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Die Ärzte + Queens Of The Stone Age + Dropkick Murphys + Wargasm + Enter Shikari + Royal Blood + Guano Apes
Zeppelinfeld – Nürnberg (DE)
Sonntag, 9. Juni 2024
Text + Bilder: David Spring
Nicht viele Dinge sind im Leben gewiss, der Tod vielleicht, oder die Verspätungen der Deutschen Bahn. Eine weitere Lebenswahrheit ist aber auch, dass es mit fortschreitendem Alter kaum eine grössere körperliche Herausforderung gibt, als der letzte Tag auf einem Festival. All das Bier und Getanze, der Schlafmangel und der ständige Lärm gehen ans Eingemachte. Doch dann schaut man sich das Line-up an, dass auf dem Plan steht, und schwupps ist die Energie zurück. Genauso war es am Sonntag beim Rock im Park. Denn es gab nochmals richtig auf die Ohren.
Die Götter des Wetters waren uns erneut mehr als gnädig gestimmt – und bei strahlendem Sonnenschein erwarteten uns als erstes die legendären Guano Apes auf der Utopia-Stage. Ganz offenbar waren viele der Parkrocker:innen äusserst gespannt auf die Band, denn das Zeppelinfeld war um 13:00 Uhr schon so rappelvoll wie sonst nur bei den Headlinern. Die Crossover-Grössen um Sängerin Sandra Nasić liessen nichts anbrennen und lieferten einen bombastischen Start. Die mächtig groovenden Songs sorgten umgehend für Bewegung und das Publikum zeigte sich als erstaunlich textsicher. Einzig als Nasić uns fragte, wer den auch auf Hip Hop stünde, war das Echo etwas verhalten. Doch dem darauffolgenden Cover von «Lose Yourself», im Original von so einem unbekannten US-Rapper namens Eminem oder so, konnte niemand widerstehen. Was für ein Brett! Als dann noch die Hits «Big In Japan» und «Lords Of The Boards» folgten, war die Show perfekt.
Schlag auf Schlag ging es weiter, denn als nächstes standen Royal Blood auf dem Programm. Wie immer überraschten die zwei Briten mit ihrem schier unfassbar druckvollen Sound. Es ist jedesmal beeindruckend, was die beiden aus nur Bass und Schlagzeug (und gelegentlichen Keyboards) rausholen. Dazu ballerten sie einen Hit nach dem andern raus und hatten das Publikum trotz weniger Ansagen und übercoolem Getue fest im Griff. Songs wie «Out Of The Black», «Little Monster», «Boilermaker» und natürlich das geniale «Figure It Out» rockten uns vorzüglich durch und machten verdammt Laune. Die nächste Band sollte es schwer haben, dieser fulminanten Show zu folgen. Tatsächlich waren Enter Shikari, die nun die Hauptbühne enterten, so ziemlich die einzige Band dieses Festivals, die mich nicht so wirklich überzeugen konnte. Zu Dubstep- und Electro-lastig war das Ganze für meinen Geschmack. Die Band aus St. Albans, UK, bot immerhin einiges fürs Auge, insbesondere als Sänger Rou Reynolds auf einmal in einem der grossen Leinwand-Würfel, die die Bühne zierten, verschwand und darin dann elektrifiziert wurde. Sehr unterhaltsam, und trotz allem gab es natürlich ein paar Songs wie «Sssnakepit» oder «Mothership», die ziemlich heftig abgingen und Spass machten. So oder so, das Publikum hatte grosse Freude und genoss die musikalische Abwechslung, die Enter Shikari auf dem Line Up darstellten.
Für mich ging es danach bald weiter in die Halle der Orbit-Stage, wo mal wieder eine neue, spannende Entdeckung auf mich wartete. Hier nämlich spielten nun Wargasm auf und meine Güte, was für eine Show das war! Auf dem Band-Banner prangten gross die Worte «angry songs for sad people» und dieser Ansage wurde die Band mehr als gerecht. Das aus Sängerin Milkie Way und Schreihals/Gitarrist Sam Matlock bestehende Duo wurde live von einigen genauso wilden Mitmusiker:innen unterstützt und drückte heftig auf das Gaspedal. Das sehr durchmischte und für Rock im Park Verhältnisse ziemlich queer und divers wirkende Publikum wusste dies augenscheinlich sehr zu schätzen, denn schon beim ersten Song wurde ein gewaltiger Cirle Pit vom Stapel gelassen. Wahnsinn, was in der Halle für eine Atmosphäre herrschte, und der eklektische Sound-Mix der Band, welcher heftig groovende Riffs mit abgedrehten Electro-Sequenzen und der schieren Wut des Hardcore-Punks vermischt, feuerte die Leute unsagbar gut an. Was für eine Band und welch‘ tolle Entdeckung.
Danach ging es, vorbei an einigen schon etwas ausgelaugt wirkenden Fans, schnurstracks zurück zur Utopia-Hauptbühne, auf der bereits richtig Party angesagt war. Kein Wunder, hier waren nun Dropkick Murphys an der Reihe. Der gutgelaunte Celtic Punk der legendären Band aus Boston ist immer wieder ein Garant für gute Laune. Auch an diesem schönen Sonntagabend war es unmöglich, nicht mit grossem Grinsen im Gesicht mitzutanzen. Hits wie «Johnny, I Hardly Knew Ya», «The State Of Massachusettes» und natürlich das unsterbliche «Rose Tattoo» liessen die riesengrosse Menschenmenge frohgemut mitgrölen und sorgten wohl für nicht wenig zusätzlich verkaufte Biere, spätestens beim glorreichen «Kiss Me, I’m Shitfaced». Natürlich darf kein Dropkick Murphys Konzert ohne das unzerstörbare «I’m Shipping Up To Boston» zu Ende gehen. Und wenn 70’000 Menschen aus einer Kehle «I lost my leg!» schreien, gibt es kaum etwas Vergleichbares! Danach war so ziemlich letzte Möglichkeit, sich noch mit etwas Verpflegung einzudecken und sich zwecks Biopause nochmals durch die Menschenmasse durchzukämpfen. Der Abend und somit das Festival neigte sich langsam, aber sicher dem Ende zu – doch zwei absolute Highlights standen noch an.
Als erstes gab es absolute musikalische Perfektion gepaart mit amüsanten Starallüren. Alles in der Gestalt eines Josh Homme und seinen Queens Of The Stone Age. Fashionably late ging es los und das grossartige «Little Sister» machte den gleich so richtig bombastischen Auftakt. Der hünenhafte, nie so wirklich ganz nüchtern wirkende Frontmann, überzeugte mit seiner unvergleichlich süffisanten Stimme – und einem unverschämt sexy aussehenden silbernen Bart, während der Rest der Band ein absolutes Feuerwerk an fantastischer Musik ablieferte. Das Set führte querbeet durch das Schaffen dieser einzigartigen Band, von uralten Überhits wie «The Lost Art Of Keeping A Secret» über Evergreens wie «Go With The Flow» und «I Sat By The Ocean» bis hin zu neuen Songs wie dem fantastischen «Emotion Sickness». Irgendwann begab sich Homme in der Mitte eines Songs runter in den Graben, wo er sich dann, sehr zur Überraschung aller, mitten in die Leute fallen liess und auf Händen getragen weitersang. Ab diesem Zeitpunkt war dann auch nicht mehr ganz klar, ob der gute Herr einfach völlig in seine wundervolle Welt der Musik abgedriftet war, oder ob da noch andere Substanzen mit im Spiel waren. Es folgten auf jeden Fall ein paar ausschweifende, mal lustige, mal eher peinliche Ansagen und Liebesbekundungen und, als Homme merkte, dass ihnen die Zeit schon lange davon gelaufen war, sehr amüsante Drohungen an die Veranstalter, ihnen bloss nicht den Strom abzudrehen. Dazu kann man nun sagen, was man will, denn die Überheblichkeit des Sängers war durchaus grenzwertig, aber halt irgendwie auch charmant, auf komische Art und Weise. Solches Verhalten verzeihe ich normalerweise wirklich nicht vielen, aber wenn jemand solch gottesgleiche Musik macht, spielt und singt wie kaum ein anderer, und dann zum Schluss noch absolute Riesenhits wie «Make It Wit Chu» und natürlich «No One Knows» raushaut, also kurzum einfach eines der allerbesten Konzerte in der Geschichte der Live-Musik abliefert, ja dann darf er das auch. Queens Of The Stone Age, was für eine fantastische Band, gottverdammte Rockstars, die sie sind.
Es gibt nur eine Band, die sowas dann noch zu übertrumpfen in der Lage ist: natürlich die Beste Band der Welt, Die Ärzte. Die Umbaupause konnten wir überbrücken, in dem man die auf dem sehr eigenwillig gestalteten Vorhang abgebildete Telefonnummer anrief und dort einem hanebüchenen Gespräch zwischen Bela, Farin und Rod zuhören konnte. Los ging es aber etwas ernsthafter mit «Deine Schuld». Es ist immer wieder ein Erlebnis, wenn die ersten Töne an einem Konzert der Die Ärzte erklingen, der Vorhang fällt, noch ein Vorhang fällt, und noch ein weiterer Vorhang fällt, und hey, da sind sie! Was folgte waren knappe 2.5 Stunden perfekte Unterhaltung. Belafarinrod waren in bester Laune, spielten verhältnismässig sauber und konnten sich an fast alle ihrer Texte erinnern. Es schwang allerdings auch ein ziemlich ernüchtender Unterton mit, auf den uns die Drei immer wieder hinwiesen, denn es waren mittlerweile die Resultate der Europa-Wahlen, die am selben Tag stattfanden, bekannt, und die rechtsextreme AfD hat erschreckenderweise deutschlandweit absolute Spitzenresultate erzielt. So hatten Songs wie «Ein Sommer nur für mich» oder «Doof» gleich eine viel tiefere Tragweite, doch die betrübende Realität ist leider nun, dass Nazis so krass politisch legitimiert auf dem Vormarsch sind.
Die Ärzte und das Publikum liessen sich den Spass aber keineswegs verderben. Vielleicht war die Band selbst angestachelt von all dem und übertrumpfte sich mit grenzdebilen, unendlich lustigen Ansagen. Farin Urlaub zum Beispiel liess seinem Hass ob dem wild leuchtenden Riesenrad, welches sich direkt gegenüber der Bühne befand, freien Lauf. Sehr zum Amüsement seiner Bandkollegen, die das natürlich voll ausnutzten. Einen ganz grossen Lacher kassierte auch Rod, als dieser nach einem übertrieben theatralischen Seitenwechsel das folgende «Antizombie» mit den Worten «Mein Grossvater pflegte zu sagen, wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommt der FC Nürnberg in die erste Liga», ankündete. Die wohl lustigste und schönste Situation ergab sich aber bei «Unrockbar». Traditionell gilt hier, dass man sich bis zum ersten Refrain hinzusetzen hat, um dann in diesem wild aufzuspringen. Hobbydiktator Urlaub ordnete uns aber an, es dieses Mal umgekehrt zu machen. So tanzten alle freudig, bis die güldenen Worte «Du bist unrockbar» erklangen, und setzten sich dann brav hin – ein Bild für die Götter.
Das Konzert war ein einziger Abriss, mit einer durchs ganze Schaffen der Band führenden Setlist. Von «Der Lustige Astronaut» aus 1983 bis hin zu ganz aktuellen Hits wie «Noise» vom 2021er-Album «Dunkel» war alles dabei. Zweimal mussten Songs auch unterbrochen werden, weil es im Publikum zu Schwächeanfällen oder ähnlichem kam und es war schön zu sehen, wie unglaublich unterstützend und verständnisvoll sowohl die Band wie auch die Fans waren, als doch tatsächlich das absolut wichtigste Lied der Die Ärzte überhaupt, «Schrei nach Liebe», angehalten wurde, als es jemandem vorne nicht mehr gut ging. Grosses Bravo dafür. Aber eben, beste Band der Welt! Nach mehreren Zugabeblöcken, die in der handelsüblichen Wall of Death zu «Junge», einem unerwarteten «Zu Spät» und dem finalen «Dauerwelle vs. Minipli», dem gehaltvollsten Song aller Zeiten, kulminierten, war Schluss. Es gilt einmal mehr: Die Ärzte sind die Besten der Besten der Allerbesten und einen perfekteren Abschluss zu diesem vorzüglichen Festival hätten wir uns nicht erträumen können.
Ja und so ging es zu Ende, das Rock im Park Festival 2024. Es war kräftezerrend und anstrengend, aber auch einfach wundervoll. Unglaublich viele geile Bands, wunderschöne, gutgelaunte Menschen, tolles Wetter und einfach ein fantastisches Wochenende. Nächstes Jahr feiert Rock im Park das 30.-jährige Bestehen mit einer neuen, zusätzlichen Bühne und bestimmt einem jetzt schon legendären Line-up! Wir freuen uns und danken allen, die an diesem grossartigen Festival-Erlebnis beteiligt waren. Um es in den unsterblichen Worten des Rodrigo González zu sagen: Remember, we love you!