29. Juni – 3. Juli 2016
Sittertobel – St. Gallen
Website: Openair St. Gallen
Das Openair St. Gallen feiert 40 Jahre Jubiläum, wie gewohnt mit schlechtem Wetter und viel Schlamm.
Als ich am Freitagabend ankam, spielte gerade Casper auf der Hauptbühne. Die Stimmung war bereits ziemlich heiter, und ich durfte mich erstmal auf die Suche nach meinem Zelt und Gummistiefeln machen. Denn obwohl am Freitag die Sonne schien, war das Gelände vom Regen am Donnerstag bereits ziemlich durchnässt und schlammig. Gerade noch schaffte ich es zu den letzten Songs von Ratatat, der Indietronic Band aus New York. Schnell komme ich in Festivallaune, denn die Jungs heizen ganz schön ein.
Danach ging’s gleich weiter mit Deichkind. Zum guten Glück schafften sie es, ihr Equipment, das eine Woche zuvor beim Sturm am Southside Festival in Deutschland beschädigt wurde, wieder zu reparieren. Die Show ist bei der Band die halbe Miete, denn die Songs sind sehr monoton und wer auf musikalische Feinheiten hofft, ist hier klar fehl am Platz. Stumpfe Lyrics, repetitive Beats und raptechnisch nicht auf höchstem Niveau. Den Leuten gefällt’s, mir nicht wirklich. Lag aber vielleicht auch am fehlenden Alkoholpegel. Deswegen schaute ich noch kurz bei Bubble Beatz rein, die ihr letztes Heimspiel absolvieren. Nach 17 Jahren löst die Band sich auf. Diese Erfahrung konnte man hören, denn das Trommelduo war bestens eingespielt.
Am Samstagmorgen schaute ich kurz beim Soundcheck von Radiohead vorbei. Laut Angaben eines Mitarbeiters kamen sie mit fünf Schleppern an, und das sah man auch. Einige Hardcore-Fans aus Italien warteten bereits vor der Bühne. „It’s a hard job, but someone has to do it.“ – So einer der Wartenden.
Um 12.45 Uhr eröffneten die beiden Genferinnen von The Chikitas die Sternenbühne. Laute Drumbeats mit rotzigem Gitarrensound und lauter Stimme. Ja, so weckt man ein noch verschlafenes Festivalpublikum auf! Um diese Uhrzeit bereits mit solch einer Energie zu spielen ist definitiv nicht einfach. Respekt dafür!
Nach einer kurzen Pause schaute ich mir Adam Angst an. Ich kannte ihn vorher nicht, und war auch nicht sonderlich begeistert. Teenie-Pop verkleidet in punkigen Gitarrenriffs – nicht so mein Ding. Das Publikum wurde auch eher von den jüngeren Besuchern dominiert. „Der schaut aus, als hätte er bei DSDS gewonnen“, so einer der Zuschauer. Die Show wirkte auf mich doch etwas zu fest aufgesetzt, deswegen ging ich weiter zum nächsten Act, Joris. Der deutsche Singer-Songwriter spielt souverän mit einer gut klingenden Band und kann das Publikum mitreissen, das muss man ihm lassen. Mir persönlich etwas zu poppig, deswegen bleibe ich nicht lange.
Das Singersongwriter-Line-Up des Samstagnachmittags wird durchbrochen mit der schwedischen Hardcore Punk Band Refused. Brachial und saugut!
Eine Überraschung für mich waren die Newcomer Blossoms. Sphärische Klänge, eine gute Stimme und interessante Songs. Von ihnen wird man hoffentlich noch mehr hören. Um 18.45 Uhr gings dann los mit AnnanMayKantereit. Das Wetter verschlechtert sich mehr und mehr, der Regen schien nicht mehr aufzuhören. Die Jungs sehen sehr bodenständig aus, simple Kleider und ruhige Präsenz auf der Bühne. Die Stimme des Sängers Henning May verzaubert die mehrheitlich weiblichen Zuschauer und auch spätestens beim Beatles Cover „Come Together“ hatten sie auch mich. Starke Band!
Nach ihrem Auftritt löst sich die Menge wieder auf und ich schnappe mir einen Platz in der zweiten Reihe, direkt hinter den seit dem frühen Morgen wartenden Italienern, wo ich bis Ende des Abends auch verharrte. Das Warten war nicht einfach, der Regen wurde stärker. Caribou spielten um 20.45 Uhr. Schon 2012 waren sie vor Radiohead auf der Bühne, die Band überzeugten mit ihrer ruhigen elektronischen Musik. Schön war auch die Aufstellung, denn sie standen allesamt sehr nah zusammen auf der grossen Sitterbühne und schufen so eine schöne und sehr intime Stimmung.
Danach gings weiter mit Radiohead, den eigenwilligen Briten, die im Juni ihr letztes Album herausbrachten. Sie waren wohl der umstrittenste Act des Festivals, denn bei der Bestätigung waren auf Facebook viele negative Kommentare zu hören. „Die kennt doch niemand!“, „viel zu langsam, da schläft man ja ein“, „nicht headlinertauglich“. Wer Festivals wie das Glastonbury, Sziget oder Coachella headlinen kann, der kann das garantiert auch in St. Gallen.
Und wie sie das konnten! Die Briten starteten mit ihrer neuen Single „Burn The Witch“ und hatten mich vom ersten Moment an gepackt. Sänger Thom Yorke blieb sparsam mit den Ansagen, wirkte aber dennoch sehr geöffnet zum Publikum. Die Stimmung in den vorderen Reihen war phänomenal. Es wurde lautstark mitgesungen, denn sie spielten viele ihrer bekannteren Songs wie „Paranoid Android“, „Street Spirit“ und „2+2=5“. Der Beginn des Sets war geprägt von ruhigeren Songs des neuen Albums, gegen die zweite Hälfte wurde es dann lauter.
Schöne persönliche Höhepunkte waren Songs wie „No Surprises“, „Exit Music (For A Film)“ oder „Pyramid Song“, der ebenfalls Thom Yorkes Favorit ist. Leute, die nur „Creep“ kannten wurden enttäuscht. Denn obwohl sie auf ihrer Tour auch wieder Songs des ersten Albums „Pablo Honey“ spielen, liessen sie dieses in ihrem Set komplett aus. Satte sieben Songs brachten sie als Zugabe, mehr als zwei Stunden spielten sie auf der Bühne und schlossen das Konzert mit ihrem Hit „Karma Police“ ab. Es gibt kaum Bands, denen ich mehr als eine Stunde zuhören kann, ohne dass es mir irgendwann etwas langweilig wird. Radiohead gehören dazu. Definitiv mein persönliches Highlight des Openairs!
Gleich im Anschluss gab’s das Jubiläumsfeuerwerk, das ich aber verpasste, weil ich noch vor der Bühne stand. Nach Aussagen anderer Festivalbesucher war die Stimmung in den hinteren Reihen weniger gut. Die Leute, die nicht begeistert waren, vermiesten den Fans die Freude und viele liefen auch schnell wieder weg. Als ich das hörte, kamen doch einige Fragen auf. Sind sie für den Durchschnittsbesucher zu anspruchsvoll? Auf anderen Festivals funktionieren sie jedoch bestens. Passen Radiohead nicht zum Rest des Line-ups? Möglicherweise, denn das Festival wurde sehr von poplastigen Bands dominiert und so kann es gut sein, dass eine solche Band im negativen Sinne heraussticht. Schade, aber ich hatte meinen Spass.
Am Sonntagmorgen bespielten die Retrorocker The London Souls die Bühne. Nichts weltbewegendes in meinen Augen. Die Musik klang vertraut und es gab keine grossen Überraschungen.
Das Wetter wurde mittlerweile wieder besser, die Sonne brannte und auf dem Gelände begann es, an manchen Stellen stark zu riechen. Deswegen gab’s eine kleine Auszeit an der Sitter. Die Ruhe tat gut, wurde aber vom Schweizer Musiker Bastian Baker durchbrochen. Durchschaubare Arrangements mit unkreativer Phrasierung der Gesangsmelodien. Für mich belangloser Radiopop, es schien aber einigen Leuten zu gefallen. Für diese doch relativ frühe Urzeit war es vor der Bühne doch gut gefüllt.
Ganz stark hingegen war Sophie Hunger, die mit ihrem powervollen Auftreten die Leute überzeugte. Ein kreativer Song wurde vom nächsten abgelöst und sie liess ihren Mitmusikern genug platz, um sich virtuos auf ihren Instrumenten auszutoben. Auch eines meiner Highlights.
Kurz darauf spielte Tom Odell, der spontan für die ausgefallene Jess Glynn eingesprungen ist. Ohne Band, aber auch alleine schaffte es der sympathische Mann, das Publikum mitzureissen. Um 18.00 Uhr traten dann schliesslich Mumford And Sons auf, um das Festival abzuschliessen. Bei kaum einer Band waren so viele Leute vor der Bühne, das Gedränge war gross und deswegen schaute ich von Weitem zu. Kennt man einen ihrer Songs, kennt man sie beinahe alle. Denn Soundvielfalt ist definitiv nicht ihre Stärke. Das Publikum sang kraftvoll mit, und ich machte mich auf den Heimweg, bevor der grosse Aufbruch begann.
Das Openair St. Gallen 2016 ist Geschichte. Das Line-Up bot für mich einige Perlen, trotzdem darf man sich etwas mehr Abwechslung im Programm wünschen. Allerdings ist die Konkurrenz gross und ich kenne die Situation der Booker zu wenig, um gross kritisieren zu können. Vielleicht hat auch die Gage von Radiohead andere Bands nicht mehr zugelassen, weswegen man Kompromisse eingehen musste. Ich weiss es nicht. Trotzdem hatte ich viel Spass und freue mich, frischgeduscht wieder in mein eigenes Bett zu gehen.
Text: Florian Sommer