Mötley Crüe + Def Leppard + Europe
Stockhorn Arena – Thun
Dienstag, 27. Juni 2023
Text: David Spring
Bei all der grossartigen, neuen Musik, die uns heute jeden Tag um die Ohren haut, ist es manchmal nötig, ein paar alternden, abgewrackten Männern auf einer grossen Bühne zuzuschauen. Im Idealfall haben es die Rock-Dinosaurier immer noch drauf und liefern eine solide, erinnerungswürdige Show ab, oder sonst merkt man halt einmal mehr, wie gut moderne Musik eigentlich ist. Als vergangenen Dienstag die Urgesteine von Def Leppard und Mötley Crüe die Stockhorn Arena in Thun in Beschlag nahmen, war von beiden Gefühlsextremen etwas dabei.
Den Auftakt machte niemand Geringeres als Europe. Nicht nur gibt es die Band aus Schweden noch, sie haben bedeutend mehr zu bieten, als nur diesen einen Gassenhauer, den alle kennen. Das Herz vieler Anwesender gewann Sänger Joey Tempest bereits, als er uns mit einem verschmitzten «Hoi Thun, wie gohts?» begrüsste. Was folgte war eine Masterklasse darin, wie man auch nach gefühlten 1000 Jahren Karriere immer noch hart abrocken kann. Mit astreinen Rock-Hymnen wie «Scream Of Anger», «Ready Or Not» oder der frenetisch abgefeierten Halb-Ballade «Carrie» ging das richtig ab. Das gut gefüllte Stadium feierte die hervorragend gelaunte Band mächtig, doch natürlich warteten schlussendlich alle nur auf einen Song: «The Final Countdown» So war es dann auch eine wahre Freude, diesen Überhit live erleben zu dürfen und mit tausenden Kehlen mitzusingen. Europe waren eine wohlige Überraschung und ein unerwartetes Highlight.
Auf die nächste Band freuten sich die Anwesenden scheinbar am meisten: Def Leppard! Die Herren aus Sheffield zeigten mit «Take What You Want» und «Let’s Get Rocked» ohne Umschweife, wo der Hammer hing. Zu druckvollem und für ein Stadion eigentlich überraschend gutem, ausgeglichenem Sound (zumindest gleich beim Mischpult) kam schnell ordentlich Freude auf. Überall glückliche Gesichter im wundervoll durchmischten Publikum und viele der unsterblichen Songs wurden mitgesungen und gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr.
Der Mittelteil der Show schraubte das Energie-Level dann etwas zurück und es folgten mehrere halb-akustische Lieder wie das neue «This Guitar» oder «When Love And Hate Collide». Zwischenzeitlich merkte man, dass die Herren von Def Leppard nicht mehr die Allerjüngsten sind und auch, dass sich viele ihrer Stücke im Aufbau, Klang und Tempo sehr ähnlich sind. Doch am Ende gab es mit den drei letzten, vorzüglichen Songs kein Halten mehr. Bei «Pour Some Sugar On Me» drehte nämlich die komplette Arena durch und schrie verzückt mit. Die abschliessenden «Rock Of Ages» und «Photograph», bei welchem auf den riesigen Bildschirmen Fotos aus dem heutigen Publikum auftauchten, rockten heftig und machten enorm Spass.
Und dann war es Zeit für Mötley Crüe. Ein überlanges Mozart-Intro und eine amüsante Video-Botschaft zeigten schnell, dass sich die Band aus LA auch heute noch nicht all zu ernst nimmt. Mit «Wild Side» und «Shout At The Devil» legten Tommy, Vince, Nikki und John rasant los. Rasant ja, aber gut? Da werden sich die Geister scheiden, denn abgesehen vom eingänglich eher schwachen Sound-Mix führte leider auch die grösste Portion Wohlwollen nicht an der Tatsache vorbei, dass Vince Neil kein guter Sänger (mehr) ist. Wie kaum anders zu erwarten, gesellten sich alsbald auch zwei leichtbekleidete Tänzerinnen auf die Bühne, die sich lasziv bewegten und zur Freude aller Ohren auch gesanglich Unterstützung lieferten. Niemand geht an ein Mötley-Crüe-Konzert, um eine subtile, brave Show zu erleben. Wie zeitgemäss einige der Songs noch sind, oder wie nötig es zum Beispiel ist, dass Tommy Lee die anwesenden Damen dazu auffordert, ihre Brüste zu zeigen, da darf man gerne an anderer Stelle drüber diskutieren.
Abgesehen davon jedoch darf gerne auch gesagt werden, dass Mötley Crüe es hervorragend verstanden zu unterhalten. Dass die Herren immer noch tierisch Spass an der Sache haben merkte man oft, zum Beispiel als Vince und Nikki grinsend ein Gitarrensolo von John 5 nachäfften oder beim frohgemut dargebotenen Medley, in welchem unter anderem auch «Helter Skelter», «Blitzkrieg Bop» und «Anarchy In The UK» unterkamen. Die eigenen Hits der Band machten am meisten Spass und davon gab es massig. «Looks That Kill», «Dr. Feelgood», «Same Ol’ Situation» oder das so doofe wie tolle “Girls, Girls, Girls” wurden gefeiert und bejubelt. Bei letzterem erschienen zudem zwei riesige, aufblasbare Roboter-Frauen, die fortan die Bühne zierten. Mötley Crüe liessen sich auch ohne die wilden Kapriolen vergangener Tage nicht lumpen und fuhren eine Top-Show auf.
Nach rund anderthalb Stunden zeichnete sich das Ende ab, als John 5 mit einem Geigenbogen bewaffnet seine Gitarre traktierte und zu den ersten Tönen des legendären «Kickstart My Heart» anstimmte. Was für ein Song und was für ein glorreicher Abschluss. Tommy Lee liess sich dann noch ein wenig vom Publikum beschimpfen, bevor er mit einem neckischen «I love you» verschwand, und damit war dann auch Schluss. Mötley Crüe sind sicherlich weit von ihren besten Tagen entfernt und es gab viel, was man berechtigterweise kritisieren darf. Letztlich machten die vier durchgeknallten Typen aber einfach Spass. Dumm, aber so steht’s geschrieben. Etwaiges musikalisches Unvermögen wurde zudem dank Def Leppard und Europe locker wettgemacht, so dass es am Ende des Tages ein toller Konzertabend war. Ja, die alten Legenden darf man immer noch abfeiern, doch schlussendlich ist klar: die Zukunft gehört den jungen, aufkommenden Bands.
Setlist Def Leppard [Quelle: Setlist.fm]
- Take What You Want
- Let’s Get Rocked
- Animal
- Foolin‘
- Armageddon It
- Kick
- Love Bites
- Promises
- This Guitar
- When Love And Hate Collide
- Rocket
- Bringin‘ On The Heartbreak
- Switch 625
- Hysteria
- Pour Some Sugar on Me
- Rock of Ages
- Photograph
Setlist Mötley Crüe [Quelle: Setlist.fm]
- Wild Side
- Shout At The Devil
- Too Fast For Love
- Don’t Go Away Mad (Just Go Away)
- Saints Of Los Angeles
- Live Wire
- Looks That Kill
- The Dirt (Est. 1981)
- Rock And Roll, Part 2 / Smokin‘ In The Boys Room / Helter Skelter / Anarchy In The U.K. / Blitzkrieg Bop
- Home Sweet Home
- Dr. Feelgood
- Same Ol‘ Situation (S.O.S.)
- Girls, Girls, Girls
- Primal Scream
- Kickstart My Heart