Flugplatz – Interlaken
Samstag, 11. Juni 2022
Text: David Spring
Wachte ich am Freitagmorgen noch wie ein junges Reh auf, zeigten sich die frühen Stunden am Samstag als weitaus schwieriger. An Yoga war heut gar nicht erst zu denken, eine Dusche und etwas feste Nahrung waren alles, was drin lag. Ach, so wirklich habe ich dieses vertraute Festivalgefühl gar nicht vermisst, aber es gehört dazu.
Abgesehen von einem kurzen Abstecher an die Pressekonferenz machte icherstmal gar nichts. Bewegung kam erst wieder auf, als es um 14:20 Uhr mit Livemusik losging. Es standen niemand geringeres als Itchy auf der Jungfrau-Stage. Die drei Schwaben sprangen kurzfristig als Ersatz ein und waren komplett geplättet, als sich der Platz vor der Hauptbühne zu dieser gottlosen Zeit bereits komplett gefüllt zeigte. Mit „Faust“ hatten sie die Greenfield-Meute sofort im Griff und was folgte war einer der glorreichsten Gigs, die ich je erleben durfte. Itchy sind die perfekte Live-Band, mit ihren irrsinnigen Sprüchen und dem charmanten Humor hatten Sibbi, Panzer und Max sämtliche Sympathiepunkte auf ihrer Seite. Ihre tollen, mehrheitlich fehlerfrei vorgetragenen Songs, die stets überzeugen, überzeugten.
Mit Betonton gab es eine etwas aggressivere Variante des deutschsprachigen Punks. Auch hier war die Band überrascht, wie viele Leute bereits vor der Bühne standen. Die mal ernsten, mal alkoholgetränkten Texte der Band überzeugten sehr. Mit „Glück Auf! (Wir Müssen Aufhören Weniger Zu Trinken)“ sprachen die fünf allen Anwesenden aus der Kehle. Mein Alter zeigte sich einmal mehr, waren heute bedeutend mehr Pausen nötig. Von Skillet, die eine sehr coole Show ablieferten, bekam ich dementsprechend nicht viel mit.
Die Pause war nötig, denn es folgte die Band, auf die ich mich mehr als alle anderen an diesem Festival gefreut hatte: Wizo! Die legendären Sindelfinger-Punks spielten ihr erstes Konzert nach der Pandemie und mit „Ganz Klar Gegen Nazis“ als Opener war klar, dass dies ein perfekter Gig werden würde. Hits wie „Raum Der Zeit“ und „Nana“ wirbelten Staub auf, Klassiker wie „Hey Thomas“ und „Das Goldene Stück“ liessen alle Mitsingen. Für mich war der Tag perfekt, als die drei das wohl beste Lied aller Zeiten anstimmten: „Seegurke“. Es folgte eine unfassbar böse Ansage gegen die Kirche und als das ganze Greenfield Festival lauthals „Die Letzte Sau“ mitsang, lief es mir nur noch kalt den Rücken herunter. Ja, Wizo lieferten fix das beste Konzert des Festivals ab.
Zum Glück ging es mit Bury Tomorrow auf der Eiger-Stage stark weiter. Der Sänger war kontinuierlich am Grinsen und versprühte trotz der sehr aggressiven Musik nichts als gute Laune. Eine weitere grossartige Band, welche die Nebenbühne beehrte. Die Energie der Band schwappte problemlos auf die vielen Anwesenden über. Nach diesem Auftritt stand uns das Gemüt so ganz und gar nicht nach Hammerfall, die wir uns wie sonst kaum jemand gerne entgehen liessen. Dafür war das Essensangebot einfach zu gut – auch wenn ich erneut froh war, dass ich gut verdiene und nicht auf fleischlose Ernährung angewiesen bin.
Ein weiteres Highlight folgte mit Bring Me The Horizon und deren komplett durchgeknallten Live-Show. Trotz etwas Verspätung rissen die Herren die Jungfrau-Stage komplett nieder und boten die aufwändigste Bühnendeko des Festivals. Auf mehreren Ebenen liefen die sechs über- und nebeneinander vorbei und hatten Platz für zwei Tänzerinnen. Mein einziger Kritikpunkt war die etwas überhebliche Art von Sänger Oliver Sykes, der das Publikum einmal sogar als „fucking pussies“ beschimpfe. Zu starker Tobak, auch in dem Eifer des Gefechts. Die Show war aber super und Bring Me The Horizon hatten ihren Slot als zweitletzte Band des Festivals auf alle Fälle verdient.
Dann war es Zeit für den finalen Headliner: Billy Talent! Zum Glück überzeugten diese, die Show war zu gut, um nicht durchzudrehen und mitzuschreien. Hits wie „Try Honesty“, „Devil In A Midnight Mass“ oder „Rusted From The Rain“ gingen runter wie guter Wein und das Greenfield-Publikum frass der Band aus den Händen. In Erinnerung an den verstorbenen Foo Fighters-Drummer Taylor Hawkins gaben Billy Talent eine gefühlvolle Coverversion von „Everlong“ zum Besten, was frenetischen Jubel auslöste. Die neuen Songs der Band wie „I Beg To Differ“ oder das fantastische „Forgiveness“ wurden super dargeboten. Endlich eine Band, die ihren Headliner-Status verdiente. Mit „Viking Death March“, „Fallen Leaves“ und dem unsterblichen „Red Flag“ war nach etwas über anderthalb Stunden Schluss und das Greenfield Festival 2022 damit Geschichte.
Es blieb das obligate Finale eines jeden Greenfield Festivals: das Verbrennen der riesigen, hölzernen Hand, die schon seit Beginn imposant neben der Eiger-Stage stand. Unter tosendem Jubel wurde die sechzehnte Ausgabe des grössten Schweizer Rockfestivals gebührend zu Ende gebracht. Was für ein Fest es war. Nach zwei Jahren Durststrecke tat es gut, endlich wieder mit tausenden von glückseligen Menschen durchdrehen und den Alltag vergessen zu können. Die Organisation des Festivals lässt nicht viele Wünsche offen (Raum für Verbesserung besteht freilich immer) und das Lineup war allererste Güte dieses Jahr. Von mir aus gehört die Zukunft den jungen und nicht so bekannten Bands, aber da dürfen sich die Geister ruhig schneiden. Anyway, Greenfield 2022, du warst ein gottverdammtes Fest. Danke und bis zum nächsten Mal!