Band: Motorpsycho
Album: The Tower
Genre: Alternative Rock
Label: Rune Grammofon/Stickman
VÖ: 8. September 2017
Website: motorpsycho.no
Meine Freude über die Ankündigung von Motorpsychos nächstem Longplayer war riesig, denn zugegebenermassen bin ich nicht ganz unvoreingenommen. Seit mich die Norweger 1998 mit ihrem Übersong „Vortex Surfer“ in ihren Bann gezogen haben, gehöre ich zu den Psychonauten. Ich kann die Hände von keinem ihrer Tonträger, der mir unter die Augen kommt, lassen, und das sind doch einige: Über 20 Alben – wenn man die Live-Serie, die Kooperationen mit Ståle Storløkken, Jaga Jazzist und vielen weiteren mitzählt, sind es wohl gegen die 30 Langspieler. Dazu kommen unzählige EPs und Singles, welche die Band aus Trondheim rund um Bent Sæther und Hans Magnus «Snah» Ryan seit ihrer Gründung 1989 in ziemlich regelmässigem Abstand produziert.
Dass „The Tower“ schon jetzt erscheint, ist nicht ganz selbstverständlich, denn nach der Tour zu ihrem letzten Album „Here Be Monsters“ gab der Schlagzeuger Kenneth Kapstad im Mai 2016 bekannt, dass er sich vermehrt anderen Projekten widmen möchte und Motorpsycho verlässt. Die Erleichterung der Fans war gross, als im Januar 2017 wurde bekanntgegeben wurde, dass der schwedische Schlagzeuger Thomas Järmyr ab nun fester Bestandteil der Band ist. Eine Umfrage, welche Songs Motorpsycho denn für eine kommende Tour einüben sollten, führte unter den Psychonauten zu Freudentaumeln und einem mit hunderten von Songwünschen überfüllten Forum. Und mit dem Erscheinen des neuen Albums „The Tower“ diesen Freitag ist anzunehmen, dass noch zehn Songs mehr auf der Liste erscheinen werden.
Mit dem Titelsong „The Tower“ zeigen Motorpsycho gleich zu Beginn des Albums, wieso man sie einfach lieben muss: Ein sanfter Einstieg steigert sich, wird mit Bent Sæthers verzerrtem und einzigartigem Bassspiel und Snahs Gitarrensolis zu unbändigem, mitreissendem und definitiv progigem Rock. „Bartok Of The Universe“ ist schon fast Metal – und dann kommt der Refrain, der jedem ein Wippen des Fusses entlockt, weil man sofort lostanzen möchte, nur um immer weiter in die Epik einzutauchen. Die fast zehn Minuten von „Intrepid Explorer“ (Motorpsycho hatten es noch selten mit den kurzen Songs) starten fast schon lieblich, um auf singenden und schwebenden Gitarren in andere Sphären hochzusteigen.
Das melancholische „Stardust“, getragen von Mellotron und zeitweise ganz ohne Schlagzeug, wie auch das ganz im Gegensatz dazu überaus fröhliche „Maypole“ oder der Anfang „In Every Dream Home“ mit seinen Querflöteneinlagen (Ist es denn wirklich eine? Oder welches Instrument haben die Jungs wieder in ihrem Fundus ausgegraben?) erinnern beim ersten Hören stark an die Alben der frühen 2000er wie „Phanerothyme“, „The International Tussler Society“ oder auch „It’s A Love Cult“, ohne diese jedoch einfach zu imitieren. Es ist vielmehr ein Einstieg in eine Weiterentwicklung und Steigerung.
Natürlich können Motorpsycho es nicht lassen, in die Unendlichkeit auszuschweifen. Dies passiert schon zu Beginn der Platte, aber mit „Pacific Sonata“ und „Ship Of Fools“ ist man definitiv mittendrin in dem, was Motorpsycho ausmacht: Songs, die mit ihrer Zerbrechlichkeit und Feinheit und nicht zuletzt auch dank der Dauer und den Ausschweifungen in etwas unendlich Energetisches, Zelebrierendes und Episches übergehen. Wer schon einmal einem Konzert der Norweger gelauscht hat und diese Songs auf Platte hört, der weiss, was da live auf ihn zukommen wird.
Man spürt auf dem neuen Album „The Tower“ förmlich die Energie der Sonne Kaliforniens, wo die Platte aufgenommen wurde. Sie ist voller Überraschungen, es ist eine Zeitreise durch viele Jahre Motorpsycho, ohne sich selbst zu kopieren oder zu imitieren, sondern nur um sich weiterzuentwickeln und aus den bestehenden Mustern auszubrechen. Und trotzdem: Motorpsycho sind und bleiben Motorpsycho, die Songs sind selten fröhlich, meist eher düster, aber man erkennt die Handschrift. Gibt es denn eine? Kann man in einer Entwicklung über bald 30 Jahre bei so vielen Stilrichtungen – angefangen bei Metal über 70ies Psychrock, Progrock, Folk, Country und jetzt noch Anlehnungen an Heavy und Stoner-Rock – eine Handschrift erkennen? Man kann. Es ist die Handschrift der Gitarren, diejenige der sanften bis brüllenden Stimmen, die der einzigartigen und vielfach sehr fragilen Harmonien, der minimalistischen oder überbordenden Drumlinien. Diejenige der Feinheiten und der Feingliedrigkeiten, der unzähligen Instrumente, die sich zurückhaltend im Hintergrund tummeln. Das ist es, was Motorpsycho ausmacht, die Band, bei der man auf jedem ihrer Alben auch beim hundertsten Mal hören überrascht wird und Neues entdeckt. Und es wird sich mit „The Tower“ nicht anders verhalten.
„The Tower“ ist ein grossartiges Soundbauwerk, und dieses darf gerne noch ein bisschen höher werden. Ich freue mich auf das, was Motorpsycho in den nächsten Jahren noch draufsetzen wird!
Tracklist:
1. The Tower
2. Bartok Of The Universe
3. A. S. F. E.
4. Intrepid Explorer
5. Stardust
6. In Every Dream Home
7. The Maypole
8. A Pacific Sonata
9. The Cuckoo
10. Ship Of Fools
Bandmitglieder:
Bent Sæther – Bass, Gitarre und Gesang
Hans Magnus Ryan – Gitarre und Gesang
Thomas Järmyr – Schlagzeug
Gründung:
1989
Text: Mischa Castiglioni