blauespferd.ch
Dritte Wahl + Grade 2 + Selbstbedienung + Svetlanas + Vagante
Reitschule – Bern
Freitag, 26. Januar 2024
Text: David Spring / Bilder: Alain Schenk
Was gibt es schöneres, als in einer kaltnassen Januarnacht in der legendären Berner Reitschule zu stehen und zusammen mit vielen schönen Menschen lautem Punkrock zu lauschen? Genau, nichts! Wunderbar also, gibt es das Blaues Pferd Festival, dass heuer zum dritten Mal mit hochkarätigem Programm zum Tanz aufbot. Bands von fern und nah sollten an den nächsten zwei Abenden das Publikum begeistern, und vorab darf gesagt werden: Es war ein wundervolles Fest.
Den Auftakt machten die Lokalmatadore Vagante. Was sich auf dem Papier erst nach einem südeuropäischen oder gar lateinamerikanischen Bandnamen klang, stellte sich alsbald als sympathisch rotziges Trio aus Bern und Solothurn heraus. Und obwohl die grosse Halle der Reitschule noch nicht sehr voll, dafür umso kälter war, vermochten uns die Jungs schnell einzuheizen. Mit sympathischem Auftreten und äusserst coolen, rockig angehauchten Punkperlen, allesamt in schönster Mundart vorgetragen, ging das bestens ab. Von einer gutgelaunten Ode an die Haare über ein frohgemutes Liebeslied an die Mayonnaise bis hin zu einem wütenden «Figg di» war alles dabei. Die Vagante räumten ab und eröffneten das Blaue Pferd fulminant. Es sollte ein vorzüglicher Abend werden.
Als nächstes standen Grade 2 aus Grossbritannien auf dem Plan. Das Trio schlug um einiges heftigere Töne an und legte auch noch eine gesunde Portion an bpm obendrauf. Der Sound schmetterte druckvoll aus den Boxen und die Band sprang und rannte voller Energie über die Bühne. Allerdings war das Publikum noch immer nicht so wirklich aufgetaut und es brauchte einige Aufrufe von Seiten der Band, bis etwas Bewegung aufkam. Doch die Jungs liessen sich nichts anmerken und hauten einen rasanten Punk-Smasher nach dem andern raus. Bei so vielen grossartigen Songs mutete es beinahe merkwürdig an, dass sich im Set auch ein Cover von «Where Eagles Dare» wiederfand, seineszeichens ein alter Gassenhauer der Misfits, die ja nun wirklich niemand mehr braucht. Nichtsdestotrotz, Grade 2 legten eine vorzügliche Show hin und bewiesen lautstark, dass Punk auch im UK noch lange nicht tot ist.
Doch danach war Schluss mit Lustig, denn nun enterten Svetlanas die Bühne. Die berühmt-berüchtigte Truppe aus Russland, deren wilde Frontfrau Olga immer gerne für politische Schlagzeilen sorgt, wurden ihrer Legende als «gefährlichste Band der Welt» mehr als gerecht. Die Gefahr zielte vor allem auf unsere armen Ohren ab, denn der Sound war unglaublich laut und leider – man kann es gar nicht anders sagen – grottenschlecht. Der dröhnende Bass übertönte alles, Gitarre und Stimme waren kaum zu hören und alles überschlug sich in einem wilden Wirrwarr aus Lärm und Chaos. Punkrock in Ehren, aber das war leider einfach grauenhaft mit anzuhören. So überraschte es wenig, dass einige das Weite nach draussen in die «Wärme» suchten. Entsprechend wenig gibt es darüber zu berichten.
Zum Glück war dieser Ausreisser eine Ausnahme auf dem heutigen Programm, denn mit Dritte Wahl folgte danach der Headliner des Abends und auf einmal war die Halle zum Bersten voll. Einer Wohltat für die Ohren gleich, war der Sound bei den altgebackenen Deutschpunkern wieder voller präziser Wucht und fettem Drive. Die Leute am Blaues Pferd hatten augenscheinlich nur auf diese Band gewartet, denn der wilde Pogo-Pit und die hörbare Textsicherheit viele der Anwesenden sprach Bände. Was für eine Freude, und auch die Band schien bestens gelaunt. Mit ihrem neuen Album «Urlaub in der Bredouille» in Petto sowie etlicher Hits war der Abriss vorprogrammiert. Sänger/Gitarrist Gunnar Schroeder und Bassist/Sänger Stefan Ladwig leiteten uns mit mal witzigen, mal reisserischen Ansagen durchs Programm und sorgten für den einen oder anderen Lacher. Zudem überzeugte die Band mit herausragender Musikalität und Abwechslung, sei es mit tollen Gitarrensolos, interessanten Keyboard-Einsätzen oder schlicht ultrageilen Riffs und Songs. Höhepunkt war, als «Zusammen» als «das wichtigste und gehaltvollste Lied dieser Band» angekündet wurde, und wer könnte da widersprechen? Eine sich sehr oft wiederholende Textzeile wie «wenn wir zusammen sind, dann sind wir zusammen» ist einfach für die Götter. So legten Dritte Wahl locker den Auftritt des Abends hin, rockten die Reitschule gehörig und gekonnt zu Brei und bewiesen eindrucksvoll, dass 35 Jahre Punkrock-Karriere noch lange nicht genug sind.
Doch Schluss war damit noch nicht, denn mit Selbstbedienung stand kurz vor 01:00 Uhr Morgens noch ein wundervolles Bettmümpfeli parat. Ebenfalls im Deutschpunk daheim, allerdings mit reichlich Grunge angereichert, lieferte uns das Trio aus dem Aargau eine letzte Runde vorzüglicher Songs mit ordentlich Inhalt und Charme. Zudem brachten sie uns einige grosse, rote Luftballone mit, die fortan den ganzen Matsch vom biergetränkten Boden grosszügig im Publikum verteilten. Was für eine Freude. Mit einer äusserst gelungenen, deutschsprachigen Coverversion von David Bowies «Heroes» und der wütenden neuen Single «Ego» wussten Selbstbedienung auch musikalisch zu überzeugen. Doch der Höhepunkt war, als Gitarristin Luana ein Kazoo zur Hand nahm und Sänger/Bassist Simon meinte «wir wollen ja nicht behaupten, dass die bisherigen Songs gut waren, aber der folgende ist wirklich schlecht». Mit «Tod im Labor» folgte einer der grossartigsten Punksongs aller Zeiten, das Kazoo in vollem Einsatz. Und weil es auch der Band so viel Spass machte, spielten sie ihn danach gleich noch ein zweites mal. Einfach glorreich und damit ging ein letzter, fantastischer Auftritt und somit der erste Abend des Blaues Pferd 2024 zu Ende.
Trotz der Enttäuschung durch den Svetlanas-Sound war es ein vorzüglicher Abend. Grossartige Bands, ein wundervoll liebenswertes und bierseliges Publikum und eine erstklassige Organisation machten den Abend zu einem vollen Erfolg. Einfach toll, wie viel Abwechslung und fantastische Inhalte in all diesen schönen Liedern steckt. Gäbe es den Punk noch nicht, man müsste ihn erfinden.