26. März 2019
Werk21 – Zürich
Bands: Lygo / Not Scientists / Tigeryouth
2001 wurde das deutsche Independent-Label Kidnap Music ins Leben gerufen, damals noch, um die eigene Band der Gründer zu promoten. Inzwischen zählt das Label ganze 40 Bands zu seinen Schützlingen, darunter Tigeryouth, Not Scientists und Lygo, die an diesem Montagabend gemeinsam auf der Bühne des Werk21 standen.
Den Anfang machte Tigeryouth, bestehend aus Berliner Tilman Benning. Alleine, mit der unangenehm hoch geschnürten Akustikgitarre und einer Flasche Rotwein in Griffnähe, lockte Tigeryouth die ersten, noch zurückhaltenden Gäste von der Bar oder dem Raucherplätzchen an der Limmat in den kleinen Konzertsaal. Verdammt viel Energie sprang von der Bühne ins Publikum – der Beweis, dass es nicht an ausgefallenen Effekten oder einer ganzen Musikerschar bedarf, um seiner Zuhörerschaft einzuheizen. Nichtsdestotrotz war Tigeryouth ein sanfter Einstieg in den dem Punkrock gewidmeten Abend.
Abgelöst wurde die Einmannshow von Not Scientists aus Lyon, die ihren französischen Akzent gekonnt zu überspielen wussten, und in einwandfreiem Englisch von Tornados, Raumschiffen und Stickern sangen. Die Laune der Musiker, die vor knapp einem Jahr bereits anlässlich des Obenuse Fest den Zürchern und Zürcherinnen eingeheizt hatten, war irgendwo ziemlich weit oben, was sich im Nu auf das Publikum abfärbte. Über Witze und Sprüche zwischen den Songs wurde mitgelacht, die Musik, von der Band selbst als eine Mischung aus The Cure, Fugazi, The Strokes und Television bezeichnet, regte zum Hüfteschwingen an. Wer bei Punk an rasende Wut und ungebändigte Anarchie zu denken neigt, könnte sich bei Not Scientists eines Besseren belehren lassen.
Hauptact dieses Abends, Lygo aus Bonn, entsprachen diesem Klischeedenken schon eher. Während Tigeryouth und Not Scientists die Gäste langsam aufwärmten und bei Laune hielten, bricht bei den Songs von Lygo aus, was sich an einem nebligen Montag nach einem wunderbar sonnigen Wochenende so an Missmut angestaut hat. Das Trio hatte ihr zweites Album „Schwerkraft“ im Herbst 2018 veröffentlicht und widmete ihre ersten Songs mehrheitlich dieser Scheibe. Das noch etwas verklemmte und spärliche Schweizer Publikum kam langsam in Fahrt, und liess sich vom Geschrei der beiden Sänger und dem hohen Tempo, den schnellen Riffs und Beats mitreissen. Zwei Mutige wagten sich sogar ans Stagediving – bei einem so kleinen Publikum nicht ganz ungefährlich. Verletzte gab’s keine, dafür nur jede Menge zufriedene Gesichter.
Die Musik als Ventil für alle Negativität und alle aufgestauten bösen Energien zu nutzen, scheint für Lygo grossartig zu funktionieren: Trotz dreckigen, unverblümten Textpassagen wie „Leck mich doch am Arsch“ oder „Das ist Akupunktur, mitten in die Fresse“ gaben sich die drei jungen Männer zwischen den Songs bescheiden, nahezu schüchtern und „verschupft“ (Entschuldigung, gibt es dafür ein korrektes deutsches Wort?), stotternd und scheinbar um Worte verlegen. Trotzdem musste die Musik nicht an Authentizität einbüssen, und Pluspunkte für Sympathie sammelte an diesem Abend sowieso jeder auf der Bühne.
Weder Tigeryouth noch Lygo durften ihr Merchandise über die deutsche Grenze nehmen. Das einzige T-Shirt, das es doch irgendwie nach Zürich geschafft hatte, wurde von Lygo verschenkt, wobei die Band fragten, wem die Grösse M wohl passen könnte, und im Anschluss verkündete, sie wolle es gerne derjenigen Person schenken, welche die weiteste Distanz auf sich genommen hatte, um an diesem Abend an ihrem Konzert zu sein. Schnell meldete sich eine junge Frau mit pinken Haaren zu Wort, und nachdem der Rest der Besucher und Besucherinnen ihr Einverständnis gegeben hatte, erhielt diese strahlend ihr T-Shirt.
Gut zwei Stunden, nachdem Tigeryouth sein Set beendet hatte, erhielt er noch einmal die Möglichkeit, die Bühne zu betreten. Gemeinsam sangen sie „Spiritus“ von Lygo und „Mammon“ von Tigeryouth, wobei letzterer wie ein Gummiball über die Bühne hüpfte und Küsschen an die Bandmitglieder verteilte.
Obwohl ihre Aussage „Man soll ja aufhören, wenn’s am Schönsten ist“aus dem Publikum mit «aber es ist doch gar nicht schön!» quittiert wurde, neigte sich die Show dem sicheren Ende zu, als die Band für eine schön inszenierte Künstlerpause die Bühne verliessen, bevor sie für eine Zugabe von zweieinhalb Songs – „weil drei wär’ irgendwie zu lange und zwei schon auch irgendwie sehr kurz“ – nacheinander wieder auftauchten, ihre Instrumente schnappten, und noch einmal gehörig auf den Putz hauten. Weil’s halt so schön war. Wer es auch so schön fand oder aber aus irgendwelchen Gründen verpasste, was sich an diesem Montag im Werk21 abspielte: In zwei Monaten sind Lygo wieder zurück in der Schweiz und bespielen die Gäste des Openair Hallau. „Ein gemütliches Openair im schmucken Rebberg von Hallau, bei dem musikalische Leckerbissen für Jung und Alt auftreten.“ Wo Hallau liegt? Keine Ahnung, aber so gross ist die Schweiz ja nicht, oder?
Text: Sarah Rutschmann