Good Riddance + Laura Jane Grace + Useless ID + NOFNOG + Cold Years
Dynamo – Zürich
Dienstag, 21. Juni 2022
Text: David Spring / Bilder: Rey Schulthess
Wisst ihr noch, wie es war, als es keine Konzerte und Livemusik mehr gab? Diese dunklen Zeiten scheinen vorbei zu sein, denn mittlerweile finden so viele Shows statt, dass sogar zwei Konzerte zu einem Mini-Festival kombiniert werden können. Genau dies geschah mit den Auftritten von Laura Jane Grace im Dynamo und Good Riddance im Werk 21, um uns allen in der unerbittlichen Hitze komplett den Garaus zu machen.
Den Start dieses vorzüglichen Abends machten die sympathischen Jungs von Cold Years aus Schottland. Obwohl sich noch nicht viele Leute im Dynamo-Saal einfanden, spielten die vier voller Energie und Motivation auf. Der emotionale, eingängige Punkrock ging runter wie guter Wein und es dauerte nicht lange, bis Bewegung im verschwitzten Publikum aufkam. Bei nur 20 Minuten Spielzeit beschränkte sich Sänger Gordon Ross auf das Minimum an Gequatsche, bedankte sich dennoch ausführlich bei uns. Viel zu schnell war Schluss, Cold Years sind klar eine meiner Entdeckungen des Jahres.
Als nächstes stand die einzige Schweizer Band des Abends in den Startlöchern: NOFNOG! Die Jungs sind seit bald 20 Jahren im Geschäft und haben erst ihr neues Album „Insomnia“ rausgehauen, entsprechend tight und energiegeladen ging’s los. Der melodiöse Hardcore des Vierers passte perfekt in den Abend, nicht umsonst dürfen die St. Galler Good Riddance auf einem grossen Teil ihrer Europa-Tour supporten. Das Dynamo füllte sich immer mehr und die Stimmung war bereits ausgelassen. Der fette Sound, die mächtigen Riffs, der beeindruckende Lead-Gesang von Schlagzeuger (!) Jeri und die grossartigen Songs machten die Show zu einem kompletten Abriss.
Der Zeitplan des heutigen Abends sah keinerlei Ruhepausen vor, beeindruckend war, wie schnell der Umbau jeweils passierte. Fünf Bands an einem Abend unterzubringen ist kein leichtes Unterfangen, ein grosses Kompliment an die ganzen Stagehands und Helfer:innen im Hintergrund. Als nächstes standen die legendären Punks von Useless ID aus Haifa, Israel am Start.
Diese legten gutgelaunt und ohne Umschweife mit „Same Old Revolution“ los. Wie bei ihrem Highspeed-Melodic-Punkrock nicht anders zu erwarten, kam augenblicklich gute Stimmung auf. Zur Begrüssung erklärte Sänger und Bassist Yotam Ben Horin gutgelaunt, weshalb der Umbau so rasant war: auf den Soundcheck wurde komplett verzichtet. Dank einem Abstecher in die Limmat am Nachmittag waren die vier in bester Laune und voller überbordender Energie, die auf alle Anwesenden im Saal überschwappte. Auch Useless ID hatten wenig Zeit für grosses Gerede, dafür gab es vorzüglichen Punkrock. Ihre Mischung aus Mitsingparts, eingängigen Melodien und furiosen Hardcore-Riffs ging ab wie nichts. Mit „State Of Fear“ war nach einer halben Stunde Schluss und die Jungs verabschiedeten sich unter lautem Jubel und Applaus.
Danach war es Zeit für das Highlight für viele der anwesenden Menschen: die unvergleichliche Laura Jane Grace! Die Against Me!-Frontfrau war zweifelsohne für das wahrscheinlich queerste Publikum, dass ich je im Dynamo erlebt habe, verantwortlich. Entsprechend gross war der Jubel, als sie gemütlich auf die Bühne schlenderte, ihre Gitarre einsteckte und loslegte. Die Stimmung ging durch die Decke. Mit ihrem unvergleichlichen Charme und Humor hatte sie alle in der Hand. Als jemand „We love you“ rief, erwiderte sie lächelnd, mensch solle sich in Acht nehmen, denn sie sei sehr impulsiv. „Fuck it, let’s get married!“
Um diese impromptu Hochzeit musikalisch zu untermalen, folgte der Against Me!-Klassiker „Unconditional Love“, was frenetisch gefeiert und mitgesungen wurde. Laura Jane Grace war bestens aufgelegt und erzählte munter Stories aus ihrem bewegten Leben. Der „Dysphoria Hoodie“, der schon am Vorabend in Fribourg zum Einsatz kam, war wieder dabei, was zu viel Jubel führte. Mit dem The Replacements-Cover „Androgynous“ und dem unsterblichen „Reinventing Axl Rose“ war Schluss, doch war der Applaus so laut, dass sie sogar eine Zugabe zum Besten geben durfte. So kamen wir in den Genuss einer wundervollen Akustikversion von „Baby, I’m An Anarchist“ von Against Me! Was für eine unglaubliche Show!
Die Zusammenstellung der ersten Reihen des Publikums änderten sich danach. Die jungen, queeren Menschen zogen sich nach hinten zurück, während die Moshpit-Fraktion vorne in die Startlöcher ging. Dass es nur eine exzellente Band wie Good Riddance braucht, um gestandene Hardcore-Punks zusammen mit schüchternen Trans-Kids tanzen und feiern zu lassen, wurde augenblicklich klar, denn die Party, welche die Jungs aus Santa Cruz lostraten, war ohnegleichen. Unvorstellbar, was für eine Sauna diese Show im Werk21 gewesen wäre.
Good Riddance bretterten Hit nach Hit raus, ohne eine Sekunde Verschnaufpause. Das Einzige, was mir etwas fehlte, war Publikumsinteraktion. War Laura Jane Grace noch eine geborene Entertainerin, so zeigte sich Good Riddance-Frontmann Russ Rankin mit Ansprachen sehr zurückhaltend. Dafür wurde der Moshpit immer wilder und die Leute drehten zu Songs wie „United Cigar“, „Disputatio“ oder „Slowly“ durch. Es war eine Freude zu sehen, wie viel Spass die Leute an diesem Abend hatten.
Unglücklicherweise verpasste ich die letzten Minuten der Show ÖV-technisch. Dank dem gebotenen Line-Up konnte ich mich nicht beschweren, das waren vier Stunden grossartige Punkrock-Unterhaltung von fünf genialen Bands, wie man sie sich nicht oft an einem Dienstagabend zu Gemüte führen kann. Völlig verschwitzt und freudig grinsend wurde der Heimweg angetreten, es bleibt somit ein grosser Dank an die Bands, sowie die Teams vom Dynamo und Soundmanöver auszusprechen, die alles ermöglicht hatten. Ganz grosses Kino!