
Pennywise + Propagandhi + Comeback Kid+ The Iron Roses + Dead Pioneers
X-TRA – Zürich
Sonntag, 19. Mai 2025
Text: David Spring
Wer hätte je gedacht, dass wir einmal am selben Wochenende das Finale des Eurovision Song Contests in Basel und die Rückkehr der Deconstruction Tour in Zürich miterleben dürfen? Unverständlicherweise war der ESC wohl etwas medienwirksamer, doch so schön der Contest auch war, ist das nichts im Vergleich zum Wiederauferstehen dieser legendären Punkrocktour unter neuem Namen! Wer zwischen 1999 und 2006 im livekonzertfähigen Alter war, wird wohlige Erinnerungen an all die grossen Punkbands jener Zeit haben, die in diesem Format durch Europa tingelten. Vergangenen Sonntag nun wurde eine tanzwütige Meute Schweizer Punkrock-Fans im X-TRA Zeuge dieser glorreichen Wiederbelebung, als gleich fünf fantastische Bands bei uns Halt machten. Mit einem im Vergleich zu damals etwas abgespeckten, aber dennoch grossartigen Line-Up, das für jeden Geschmack etwas bot, war ein lauter, heisser Abend garantiert.
Den Auftakt machten Dead Pioneers aus Denver, Colorado. Der zerebrale Hardcore mit Spoken Word Passagen brauchte etwas, um beim Publikum anzukommen. Die Band wirkte zu Beginn etwas ausgelaugt, aber es war auch erst 17 Uhr an einem Sonntagnachmittag und gemütlich war darum völlig okay. Die Stimmung kam zunehmend auf, insbesondere dank Frontmann Gregg Deal, der emotionale Einblicke in das Leben indigener Stammesangehöriger in den USA gewährte und mit seiner rastlosen Performance einheizte. Besonders rührend: Als er kurz seinen Sohn anrief, der sich das Schlüsselbein gebrochen hatte und ihm den nächsten Song widmete. Wir wünschen gute Besserung und gehen mit Mr. Deal Jr. einher, dass das abschliessende «Bad Indian» ein fantastischer Track ist. So wurde im X-TRA bereits zu früher Stunde ordentlich abgegangen und die Reconstruction Tour 2025 damit lautstark und offiziell eröffnet!

Als nächstes standen The Iron Roses auf dem Plan und damit quasi Deconstruction-Veteranen, zumal Natasha Grays alte Band Boysetsfire gerngesehene Gäste in diesem Punkrock-Zirkus waren. Ihre neue Formation erkundet melodiösere, punkigere Pfade, was beim Publikum augenscheinlich hervorragend ankam. Der gut gelaunte Sound und die unbändige Energie der Band liessen die Temperaturen rasch eskalieren. Ziemlich einzigartig ist natürlich die Tatsache, dass sich Gray die Vocals mit Becky Fontaine teilt, was den abwechslungsreichen Songs eine weitere spannende Ebene hinzufügt. Harte Shouts, fröhliche Ska-Offbeats und schnelle Punkriffs verschmelzen zu einem unverschämt eingängigen Ganzen. Da zeigt sich mal wieder: Eine starke Frontperson ist super – zwei sind besser! Vor dem letzten Song gab es eine wunderschöne Liebeserklärung an die Musik, die uns in schwierigen Zeiten zusammenbringt und die Community stärkt. Einfach schön und so überraschte es kaum, dass am Ende nochmals alle alles gaben, um The Iron Roses gebührend zu feiern.

Dann war es Zeit für ein grosses Highlight: Comeback Kid! War die Stimmung bisher ausgelassen, wurde nun ein paar Gänge höher geschaltet. Der brachiale Sound der Band aus Winnipeg war genau, was der Abend brauchte. Sänger Andrew Neufeld sprang wie ein Duracell-Häschen über die Bühne, nutzte die von Fotograf:innen gefürchtete Treppe, um mit der ersten Reihe auf Tuchfühlung zu gehen und hatte das Publikum voll im Griff. Positiv fiel auf, dass er die obligatorischen Circle-Pit-Aufrufe auf ein Minimum beschränkte, da das beim überaus tanz- und moshfreudigen Publikum ohnehin nicht nötig war. Viel wichtiger war die Musik, und mit dieser überzeugten Comeback Kid auf ganzer Linie. Der wilde Mix aus Hardcore und eingängigen Melodien passte perfekt ins Lineup und liess die Fäuste in die Luft fliegen und das Publikum durchdrehen. Natürlich durfte das epochale «Wake The Dead» nicht fehlen, entsprechend glanzvoll legten die Kanadier mit diesem Überhit den Saal in Schutt und Asche. Genau so muss Hardcore: volle Power, schweissgetränkt und immer kollektiv.

Die nächsten Zeilen werden etwas weniger sachlich, denn nun kam der Hauptgrund, weshalb ich überhaupt den Weg nach Zürich auf mich genommen hatte: Propagandhi! Die Legenden aus der Weltstadt Portage La Prairie im Kanada zeigten sich schon vor dem Auftritt als unprätentiöseste Band des Abends: Sie bauten selbst auf, machten auch den Soundcheck gleich selbst und legten ohne Intro oder sonstiges Trara mit «Failed Imagineer» einfach los. Und was soll ich sagen? Diese Band ist einfach perfekt! Chris Hannah, mit der Gitarre unter dem Kinn und in knappen Shorts, verkörperte mehr Punk als die Punkpolizei je erlauben könnte, Sulynn Hago war pure Coolness und spielerische Perfektion, Todd Kowalski mischte kindliche Spielfreude mit wütender Systemkritik und Jord Samolesky föhnte uns die Ohren so durch, dass es eine wahre Freude war. Mit «The Only Good Fascist Is A Very Dead Fascist» war auch gleich klar, wo der Hammer hing, denn das sollte heute eine heftige Angelegenheit werden. Man sah dem Publikum an, wer mit Propagandhi vertraut war und wer nicht, die Unterschiede zwischen leicht verwirrten Blicken und bedingungslosem Abgehen waren nämlich äusserst amüsant zu beobachten.
Der Fokus des Sets lag auf neuen Songs wie «Rented P.A.», «Cat Guy» und dem herausragenden Titeltrack «At Peace», doch auch Klassiker wie «Back To The Motor League» und «…And We Thought That Nation-States Were A Bad Idea» fehlten nicht. Natürlich reichte die Zeit mit 45 Minuten Spielzeit bei Weitem nicht aus, um dem umfangreichen Repertoire gerecht zu werden. Umso mehr galt «less talk, more rock» – abgesehen von einer eindringlichen «Free Palestine»-Ansage von Todd, die grossen Applaus erntete. Mit dem genialen «Victory Lap» und dem vernichtenden «Night Letters» war mein Konzert des Abends leider schon wieder vorbei. Propagandhi sind und bleiben eine Macht – hoffentlich sehen wir sie bald wieder, idealerweise als Headliner.

Doch fertig war die Reconstruction Tour 2025 damit ja noch lange nicht, denn nun kamen Pennywise, eine der legendärsten und umtriebigsten Bands der US-Punkszene. Mit «Wouldn’t It Be Nice» und «My Own Country» ging es sofort zur Sache. «Rasant» wird der Sache dabei kaum gerecht, denn es ist nach wie vor schier unglaublich, wie schnell die ihre Songs spielen. Seit fast 40 Jahren hämmern die Kalifornier ihre Hymnen raus und das Publikum im X-TRA war sofort dabei. Wirklich beachtlich, wie gefühlt alle, die irgendwie mit Punk und Hardcore etwas am Hut haben, sich mit dieser Band anfreunden können. Und ja, Abwechslung ist bei Pennywise eher Fehlanzeige, aber genau das ist auch ihre Stärke: Volle Energie, keine Schnörkel, 200 Prozent Leidenschaft. Du weisst ganz genau, was du bekommst, das funktioniert hier seit jeher am besten.
Abwechslungsreich war der Auftritt trotzdem, vor allem dank der mitunter hanebüchenen Ansagen zwischen den Songs. So fragte Sänger Jim Lindberg, ob viele Eltern im Publikum seien und ob sie ihre Kinder mitgebracht hätten. Es war herzerwärmend, wie viele Hände sich hoben. Ebenfalls amüsant war, wie sich die Band ausgiebig über NOFX lustig machte und darüber sinnierte, ob die eigene Zukunft nicht besser als NOFX-Coverband zu bestreiten wäre, da man da ja dann easy ein paar Hundert Dollar für ein Ticket verlangen könne. Um dies zu unterstreichen, gab es dann gleich ein ganzes NOFX-Medley, unter anderem mit «Bob», «Kill All The White Man» und «The Brews». Einfach unvergleichlich! Natürlich aber durften auch Hits wie das kultige «Stand By Me»-Cover, das subtile «Fuck Authority» und das epische «Bro Hymn» nicht fehlen. Letzteres mag zwar manch eine:n von uns schon unschön aus dem Festivalschlaf gerissen haben, aber es ist halt trotzdem immer wieder ein verdammter Hit.

Aller schönen Dinge gehen leider irgendwann vorbei, so auch die erste Reconstruction Tour seit 20 Jahren. Doch es war ein Fest – laut, schweisstreibend, wunderschön. In einem gut gefüllten X-TRA feierten Jung und Alt gemeinsam diese grossartigen Punkbands, die uns seit Jahren begleiten. Ob intensiv wie Dead Pioneers, energiegeladen wie The Iron Roses, brachial wie Comeback Kid, kompromisslos wie Propagandhi oder unverwüstlich wie Pennywise – es war für alle was dabei. Und einmal mehr zeigte sich: Zusammen ist es am schönsten, denn Musik, Diversität und Gemeinschaft sind das Einzige, was uns in dieser kaputten Welt noch retten kann. Möge dieses Revival der De-/Reconstruction-Tour keine einmalige Sache bleiben, denn wir wollen und brauchen mehr davon!

