Venn Records / VÖ: 26. Juli 2024 / Punk
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Text: David Spring
Sommer in Liverpool. Der Regen fällt erbarmungslos vom Himmel und drischt auf den kopfsteinbepflasterten Fussweg. Mit geballten Fäusten in den Hosentaschen, dem Wind in den Ohren und stoisch stetem Schritt geht es vorwärts. Vorwärts, weiter, bloss weg von all dem belanglosen Mist des Alltags, all den Geistern, Ängsten, Hoffnungen und Erinnerungen. Den Soundtrack für genau solche Momente liefern Coughin Vicars mit «Curses & Prayers».
Die fünf Liverpudlianer:innen haben sich voll und ganz dem Punk vergangener Tage verschrieben. Viel Hall und Chorus auf den Gitarren, flehender Gesang und rastlos nach vorne treibende Beats liefern das perfekte Grundgerüst für diesen einzigartigen Vibe, den Coughin Vicars erschaffen. Du fühlst dich nämlich bereits beim Opener «Lo And Behold» direkt auf die nassen Strassen Englands in den 80er-Jahren teleportiert. The Clash schwingen mit, genauso wie The Damned, und dann ist da noch etwas Ätherisches, Gespenstisches, das sich nicht leicht zuordnen lässt. «Anti-Faction» danach ist geradliniger, nostalgischer UK-Punk, der mit heftigen Gitarren und dem schnoddrig wütenden Gesang von Frontmann Roman Remains unentwegt abgeht.
Der Sound der Coughin Vicars erweckt grosse Emotionen. Bestes Beispiel ist die Vorabsingle «Until The Feeling Turns Cold». Hier nimmt die Band den Fuss etwas vom Gaspedal und kreiert eine wunderschön melancholische Atmosphäre, die dich mitten im Herzen berührt und dich so erhaben wie hoffnungslos fühlen lässt. Doch es geht auch heftiger: «One Cuff Fits All» ist ein wütendes Brett, dass sich lautstark in die Ohren schneidet. Und das knapp einminütige «Last But Not Least» ist glorreiches HC-Gemetzel, das auf die musikalische Vergangenheit einiger Bandmitglieder deutet, wozu unter anderem auch Napalm Death gehören. Solche Ausbrüche lockern das Album enorm auf und beweisen eine wahrlich beeindruckende Bandbreite und Kreativität.
Das bizarrste Experiment auf der Platte ist «The Reach». Während der erste Teil gut einem düsteren Gangsterfilm entnommen sein könnte, artet der Track danach komplett aus und lässt minutenlanges, krudes Saxofon-Gequietsche auf uns niederprasseln. Dies wäre normalerweise viel zu viel des Guten, doch irgendwie gelingt es den Coughin Vicars, dass selbst solcher Lärm funktioniert. Dennoch ist es eine Wohltat für die Ohren, wenn dann mit «Reverse The Wounds» wieder vorzüglicher 80s-Punk mit fantastischem, zweistimmigem Gesang folgt. In diesem erstklassigen Track fällt vor allem Keyboarderin und Sängerin Gabriella Rose King auf, die mit ihren Tasten und Stimme brilliert.
Coughin Vicars haben mit «Curses & Prayers» ein geniales Werk geschaffen. Die Mischung aus Klängen, die an lang vergangene Äras des Punks erinnern, roher Energie und vogelfreier Experimentierfreude geht voll auf und haucht dem Genre ordentlich frischen Wind ein. Das Album lässt dieses schöne Gefühl aufkommen, wenn man sich der Melancholie vollends hingeben und den Regen die Sorgen wegwaschen lassen kann. Damit sind Coughin Vicars gleichzeitig nostalgisch, relevant und modern, was nicht vielen gelingt. Hut ab und Schirm auf also für diese wundervolle Platte.