9. Dezember 2019
Werk21 – Zürich
Bands: Abstürzende Brieftauben / The Dorks
Schon lange habe ich mich nicht mehr so der Vorfreude auf ein Konzert hingeben können, wie in den letzten Tagen vor dem Auftritt der legendären Abstürzenden Brieftauben im Dynamo. Die Band kenne ich schon aus frühsten Teenage-Tagen, doch bisher hatte ich nie die Chance, sie live zu sehen. Natürlich war der Tod von Gründungsmitglied Konrad Kittner 2006 ein schwerer Schicksalsschlag für jeden Tauben-Fan und auch nach dem Wiederbeleben der Band 2013 sah es nicht immer rosig aus. Doch nun war es endlich so weit.
Los ging es zuerst mit den lokalen The Dorks. Diese kannte ich bisher noch nicht, was sich schnell als grosse Schande auf mein Haupt herausstellte. Was für eine coole Band. Da die Bühne bereits für die Tauben aufgebaut und das Schlagzeug ganz vorne am Bühenrand stand, musste sich Gitarrist The Clerkman hinter die Band in die Mitte stellen, was für ein ungewöhnliches Bühnenbild sorgte. Dazu ein sehr grosszügig ausgerüstetes Drumkit für Schlagzeuger Count Rufus und siR wEbbsTer [sic!] am Gesang und der Bassgeige, ein Bild für die Götter. The Dorks spielten in erster Linie Rock, allerdings mit ganz vielen Seefahrer-, Polka-, Reggae- und Rockabilly-Einflüssen. Und auch wenn das äussere Erscheinungsbild der drei sympathischen Herren nicht danach aussah, so handelte es sich um eine äusserst talentierte Band. Musikalisch auf erstaunlich hohem Niveau, bedienten die Lieder sich mannigfacher Einflüsse, die Takte durchaus etwas komplizierter als nur Standard Vierviertel.
Das wussten die zahlreich erschienenen Damen und Herren im heimeligen Werk21 zu schätzen. Die Stimmung war ausgelassen und spassig, zwar hielt sich die Bewegung noch in Grenzen, mitgefeiert wurde ordentlich. The Dorks waren einfach zu charmant, mal wurde sich über den Zürcher Dialekt lustig gemacht, danach abenteuerliche Geschichten über einen Kohleschaufler auf einem Schiff erzählt, der zu viel schaufelte und so den Ofen des Schiffes zum Explodieren brachte, „dä dumm Hund“. Sehr amüsant. Dazu gab es wunderbare Seefahrer-Lieder, Rockabilly-Polkas und Rock-Hymnen, wirklich eine grandiose Band. Nach knapp etwas über einer halben Stunde war der Spass dann leider wieder vorbei. Ich verneige mich auf jeden Fall vor den Dorks, selten wurde man so talentiert, amüsant und kreativ auf den Hauptact des Abends eingestimmt.
Nicht lange dann, bis es endlich Zeit für die zwei schnellsten und lautesten Tauben Deutschlands war. Ein Countdown, das toll bekloppte „Morgens Immer Müde“ von Laing ab Band als Intro und da waren sie. Schnörkellos ging es mit „Das Grauen Teil 3“ los und sofort wurde klar, dass Micro und Norman nach einer bereits 36 Jahre mehr oder weniger beständigne Karriere keineswegs einen Gang zurückschalten wollten. Spätestens beim zweiten Lied, dem herrlichen „Heute doof und morgen doof“, waren alle Besucher*innen im Werk21 am Tanzen und lautstark Mitsingen. Richtig beeindruckend, wie viele Leute hier jedes Wort mitschreien konnten. Auch ich selbst überraschte mich mit meiner Textsicherheit, obwohl ich mir zugegebenermassen die Tauben in den letzten Jahren nicht oft zu Gemüte geführt hatte. Aber alte Liebe rostet nicht, und so feierte ich alte Hits wie „Hör auf“, „Was ich nicht mag“ oder „Allein“ gnadenlos mit. Unfassbar, wie viel Spass drei Akkorde, zwei Tauben und ein Kazoo machen können.
Natürlich gab es neuere Songs vom 2016 erschienenen neusten Werk „Doofgesagte leben länger“, zum Beispiel „Keine Termine“ oder „Die Blumen sind für sie Herr Polizist“, und natürlich durfte die fantastische Anti-Nazi Hymne „Nie wieder Pegida“ nicht fehlen. Letzteres wurde speziell abgefeiert und es schallten auch ein paar „Alerta Antifascista“ Rufe aus dem Publikum. Sehr schön. Micro stellte irgendwann fest, dass Norman ja eigentlich gar nicht so gerne sitze, worauf es dann zu dem berühmt-berüchtigten Instrumentenwechsel kam. Bevor es mit „Das Grauen kehrt zurück“ weiter ging, wollte jemand aus dem Publikum noch einen Witz erzählen. Dieser war dann aber so schlecht, dass Micro sich dafür gleich mit den Worten „Sorry, wir können auch nichts für unser Publikum“ entschuldigte.
Die beiden Herren Tauben bewiesen, dass sie am jeweils anderen Instrument nicht ganz so zu Hause waren, wie am eigenen. Natürlich hiess das nicht, dass man auch nur einen Beat langsamer spielen würde, das Tempo der beiden war stellenweise echt wahnwitzig. Nach ein, zwei Liedern sassen dann auch die Drumsticks und das Plektrum wieder am richtigen Platz und es folgten grandiose Stücke wie „Paderborn“, „Glyosphat“, „Siegesmund“ und das höchst intellektuelle „Eine Muh, eine Mäh, eine Tätärätätä“. Mit dem grandiosen „Räubermärchen“ folgte eine weitere klare Ansage gegen Rechts, welche dann mit dem auf einen erneuten Instrumentenwechsel folgenden „Love Song“ endgültig nach Hause gebracht wurde. Was für ein wundervolles Lied, die Tauben machten nochmals klar, dass man auch auf lustige, leicht gewalt-verherrlichende Art und Weise gegen Nazis sein kann.
Mit dem wunderbar bekloppten „Duschen“ und dem rasanten „Der Letzte macht die Türe zu“ waren wir nach rund anderthalb Stunden dann leider langsam am Ende angelangt. Doch natürlich gab es noch Zugaben, bei „Betsy Fraitag“ drehten nochmals alle komplett durch und das (vermeintlich) abschliessende „Tränen“ sah Norman erneut an der Gitarre, währenddem Micro noch eine Runde crowdsurfen ging. Einfach genial. Weg waren sie, doch kurzum enterte ein blauhaariger Punk aus dem Publikum die Bühne und begann, sich bei den Tauben sowie den Veranstaltern von Soundmanoever für das tolle Konzert zu bedanken und daraufhin die Leute nach mehr Zugabe-Rufen aufzufordern. Das liessen sich Micro und Norman natürlich nicht zweimal sagen, und so gab es „Nicht mit mir“ und die grandiose Selbstbeweihräucherungshymne „Pieke Punk“. Was für ein Schluss, was für ein Konzert.
Ja, damit war endgültig Schluss. Völlig geplättet und mit einem riesigen Grinsen im Gesicht machte ich mich auf den Weg nach Hause. So viel freudige Nostalgie durfte ich schon lange nicht mehr erleben. Die Abstürzenden Brieftauben sind und werden immer eine ganz besondere Band bleiben. Ich hoffe, die beiden beehren uns bald wieder, ich werde auf jeden Fall wieder am Start sein. Einfach grandios.
Setlist [Quelle: setlist.fm]
1. Das Grauen Teil 3
2. Heute doof und morgen doof
3. Stefan
4. Das war ich nicht
5. Nie wieder Pegida
6. Hör auf
7. Keine Termine
8. Der Kobold
9. Konrad K.
10. Das Grauen kehrt zurück
11. Was ich nicht mag
12. Paderborn
13. Allein
14. Barmieze
15. Glyphosat
16. Eine Muh, eine Mäh, eine Tätärätätä
17. Die Kuh
18. Mach’s noch einmal, Gabi!
19. Die Blumen sind für sie Herr Polizist
20. Räubermärchen
21. Siegesmund
22. Ede vom Hinterhof
23. Richards Ende
24. Love Song
25. Duschen
26. Der Letzte macht die Tür zu
Zugaben
27. Betzy Fraitag
28. Tränen
Zugaben 2
29. Nicht mit mir
30. Pieke Punk
Text: David Spring