9. Oktober 2017
Im Gespräch mit: John Humphrey von Seether
Millionenfache Alben- und Singleverkäufe sowie Topplatzierungen in den US-Charts – die Rede ist von der südafrikanischen Post-Grunge-Band Seether. Nach ihrem letzten Album „Isolate And Medicate“ im Jahr 2014 haben sich die Jungs zurück ins Studio begeben und präsentieren nun ihr neuestes Werk „Poison The Parish“, welches am 12. Mai 2017 veröffentlicht wurde. Am 9. Oktober gastierten Seether im Zürcher X-Tra, um auch die Schweiz in den Genuss ihres grandiosen neuen Albums kommen zu lassen.
Wir trafen Schlagzeuger John Humphrey (47) vor seinem Gig in Zürich zum Interview.
Andrea: Hallo John, herzlich Willkommen in Zürich! Was gefällt dir hier besonders?
John Humphrey: Zürich ist eine tolle Stadt. Aber das wirklich Coole hier, und das gilt auch für weitere europäische Städte, sind die Fans. Sie sind es, welche die Tour ausmachen. Die Shows sind toll! Anders als in Amerika geht es nämlich nicht darum, ob deine Single populär im Radio ist.
Spürt ihr diese Unterschiede zwischen Europa und den USA auch bei euren Liveshows?
Ja, irgendwie schon. Hier in Europa gewinnst du die Fans fürs Leben. Du hast sie für immer und sie sind sehr loyal. Das ist es, was mir an Europa so gefällt. Die europäische Begeisterung ist nicht dieselbe wie die amerikanische. Viele Leute dort sehen es als selbstverständlich, dass in den USA viele Konzerte gespielt werden. Hier in Europa ist das anders. Das Publikum in Europa zeigt sich glücklich und begeistert über die Shows. Das ist natürlich auch für uns toll zu sehen!
Wenn du eine Stadt wärst, welche wäre das und warum?
Ich glaube, ich wäre meine Heimatstadt Oklahoma City. Ich bin Amerikaner, unser Sänger Shaun Morgan (38) und unser Bassist Dale Stewart (37) hingegen kommen aus Südafrika. Wir sind alle sehr weltgewandt und gleichzeitig auch sehr gerne zuhause. Ich denke, das beschreibt auch mich am besten. Ich bin kein West Coast-California-Hollywood-Typ – und ich wäre auch nicht New York City. Zuhause habe ich eine Frau und zwei Kinder. Deswegen, und weil ich die Stadt sehr liebe, wäre ich definitiv Oklahoma City.
Du sagst, du hast eine Frau und zwei Kinder: Wie machst du das, wenn du auf Tour bist? Du siehst sie ja nicht oft …
Nun, da muss ich meiner Frau Jennifer danken. Sie ist wirklich einzigartig und auch sehr unabhängig. Wenn ich auf Tour bin, kümmert sie sich um das Haus und um unsere Familie. Sie unterstützt mich, wo immer sie kann. Wir sind seit der Highschool zusammen. Jennifer weiss daher, dass Musik zu machen schon immer mein Traum war. Dank ihr kann ich sowohl eine Familie haben, als auch als Musiker tätig sein. Die Leute fragen immer: „Was vermisst du am meisten, wenn du unterwegs bist?“ Da kann ich nur sagen, es ist ganz klar die Familie. Verständlicherweise ist es hart, von der Familie getrennt zu sein, aber gleichzeitig liebe ich auch, was ich tue. Ich liebe es, Musik zu machen und auf der Bühne zu sein, auch heute Abend im X-Tra. Ich bin froh, dass ich beides in meinem Leben habe.
Sprechen wir nun über euer neues Album „Poison The Parish“. Es klingt härter als eure letzten Scheiben und führt musikalisch gar etwas zurück zu den Wurzeln von Seether. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass wir die Freiheit hatten, das Album selber zu produzieren. Unser Sänger Shaun hat diese Aufgabe übernommen. Wir haben echt viel von unseren vorherigen Produzenten gelernt. Ein Musikproduzent ist wie der Direktor eines Films. In unserem Fall wurde er zum vierten Mitglied der Band. Man vertraut ihm total und er soll dir ehrlich sagen, ob er den Song gut oder schlecht findet. Dennoch denke ich, dass wir uns selber immer noch am besten kennen. Als wir beschlossen, unser Album selber aufzunehmen, haben wir auch den Entschluss gefasst, wieder zu unseren Wurzeln zurückzufinden. Wir sind eigentlich eine gitarrenlastige Band, dementsprechend sollte also auch unser Sound klingen!
Also wäre das Album anders herausgekommen, wenn ihr einen externen Produzenten beigezogen hättet?
Ich denke schon, ja. Ich meine, wir haben grossen Respekt vor den Produzenten, mit denen wir bereits zusammengearbeitet haben. Brendan O’Brien zum Beispiel. Mit ihm haben wir schon zwei Alben produziert, „Holding Onto Strings Better Left To Fray“ (2011) und „Isolate And Medicate“ (2014). Er ist super talentiert und ein echtes Genie. Von ihm haben wir viel gelernt. Aber selbst wenn der Respekt vorhanden ist, immer einig ist man sich nicht. Er hat eine Vision, wie das Album herauskommen soll und auch die Band hat eine. Manchmal geht das dann hin und her, nicht direkt in einem Streit oder so. Aber trotzdem, vielleicht ist dann das Album nicht hundertprozentig das, was sich die Band ursprünglich vorgestellt hat. Bei „Poison The Parish“ ist das nun anders.
Warum habt ihr euch bei diesem Album überhaupt zur Selbstproduktion entschieden?
Ich glaube, es geschah genau deshalb. Unsere vorherigen Alben waren einfach keine „100 Prozent“-Alben, die den kompletten und ungefilterten Seether-Sound ohne Inputs vom Label oder Produzenten rüberbrachten. Nach so vielen Jahren voller Erfahrungen und Touren hat uns das Label Gott sei dank einfach machen lassen – und wie man hört, ist es gut herausgekommen.
Also bist du mit dem Ergebnis zufrieden?
Absolut, ja! Wir selbst sind unsere härtesten Kritiker und zugleich auch unsere grössten Fans. Und ich denke, das ist eine gute Herangehensweise für unser Songwriting. Wir sind immer sehr aufgeregt, unsere Arbeit den Leuten präsentieren zu können und das motiviert uns. Wir lassen uns während dieses Prozesses nicht beeinflussen und denken: “Hm, lass uns den Song doch anders spielen.“ Bevor jemand unsere Musik zu hören bekommt, hat sie bereits unsere eigene Qualitätskontrolle bestanden und damit trägt sie auch das Gütesiegel von Seether.
Gestaltete sich der Aufnahmeprozess durch die Selbstproduktion eher einfacher oder komplizierter als bei Aufnahmen mit einem externen Produzenten?
Es war überraschend einfach. Shaun, der die meisten Texte schreibt, hat in seinem Home-Studio echt hart gearbeitet und so einige Demos aufgenommen. Dale und ich sind dann zu ihm nach Nashville geflogen, wo wir uns als Band in einem kleinen Proberaum zusammensetzten, an den Songs feilten und sie einstudierten. Danach ging es nur noch darum, ins Studio zu gehen und die Songs aufzunehmen. Weil wir alle Tracks bereits im Vorfeld ausgewählt und besprochen hatten, waren wir in weniger als zwei Wochen mit den gesamten Aufnahmen fertig.
Wird euer nächstes Album auch wieder eine Eigenproduktion?
Ich wäre auf jeden Fall dabei. Aber ich könnte auch genauso gut wieder mit dem Produzenten Brendan O’Brien zusammenarbeiten. Ich traue uns zu, genügend kompetent zu sein, um unsere eigene Musik auf die Beine zu stellen und alles selbst zu machen. Ich weiss nicht, ob ein Produzent gebraucht wird, es kommt ganz darauf an, ob wir etwas Neues probieren oder lieber eine direkte und objektive Meinung auf unsere Arbeiten erhalten möchten. Es gibt Vor-und Nachteile bei beiden Varianten.
Welcher Song von „Poison The Parish“ gefällt dir am besten?
Das wäre dann wohl „Stoke The Fire“. Es ist einfach der erste Song, den du auf dem Album hörst und ich denke, er fasst die ganze Scheibe sowie unsere Mentalität am besten zusammen. Wir werden den Song auch als neuen Show-Opener verwenden. Bis jetzt war das immer „Gasoline“. Wir haben zwar versucht, andere Tracks als Opener zu verwenden, doch keiner eignete sich dafür besser als „Gasoline“ – bis „Stoke The Fire“ kam. Endlich haben wir einen neuen Opener! (lacht)
Und welchen Song spielst du momentan am liebsten live?
Das ist auch „Stoke The Fire“ – aber nur unter den neuen Tracks! Von den alten Titeln ist es „Remady“. Wenn du jemandem beschreiben müsstest, was Seether ist, dann solltest du ihm diesen Song zeigen.
Clint Lowery, Gitarrist bei der Band Sevendust, begleitet euch aktuell auf eurer Tournee. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Sevendust haben gerade ihre Tour beendet. Shaun hat Clint daraufhin angesprochen: „Schau, wir suchen gerade einen Gitarristen, der uns auf Tour begleitet. Wir möchten nicht nur irgendeinen von diesen LA-Typen engagieren. Hättest du Lust darauf?“ Und Clint war sofort Feuer und Flamme dafür. Er ist ein echt toller Gitarrist und Sänger!
Könnt ihr euch vorstellen, dass euch Clint als festes Mitglied bei Seether erhalten bleibt?
Wir lassen das ganz darauf ankommen. Immerhin ziehen sich Sevendust im November ins Studio zurück, um an einem neuen Album zu arbeiten. Demzufolge rechne ich damit, dass sie sich im nächsten Frühling wieder auf Tour begeben werden. Er hat uns auf dieser Tour super ergänzt und gehört sozusagen bereits zur Familie. Ich kenne ihn bereits seit 20 Jahren und wir alle würden ihn als neues Bandmitglied sofort willkommen heissen. Natürlich würden wir nie wollen, dass er Sevendust für uns verlässt. Aber vielleicht besteht ja die Möglichkeit, dass er in beiden Bands mitwirken könnte. Mal sehen, was sich ergeben wird.
Im Juli fand das von euch ins Leben gerufene “Rise Above Fest” bereits zum fünften Mal statt. Das Festival thematisiert die Prävention von Suizid und bietet jedes Jahr viele musikalische Highlights, aktuell beispielsweise von Korn, Stone Sour und Halestorm. Was ist euer Fazit zum diesjährigen “Rise Above Fest”?
Es war der absolute Hammer! In diesem Jahr zog sich das Festival zum ersten Mal über zwei Tage hinweg. Es wächst von Jahr zu Jahr immer mehr, das haut uns echt aus den Socken! Suizid ist ein Thema, welches in unserer Gesellschaft noch immer zu wenig gewichtet wird. Doch ich denke, die Zeit ist reif, dass die Menschen nun doch darüber sprechen können und auch wollen. Mit dem “Rise Above Fest” setzen wir ein Zeichen. Es ist eines der grössten, wenn nicht sogar das grösste Festival in den USA, welches sich der Suizid-Prävention widmet. Darauf sind wir natürlich sehr stolz!
Wie habt ihr reagiert, als ihr von dem tragischen Tod eurer Musikerkollegen Chris Cornell und Chester Bennington gehört habt?
Die tragische Ironie daran ist, dass sich Chris Cornell am selben Wochenende das Leben nahm, als das “Rise Above Fest” stattfand. Es war so verrückt … Als wir einst mit Audioslave auf Tour waren, stand Shaun jeden Abend mit Chris Cornell auf der Bühne und performte mit ihm den Song “Fell On Black Day”. Wir waren so erschüttert, als wir von seinem Selbstmord erfahren haben. Ein enormer Verlust für die Musikwelt! Mit dem tragischen Ableben von Chris Cornell und natürlich auch dem von Chester Bennington sind zwei grossartige Sänger und Musiker verstummt. Es ist wirklich sehr traurig und eine ernstzunehmende Epidemie. Ein Paradebeispiel zweier Musiker, die an der Spitze ihrer Karriere standen und deren Leben so tragisch endete.
Deswegen ist es auch umso wichtiger, dass ihr euch diesem Thema annehmt und darauf aufmerksam macht.
Ganz genau. Besonders wichtig sind Organisationen, bei denen Menschen die Möglichkeit haben anzurufen, um mit jemandem über ihre Probleme zu sprechen. Bereits das Gespräch mit einer Person kann sehr viel bewirken und ermöglicht vielleicht einen Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit, die diese Menschen umgibt.
Definitiv. Das ist eine grossartige Leistung von euch – vielen Dank dafür! Kommen wir nun jedoch zu einem anderen Thema: Du spielst bestimmt schon lange Schlagzeug. Wie lange schon?
Ja! Seit ich etwa 13 Jahre alt war.
Wie hast du deine Fähigkeiten am Schlagzeug seither verbessert?
Ich habe sehr viel geübt. Neulich habe ich auf Youtube ein Video von einem sechs Jahre alten Jungen gesehen – der hat das Ding einfach gerockt! Wenn ich dabei so an meine ersten Hiebe auf dem Schlagzeug zurückdenke, war ich damals meilenweit von dem Können dieses Jungen entfernt. Zu dieser Zeit gab es noch kein Youtube mit Tutorial-Videos, da musste ich meine Lieblingssongs noch vom alleinigen Zuhören nachspielen. Natürlich dauerte das viel, viel länger, bis ich schliesslich zu den Songs mitspielen konnte. Zum Glück wurde mir ein wenig Taktgefühl in die Wiege gelegt. Aber wie gesagt, ich musste hart üben! Man sagt ja, bis man sein Instrument richtig beherrscht, braucht es mindestens 10’000 Stunden. Und diese Stundenanzahl habe ich vermutlich mindestens auch gebraucht.
Mein Sohn beispielsweise ist 18 Jahre alt und spielt ebenfalls Schlagzeug. Und nein, ich habe ihn nicht dazu gedrängt, das war seine eigene Entscheidung! Er ist ein echt guter Schlagzeuger und bereits viel weiter, als ich selbst es in seinem Alter war. Ich denke, Youtube spielt dabei eine wichtige Rolle. Du kannst dir fünf Videos von fünf verschiedenen Musikern anschauen, die dir in zehn einfachen Schritten erklären, wie du einen schwierigen Song lernen kannst. Somit verfügt man über bessere Lernquellen und macht gleichzeitig schnellere Fortschritte im Lernprozess.
Was sind eure nächsten Pläne?
Touren, touren und touren! Wenn wir unsere Europatour beendet haben, geht es zurück in die Staaten, wo bereits die nächsten Shows auf uns warten. Danach machen wir erstmal ein wenig Ferien. Im Januar spielen wir dann auf dem Shipped Rocked Cruise, darauf freuen wir uns sehr! Wir haben uns auch bereits überlegt, im nächsten Frühling/Sommer für die grosse Festivalsaison wieder nach Europa zu kommen. Leider konnten wir dieses Jahr nicht daran teilnehmen, deshalb hoffen wir nun, dass es 2018 klappt. Also seid aufmerksam und checkt die Tourdaten! Ich bin sicher, wir werden unseren Weg auch wieder in die Schweiz finden.
Vielen Dank für das spannende Interview, John! Wir wünschen euch viel Erfolg bei euren zukünftigen Shows!
Interview: Andrea Germann