hin, Glauben her: Ich weiss, mein 2012-Rückblick ist subjektiv und dennoch bin ich davon überzeugt, dass ihr mir Glauben schenkt. Oder auch nicht, auf jeden Fall hat mir 2012 etliche Leckereien beschert, glücklicherweise nicht gezuckerte, aber doch süsse – und vor allem musikalische.Kariesfrei angefangen hat das Ganze mit der deutschen Metalcore-Band Caliban. Das Dynamo rissen sie mit ihrer fulminanten Performance in Stücken, ebenso die Herzen aller Anwesenden. Dergleichen überzeugend ist übrigens ihre neuste Platte „I Am Nemesis“ ausgefallen.
Ein erster Wehrmutstropfen geht mit Scary Bitches einher. Die englische Horrorpunk- und Gothic-Rock-Truppe gastierte – wiederum – im Dynamo, führte (ziemlich sicher) wie gewohnt Nekrophilie, Werwölfe, Vampire, Kannibalismus und Zombies ins Feld. Leider aber verhinderte König Zufall den Konzertbesuch. Zum Glück heilt die kurze Zeit alle Wunden, denn alsbald darauf gab sich Dirk Bernemann (in Begleitung von Christoph Strasser) die Ehre. Der deutsche Jung-Autor ist nicht mehr ganz so jung, aber doch kontinuierlich aufstrebend und gekonnt den Erfolgspfad ausstampfend. Seine „unschuldsgekotzte Bücherreihe hat die deutschsprachige Welt aus den Fugen gerissen, derzeit ist der Buchstaben-Klabautermann dabei, mit „Asoziales Wohnen“ nach den Sternen zu greifen.
Von Krampfadern zum Scheintod
Ein weiteres Highlight war sicherlich der heissersehnte Auftritt von Helmet, deren Auftritt auch wirklich heiss ausfiel. Im schmucken Zürcher Plaza gab sich die Kultband aus New York keine Blösse und die Kreis-3-Kulturoase mit diesem Engagement selbstredend ebenso nicht. Selbiges kann man von Helge Schneider sagen, der im Berliner Admiralspalast Rettung versprach – und schliesslich über geplatzte, rausschauende wie auch rumflatternde Krampfadern sprach. „Mann mit der Ader“ konnte leider die damit einhergehende Aufmerksamkeit nicht schultern und starb schliesslich den Stresstod. Allerdings handelt es sich lediglich um einen Scheintod, eine Grabesoma wird daraufhin verspiesen, der verurteilte Kannibale in ein Brot eingebacken und … Ja, eine typische Rettung eben!
Auf vollends andere Art rettend war tags darauf das Konzert von Gisbert zu Knyphausen. Der deutsche Singer Songwriter gastierte im Zürcher Exil, das an diesem Abend bis zum Bersten voll war. Und, glaube ich, auch geborsten ist. Nein, halt, Verwechslung, geborsten ist zu Knyphausens kongenialer Freund Nils Koppruch. Armes Ding und begnadeter Musiker. R.I.P. Der Totenstarre, ähm, -ruhe zum Trotz, begnadet und inzwischen auch mehr als nur abgebrüht kamen oder kamen Korn daher. Die Nu-Metal-Combo überzeugte zwar, überraschte jedoch nicht (mehr). Ein Danke an den Komplex 457 aber sowieso. S’ist ja Weihnachten. Weniger Dank gebührte Deichkind. Die einst souveränen und vorreiter’schen Rap-Hip-Hop-Textkrösusse präsentierten sich in der Härterei doof, proletarisch, infantil, berechenbar und folglich medioker oder besser gesagt obsolet. Man könnte zwar meinen, damit locke man niemanden mehr hinter dem wärmenden Ofen hervor, komischerweise aber war die Halle ausverkauft und die Stimmung überschäumend.
Emily Autumn, Laibach und Konsorten
Huch, es macht(-e) den Anschein, als wären wir hier wieder bei: Was heisst es, etwas zu wissen, statt nur zu glauben? Heisst etwas zu glauben, es für wahr zu halten? Heisst etwas zu wissen, dass man es aus gerechtfertigten Gründen glaubt und dass es obendrein tatsächlich wahr ist? Hm, vielleicht aber kann man etwas Wahres aus guten Gründen glauben und es dennoch nicht wissen, weil die Gründe zwar gut, aber falsch sind – und der Glauben daher nur zufällig wahr ist?
Ja, ja, ja – ich weiss, das hatten wir schon mal. Was wir in den vergangenen Jahren allerdings auch schon hatten, das war Emily Autumn. Sie allerdings vermag es jedes Mal aufs Neue, zu brillieren, zu erstaunen, zu schockieren und zu begeistern. Im spärlich gefüllten X-TRA knechtete die ominpräsent-gestörte, nach eigenen Angaben bi-polare Theaterkünstlerin mit Musik-Fetisch durchs Band und verwandelte die Konzerthalle kurzerhand zum „psychotic Asylum“. Wohlan, verstörte Wohlgestalt, wohlan! Verstörend-gestört präsentierte sich in etwa zeitgleich der ironische und vom Laibach’schen Soundtrack getragenen Leinwandzauber Iron Sky. Ein Muss dieses cinéastisches Vergnügen doch ist! Selbiges gilt oder besser gesagt galt für den Auftritt der kultschwangeren Killing Joke im Abart. Mehr dazu zu sagen, gibt es eigentlich nicht ausser dem adieu, Abart, adieu …
Brennpunkt Dänemark
Vieler Worte bedarf das diesjährige SPOTfestival in Dänemark (Aarhus) ebenso wenig. Die Musiktraumstätte aus dem hohen Norden hat sich – wie gewohnt – 2012 in die Herzen aller gespielt. Das überschäumende Interesse spricht eine deutliche Sprache und deutlich-klar ist auch die Freude auf ein 2013-Wiedersehen. So oder so, ob es in Bezug auf Judas Priest ein Wiedersehen gibt, das steht in den Sternen, Fakt aber ist, dass das Forum Fribourg mit den britischen Genre-Wegweiser Heavy Metal erster Güte präsentiert(-e). Diesem Prunkstück zum Trotz, 3 Inches Of Blood und Goatwhore (Dynamo-Gig) sind live noch brachialer, mächtiger und famoser als in konservierter Form. Vom Brachial-Duo dürfte in Zukunft noch viel zu hören, zu erleben sein. Augen und Ohren auf.
Ein Erlebnis sondergleichen geht ohne Wenn und Aber stets auch mit Pigor (und Benedikt Eichhorn muss begleiten) einher. Die preisgekrönten Kabarettisten sind zwar seit Kindesbeinen auf beispiellos, dennoch aber nie müde, um sich laufend neu zu erfinden und humoristisch-musisch nach den Sternen zu greifen. Dem geneigten Artnoir-User dürfte das Kabarett-Kunterbunt bestens bekannt sein, wurde es doch schon oft medial handgeküsst. Handküsse verdienen auch die Earshakerdays, die unter anderem Lamb Of God, Killswitch Engage, Devil Driver, Mastodon, Soulfly, Sick Of It All, Machine Head, Amon Amarth und Children Of Bodom zum Besten gaben. Ja, manchmal rückt sich selbst die Stadt Basel in den grandios-zentrierten Mittelpunkt!
Sommerlicher Mittelpunkt – aka das Mass aller Dinge – ist (fast) jedes Jahr das Montreux Jazzfestival. 2012 stach besonders Ian Anderson mit seinen „little feat“ heraus. Dennoch: Der rund zweiwöchige Musikschmaus ist stets Garant für allgemeines Hochklassiges. Apropos, hohe Klasse versprühte das Blue Balls Festival in Luzern ebenfalls. Dieses Jahr höhepunkteten insbesondere MC Kutti sowie Sivert Hoyem. Der Rest, ja, der Rest … … der lässt sich in etwa einordnen wie das Gros des Zurich Openair 2012: kaum bis gar nicht überzeugend. Apropos überzeugend: Hätte ich Hanzel und Gretyl vor Ort sehen können, könnte ich bestimmt auch sagen, das harsche Gothik-Schmankerl sei dafür besorgt gewesen, allesamt in Schutt und Asche gelegt zu haben. Doch wie es der Konjunktiv anmutet, das Dabeisein war kein Dabeisein. Selbiges gilt für Godspeed You! Black Emperor – und dafür sollen mich 1000 Flammen heimsuchen, kalt am liebsten.
artnoir-Dankeschön
Dem Flammeninferno zum Trotz, es darf, nein, es soll hier erwähnt sein, zwischendurch durfte ich heiraten – und mir (uns) für einen Monat mir Flitterwochen anheimfallen lassen. Unbeschreiblich das ist, unbezahlbar sowieso, ja, demzufolge auch unerklärbar respektive unerreichbar. (Nicht nur) Deshalb wird mir 2012 in besonders schöner Erinnerung bleiben. Und wenn ich nicht von Pestbeulen geplagt, von Chlamydien heimgesucht oder von Dutroux’ Frau entführt werde, dann verspricht auch das Folgejahr viel Erfreuliches. Angefangen bei Enter Shikari, am 15. Januar 2013 im Komplex 457.
Ich erhebe die Hand zum Grusse – und frohlocke. Und sage nicht nur all den Bands danke, nein, auch euch Veranstaltern drücke ich ein Dankeschön in die Hand, selbst wenn nicht alles immer so vonstatten ging, wie es hätte vonstatten gehen müssen. Doch sentimental sind wir zum Jahresende alle, nachsichtig demnach auch. Nicht zwingend nachsichtig, dafür weitsichtig und gutsichtig zeigen sich dafür die artnoir-User. Euch drehe ich einen Dankeskranz, denn nicht immer ist es leicht, sich entlang meinem Gedankenstrang zu angeln, ohne Gefahr zu laufen, runterzufallen. Darf ich euer (Auffang-)Kissen sein?
Bevor sich Schicker nun anschickt, euch schicke Dankesgrüsse zu schicke(-r)n, höhepunktet Schicker mehr oder minder schicklich-schreibend-abschliessend und bietet einige seiner albumtechnischen 2012-Highlights feil: Stone Sour (House Of Gold & Bones Part I), Enter Shikari (Warm Smiles Do Not Make You Welcome Here), Godspeed You! Black Emperor (Allelujah! Don’t Bend! Ascend!), Between The Buried And Me (The Parallax II: Future Sequence), Soulfly (Enslaved), Converge (All We Love We Leave Behind), Whitechapel (Whitechapel), Napalm Death (Utilitarian), Lamb Of God (Resolution), High On Fire (De Vermis Mysteriis), All Hail The Yeti (All Hail The Yeti), Laibach (Repro… und We Come In Peace), Mike Patton & Ictus Ensemble (Laborintus II)
Text: Cyril Schicker