Sonntag, 8. Mai 2022
Estefanía Aledo (Gesang)
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Gespräch: David Spring
Vor kurzem veröffentlichte die Metalcore-Band Arise aus Alicante, Spanien ihr neustes Album „Eón„. Das Werk überzeugt mit kompromissloser Härte, grossartigen Melodien und nicht zuletzt dem fantastischen Gesang von Sängerin Estefanía Aledo. Umso erfreulicher, hat sich die Ausnahmesängerin Zeit genommen, um mit uns über ihre Band, das Album und die Metal-Szene in Spanien zu plaudern.
David: Hola Estefanía! Wie fühlst du dich, jetzt, da das Album draussen ist?
Estefanía Aledo: Oh, es ist wundervoll, wir fühlen uns sehr glücklich und zufrieden damit.
Wie waren denn die Reaktionen bisher?
Es scheint, als käme das Album bei den Fans, unseren Freunden und Familie und auch bei den Medien sehr gut an. Überraschenderweise gab es viele Reaktionen von ausserhalb Spaniens, was wir nicht erwartet hätten, zumal wir auf Spanisch singen (lacht).
Was kannst du mir über das neue Album erzählen?
Alles was du siehst und hörst, vom Artwork bis hin zum Sound und Mix, haben wir komplett selbst gemacht. Unser Gitarrist Rafa Esplugues hat ein Studio im Keller seiner Eltern, wo er auch andere Bands aufnimmt. Er ist wahnsinnig talentiert und hat alles im Alleingang produziert. Unser Schlagzeuger Carlos Guardado ist Grafikdesigner, er hat sich um das Artwork gekümmert.
Konntet ihr alle Songs zusammen als Band aufnehmen oder musstet ihr die Aufnahmen wegen der Pandemie aufteilen?
Wir mussten immer wieder Pausen einlegen und Sachen neu einspielen, das war sehr nervenaufreibend. Zum Glück hatten wir all die Songs bereits vor der Pandemie fertig komponiert, da das Album ursprünglich im Frühjahr 2020 hätte erscheinen sollen. Wir konnten nicht alles fertigstellen, darum hat es schlussendlich ein Bisschen gedauert.
Ich glaube, dass ich neben den üblichen Instrumenten auch anderes auf dem Album höre, zum Beispiel ein Banjo auf „Hydra“. Hattet ihr Gäste?
Das ist tatsächlich alles von uns. Was Gäste anbelangt habe ich seit längerem eine Idee: Ich würde gerne einige der „Eón“-Songs nehmen und mit verschiedenen Musiker:innen gewissermassen Remixe davon machen. Etwa fünf unserer Songs, auf denen wir meine Vocals mit dem Gesang dieser auserwählten Gäste mischen. Ich denke, das wäre ziemlich spannend.
Kannst du mir noch mehr zu eurem Songwriting-Prozess erzählen?
Um ehrlich zu sein ist das auf jedem Album immer ein Bisschen anders. Dieses Mal kamen alle Grundideen von unserem Gitarristen, Albert Agulles. Er nahm Demos selbst auf und stellte uns diese vor. Mit der gesamten Band ging Vorproduktion los, da war Rafa wieder stark involviert. Am Ende klangen die Songs meistens kaum so, wie die anfänglichen Demos. Es war ein sehr interessanter Prozess.
Wovon handeln denn die Songtexte? Die Lyrics stammen alle von dir?
Genau. Es war allerdings das erste Mal, dass ich alles alleine schrieb, bisher half mir unser Drummer damit. Die Texte sind persönlich und handeln vom Erwachsen-Werden. Der erste Song, den ich für „Eón“ schrieb, entstand bereits 2017. Nun bin ich in meinen Dreissigern und seither ist einiges passiert. Viele der Lieder handeln von diesem Wandel, heraus aus meinen Teenager-Jahren, durch meinen Zwanziger hindurch und schlussendlich ins „richtige Erwachsenen-Dasein“. Um alles aufzumischen, sind ein paar Sci-Fi-Texte mit dabei, da ich sehr viele Netflix- und HBO-Shows wie „Westworld“ und „Stranger Things“ geschaut habe.
Gibt es ein Stück im Speziellen, über das du gerne mehr sagen möchtest?
Vielleicht nicht ein einzelnes an sich, aber mir gefällt, dass wir mehrere Songs haben, die thematisch miteinander verbunden sind. Zum Beispiel „Obsolesencia“, das davon handelt, wie merkwürdig der Prozess des Älterwerdens ist. Sorry, falls das jetzt etwas harsch klingt, aber ich musste dies bei meinen Grosseltern feststellen, wie sie mit den Jahren immer wie weniger konnten, was für mich unglaublich schwierig zu verarbeiten war. Sie sassen in ihrem Stuhl, schauten Fernsehen, assen etwas, gingen zu Bett und am nächsten Tag dasselbe von vorne. Sie haben ihre ganze Persönlichkeit und ihren Charakter hinter sich gelassen.
Gleich darauf folgt das Lied „Campos De Inocencia“, welches das Thema von der anderen Seite betrachtet. Es handelt davon, wie unschuldig wir als Kinder sind. Am Anfang sind wir alle glücklich, spielen vergnügt mit unseren Freunden und leben ohne Sorgen. Je älter man wird, umso mehr verliert man diese Unschuld. Das ist ein traumatischer und sehr schwierig zu verarbeitender Prozess.
Wie ist die Punk- und Metal-Szene in Spanien und Alicante? Ausser Ska-P, Vaire und Berri Txarrak kenne ich leider kaum spanische Bands.
Die Szene ist toll und sehr abwechslungsreich. Aber es ist echt verdammt schwer, hier Musiker:in zu sein. Man gibt absolut alles für seine Band und kriegt fast nichts dafür. Gleichwohl haben wir in Alicante viele fantastische und unterschiedliche Bands. Sons Of Aguirre sind zum Beispiel eine völlig durchgeknallte Metalcore-Gruppe. Rosy Finch für die Grunge-Fans und für die Power Metal-Fans haben wir Cain’s Dynasty. Im Rest von Spanien gibt es noch viel mehr grossartige Bands wie Fahrenheit oder Rise To Fall.
War es für euch eine bewusste Entscheidung, auf Spanisch zu singen?
Absolut! Die ersten beiden Songs, die wir als Arise aufgenommen hatten, waren tatsächlich auf Englisch. Wir überlegten uns dann, etwas auf Spanisch zu versuchen, aus Angst, mit allen Metalcar-Bands in einen Topf geworfen zu werden. Wir wollten ein weiteres, interessantes Element hinzufügen, um uns von der Norm abzuheben. Spätestens bei unserem ersten Album „7 Mundos“ 2012 war diese Entscheidung definitiv gefällt.
Es war ein Risiko, es gibt halt viele Menschen, die sich sofort abwenden, wenn sie etwas nicht auf Anhieb verstehen. Ich finde es spannend, dass du Berri Txarrak erwähnt hast, denn genau die waren es, die uns schlussendlich überzeugten. Die sangen nicht auf Spanisch, sondern Baskisch und selbst sie tourten sogar in Japan. Da sagten wir uns, das können wir auch (lacht).
Stichwort Touren: bestehen schon Pläne, mit dem Album auf Tour zu gehen?
Aber klar! Wir müssen leider bis zum Ende des Sommers warten. In Spanien sind die meisten Venues den Sommer durch geschlossen und die Line-Ups der Festivals sind seit Ewigkeiten gebucht. Da sind wir etwas zu spät dran.
Ihr werdet in diesem Fall mehrheitlich in Spanien Konzerte spielen?
Naja, eine Tour in Spanien ist schon ambitioniert genug für uns. Aber natürlich würden wir auch nicht nein sagen, wenn sich irgendwo sonst eine Möglichkeit ergäbe.
Habt ihr bereits ausserhalb von Spanien gespielt? Und gibt es irgendein Traum-Festival oder -Venue, wo ihr unbedingt mal spielen möchtet?
Bisher haben wir nur Konzerte in Spanien gespielt. Mit meiner zweiten Band (Mind Driller) konnte ich in Frankreich und Deutschland auftreten. Der Traum wäre, mal am Resurrection Fest spielen zu können, dieses riesige Metal- und Punk-Festival in Viveiro im Nordwesten des Landes.
Wie sind deine Erfahrungen als Frau in einer Metal-Band?
Ich habe damit nie Probleme erlebt. Es gibt in Spanien noch nicht allzu viele Frauen, die in heavy Bands spielen. Das Problem ist, dass wir in der Szene noch nicht genügend Platz einnehmen. Wenn man über Metal-Bands spricht, dann fallen immer dieselben Namen. Auch unter Musizierenden nur Meinungen über reine Männerbands ausgetauscht. Da haben wir Frauen auf jeden Fall noch nicht denselben Stellenwert erreicht. Doch eigentlich es sollte um die Musik gehen, nicht um das Geschlecht der Bandmitglieder.
Aber es gibt öfter positive Gegenbeispiele in der Szene. Denk an Jinjer, die sind unglaublich inspirierend. Oder Spiritbox mit Courney LaPlante am Gesang. Meine Güte, was für eine Band! Jedes Mal, wenn eine dieser Bands erwähnt wird oder auftritt, dann hilft das uns allen. Darum geht es schlussendlich, dass wir uns da alle gegenseitig aushelfen und unterstützen.
Gibt es sonst noch etwas, dass du gerne loswerden möchtest?
Ganz ehrlich: einfach nur danke! Wir fühlen uns geliebt und wertgeschätzt, dass ihr uns diese Möglichkeit gebt und euch unsere Musik anhört. Genau wegen Menschen wie euch machen wir das alles. Für Menschen, die sagen: „Yes, genau das will ich, das kauf ich mir!“ Noch als kleine Randnotiz von mir persönlich: ich möchte unbedingt auch meinen Bandkollegen einen grossen Dank aussprechen, ihr habt so viel Energie und Leidenschaft in unsere Band gesteckt und arbeitet so hart daran, das bedeutet mir unglaublich viel!
Wundervoll, ein schönes Schlusswort! Muchas gracias für deine Zeit und für das tolle Gespräch!
De nada! Danke gleichfalls, adios!
Bilder: Revela’t Foto Music