28. Februar 2018
Dachstock – Bern
Bands: Slowdive / Dead Sea
Keine Ahnung, wieso Slowdive so lange nicht auf meinem Radar auftauchten. Wahrscheinlich weil ich damals in den Anfangszeiten des Internets, als Slowdive ihre ersten Platten veröffentlichten, einfach zu jung war, den falschen Plattendealer hatte, oder – und das ist die plausibelste Erklärung – ganz simpel noch nicht bereit war für diese Art von Musik. Und letztes Jahr, ich setzte in London gerade meinen Fuss in den erstbesten Plattenladen an den ich heranlief, wusste ich nach genau zwei Sekunden: Das, was da gerade aus den Lautsprechern sprudelt, das will ich haben. Unbedingt! Es ist eine der Platten geworden, die ich im letzten Jahr richtig gefeiert habe und endlich ergab sich nun die Gelegenheit, Slowdive live zu erleben.
Und so war es dann. De „Grätli“ (das wäre ich) lost „Grätlimusig“ (das wäre dann also Slowdive). Und es gibt nichts, was Slowdive perfekter beschreibt als ihr Bandame. Slowdive beschreibt die Musik, den Groove, die Atmosphäre, das hypnotisch Langsame, den Zustand, in den man hineintaucht und auch wie man dort hin kommt.
Die fünf Musiker türmten in aller Ruhe, unaufgeregt und ohne jede Hektik Klangwolken, Musiknebelschwaden, Ungetüme, Türme und Berge auf. Instrumente und Effekte, übereinandergeschichtet, ineinandergeflochten, verworren und doch miteinander. Minimale Licks der effektgeladenen, verzerrten, mit Hall gemischten und Chorus durchgerührten Gitarren. Getragen vom Bass und einem Drum, welches auch immer mal wieder viel mehr als nur den Takt angab und fast schon die Melodie des Songs erbaute. Eine Orgie der Stompboxes – unglaublich, wie sie zusammen mit den Instrumenten eingesetzt werden. Songs, die sich im Höhepunkt in ein Inferno verwandeln; beim Blick auf die Bühne merkte man aber, dass ausser dem Drummer seit 20 Sekunden keiner der anderen Musiker eine Taste oder eine Saite berührte, dafür die Blicke, Füsse und Hände auf die Effekte gerichtet waren. Shoegazing eben.
Slowdive hatten in ihrem Programm keine einzelnen Höhepunkte, das ganze Set war ein einziger grosser. Trotzdem, nebst „Star Roving“ und „Slomo“, beides Riesensongs von ihrem letztjährigen Album, überzeugten auch die alten Songs wie „Crazy For You“ oder „Alison“ mit ihrem Drive von der ersten Sekunde an. Das Publikum gab sich den hypnotischen Klangteppichen hin, jeder schien in seinem eigenen Meer der Töne zu schwimmen. Als wäre man in einem Boot namens Dachstock, das ganz sanft auf den Wellen schaukelt, bewegten sich die Köpfe der Konzertgänger im Gleichtakt. Die Augen vieler geschlossen, irgendwo in anderen Sphären. Grossartige Visuals unterstützten die Musik, nie übertrieben, nie Überhand nehmend fügten sie sich in die unwirkliche Wirklichkeit ein. Dream-Pop eben.
Slowdive machen sicher nicht die fröhlichste Musik, aber es war genau das, was man sich erhoffte, was man erwartete, wofür man hinging. Die melancholischen Melodien, die hypnotisierenden Wiederholungen, die Ausschweifungen – trotz den ausbrechenden Gewittern immer melodiös – die einen in eine andere Welt entführten, in Zeitlupe eintauchen liessen, ein wenig auf die Seele drückten, so dass man von der Welt umarmt werden wollte. Slowdive eben.
Die junge Pariser Band Dead Sea, die den Abend eröffnete, stand Slowdive diesbezüglich in wenig nach. Ihr – wie sie es selbst bezeichnen – Turbo Chillwave lebte genauso wie Slowdives Sound von seinen vielen Facetten. Elektronischer angehaucht, wohl auch der Besetzung mit Rhythm-Machines statt Drum geschuldet, waren doch immer wieder Parallelen zwischen den beiden Acts des Abends erahn-, hör- und sichtbar, ohne aber an Eigenständigkeit zu verlieren. Ein wunderbarer Match, diese beiden Bands. Übrigens soll in etwa zwei Monaten ein erstes Album von Dead Sea erscheinen. Man darf gespannt sein. Ich denke, das kommt gut!
Text: Mischa Castiglioni
Fotos: Nicole Imhof