3. Oktober 2017
Werk21 – Zürich
Bands: Dave Hause & The Mermaid / Paceshifters / The Homeless Gospel Choir / Frank Iero And The Patience
Zürich zeigt sich von seiner schönsten Seite: Nach einem regnerischen Morgen taucht die Herbstsonne alles in goldenes Licht, und die Schwäne der Limmat putzen sich heraus, um sich bei den vielen Spaziergängern ein paar Stücke Brot zu ergattern. Gerade passend, da einige der ausländischen Besucher zum ersten Mal in der Stadt der Gegensätze, der Museen und Banken zu Gast sind. Der Herbst zeigt sich aber auch von seiner dunklen Seite, indem die Sonne kurz nach sieben schon zu verschwinden beginnt. Dies ist an diesem Dienstagabend ein Pluspunkt, denn Paceshifters, eine junge Band aus den Niederlanden, liefert einen Eröffnungsauftritt, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Während die Studioversionen ihrer bereits veröffentlichten Songs ziemlich abgeschliffen und poppig klingen, so zeigen sie sich auf der Bühne von ihrer rohen, wilden Seite. Sogar das Nirvana-Cover sitzt.
Derek Zanetti aka The Homeless Gospel Choir verzaubert das Zürcher Publikum mit seiner unglaublich sympathischen, ehrlichen und gleichzeitig auch witzigen und komischen Show von Beginn an. Mit Hornbrille, geblümtem Hemd und Akustikgitarre gelingt es ihm im Nu, die Herzen der Besucher zu erobern. Es wird einem warm bei den Worten des 34-jährigen aus Pittsburgh, Pennsylvania, und Lachen bei einem Punkkonzert hat sich noch nie so gut angefühlt. Mit Songtexten wie „40 ounces to freedom is a horrible record, and I hate sublime, and I hate Fleetwood Mac too – but I can like you, even though your musical preference is shit” oder Ankündigungen wie „Als ich jung war, war ich verzweifelt auf der Suche nach einer Familie, einer Gemeinschaft (…) Ich habe versucht, zur Kirche zu gehen, aber dort wurde mir nur gesagt, ich sein ein Sündiger – naja, also war das irgendwie auch nichts“ schafft Derek Zanetti eine Atmosphäre der Freundschaft, Akzeptanz und Zuversicht unter der bunt durchmischten Schar, die sich im Keller des Dynamos eingefunden hat, um einen Abend lang die diversen Facetten des Punks zu geniessen.
Wie gebannt scheint jeder an seinen Lippen zu hängen, denn Derek Zanettis Worte sind Balsam für die Seele. Der Tod Tom Pettys scheint dem Künstler nachzugehen, und er fordert das Publikum zu einem Moment der Stille auf, in Gedenken an wen auch immer sie verloren haben. Und, was ich bei Konzerten noch nie erleben durfte: Es funktioniert. Wer nach dem leider sehr kurzen Set noch ein paar Worte mit der Einmannshow wechseln möchte, findet The Homeless Gospel Choir später beim Merchandise wieder, wo er eifrig und mit unglaublich guter Laune sowohl sein eigenes wie auch das Zeug der anderen Künstler unter das Volk bringt.
Pünktlich um 20:40 Uhr wird es dunkel auf der kleinen Bühne, während ein Intro die nächste Band ankündigt: Frank Iero And The Patience, die Band mit und um Frank Iero, lässt die Stimmung ins Negative kippen. Bei Lyrics wie „I gave up on giving up and lost myself a bit trying to be a ghost” und “It’s not a surprise I got so good at fucking up. I wish someone would tell me this isn’t really happening, no one came to save me”, wird einem schwer ums Herz und man fühlt sich zurückversetzt in die düsteren Kapitel der eigenen Vergangenheit. Doch auch dies ist, zumindest ein bisschen, ein schönes Gefühl – denn in diesem Raum voller Menschen ist man zumindest nicht alleine damit. Und genau dafür soll Musik schliesslich da sein. Die Songtitel mit Namen wie „Vein! Veins!! Veins!!!“, „They Wanted Darkness“ oder „I’m A Mess“ haben nichts mit der Ironie und des Humors von The Homeless Gospel Choir gemeinsam, ausser dass sie ebenfalls verflucht ehrlich sind. Die Wortwahl des schwitzenden und spuckenden Frank Iero ist rau und komplett unjugendfrei – und dies, wie ich bei einer gemeinsamen Liftfahrt mit dem Gitarristen feststellen durfte, nicht nur auf der Bühne – doch er spricht Themen an, die wohl nicht bei Kaffee und Kuchen besprochen werden. Und dafür kann man sich dankbar zeigen. Mit auf der Bühne ist seine Thermostasse mit Tee, die ihn auf Tour überall hin zu begleiten scheint.
Mit My Chemical Romance, der Band, die den Gitarristen und Sänger bekannt gemacht hat, spielte Frank Iero bereits in Zürich, wenn auch dies schon über 6 Jahre her ist. Seit sich die Band vor über vier Jahren aufgelöst hat, sind zwei Soloalben des ehemaligen Gitarristen und Backgroundsängers erschienen – „Stomachaches“, geschrieben in seinem Keller, von ihm alleine eingespielt (mit Ausnahme des Schlagzeuges) und nur zufälligerweise veröffentlicht, und dessen Nachfolger „Parachutes“, erschienen vor einem Jahr. Zu „Stomachaches“-Zeiten nannte sich Iero und Liveband noch „frnkiero andthe cellabration“, seit „Parachutes“ treten sie unter dem Namen Frank Iero And The Patience auf. Nebst My Chemical Romance war Frank Iero auch noch an Projekten wie Death Spells oder Leathermouth beteiligt und schrieb einzelne Songs, wie auch „This Song Is A Curse“, anzutreffen auf dem Soundtrack des Films „Frankenweenie“ von Tim Burton.
Auf der Bühne gibt die Band Songs beider Alben zum Besten, ausserdem eine kleine Auswahl der EP „Keep The Coffins Coming“, die am 22. September dieses Jahr erschienen ist und im Nu vergriffen war. Und obwohl der Gesang nur schwer verständlich ist und die Melodien alles andere als eingängig sind, ist im Publikum der eine oder andere Mund zu beobachten, der die Worte mitformt. Trotz fleissiger Zurufe aus dem Publikum beenden Frank Iero And The Patience ihr Set ohne Zugabe. Pluspunkt.
Letzter Act des Abends ist Dave Hause & The Mermaid, die Band um Gitarrist und Sänger Dave Hause aus „Philly“, Pennsylvania. Mit ihren poppigen, leicht zugänglichen Dreiakkordsongs lassen sie die Stimmung noch einmal kippen. Die Musik des 39-jährigen Singer-Songwriters lässt sich leicht mitsingen und nach der schweren Kost des vorherigen Konzertes tut es gut, auch die leichten Seiten des Lebens zu besingen. Vor dem Konzert durfte ich den sympathischen Amerikaner von seiner ruhigen und selbstreflektierten Seite kennenlernen – auch wenn er bei der zuvor schon erwähnten Liftfahrt mit Frank Iero gezeigt hat, dass auch er eine Menge schmutziger Worte kennt. Und dass Geografie wohl nicht gerade seine Stärke ist. Live wird Dave Hause, der bereits mit diversen Künstlern zusammengearbeitet hat, unter anderem von seinem Bruder Tim Hause unterstützt, der ihm erstaunlich ähnlich sieht. Mit dabei ist auch Kayleigh Goldsworthy, „mermaid of keys and guitar“, die mit ihrer Stimme eine tolle Ergänzung zu dem ansonsten männerlastigen Abend bietet.
Dave Hause unterbricht einen seiner ruhigen Songs, um eine wichtige Ansage zu machen: „He, ihr, die während dem Konzert sprechen müsst: Mir ist das egal, ich spiele diese Songs jeden Abend. Aber da sind Leute hier, die jeden Tag hart arbeiten und sich ein Konzertticket gekauft haben, um Musik zu hören. Also bitte, seid so anständig und tut mir den Gefallen: Wenn ihr Party machen wollt, dann macht das an der Bar.“ Dafür gibt es eine Runde wohlverdienten Applaus – recht hat er. Dass ihn die Ereignisse des vergangenen Tages (Tom Pettys Tod und das Massaker in Las Vegas) ziemlich mitgenommen haben, ist dem Sänger, der schon immer Platz für politische oder gesellschaftskritische Themen in seinen Songs gefunden hat, anzumerken. Und doch ist die Stimmung im grossen Ganzen friedlich und freudig, wobei auch das goldene Licht und der nahezu perfekt abgemischte Sound ihren Teil dazu beizutragen haben. Ein Lob an die Technik an dieser Stelle.
Letzter Song des Abends, die zweite Zugabe – die erste war ein Song des kommenden Albums – ist eine zauberhafte Version des Songs „Learn To Fly“ von Tom Petty – mehrstimmiger Gesang, begleitet von Akustikgitarre und Keyboard. Ein sowohl trauriger wie auch hoffnungsvoller Abschluss eines so vielseitigen Abends.
Text: Sarah Rutschmann